Gestern waren wir noch Kinder

Eine Serie von Natalie Scharf

Ein Genre-Mix aus Familienserie und Thriller: Nach Drehbüchern von Natalie Scharf inszenierte Regisseurin Nina Wolfrum eine Geschichte über einschneidende Erlebnisse und Familiengeheimnisse, die zu einer emotionalen Katastrophe in der Gegenwart führen. Das ZDF zeigt die Mini-Serie, die mithilfe von Rückblenden in das Leben der beteiligten Figuren erzählt wird, als dreiteiligen Fernsehfilm.

  • ZDF, Montag, 9., Dienstag, 10. und Mittwoch, 11. Januar 2023, jeweils 20.15 Uhr, ZDF
  • ZDF Mediathek, Ab Freitag, 30. Dezember 2022, alle Folgen in der ZDFmediathek

Texte

Eine Serie auf der Höhe der Zeit

Mit "Gestern waren wir noch Kinder" ist es Natalie Scharf als Autorin und Produzentin gelungen, eine Serie ganz auf der Höhe der Zeit zu erzählen: spannend von der ersten bis zur letzten Minute, hoch emotional, mit einer starken Prämisse – ein Familienvater ermordet seine Frau –, mit Geheimissen, die durch die Tragödie zu Tage treten, und mit einer Tochter, die plötzlich erwachsen werden muss, um die Familie zusammenzuhalten.

Heike Hempel, Hauptredaktionsleiterin Fernsehfilm/Serie I

Das Ende der Unbekümmertheit

Die Klettmanns wirken wie eine Familie aus dem Bilderbuch. Doch innerhalb eines Augenblicks ändert sich ihr gesamtes Leben, als Familienvater Peter seine Frau tötet und in U-Haft landet. Vivi, die älteste Tochter, versucht, die Verantwortung für die beiden jüngeren Geschwister zu übernehmen und fragt sich wie alle anderen auch, wie es zu dieser schrecklichen Tat kommen konnte. Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, muss man weit in die Vergangenheit blicken, denn nicht nur die Kindheit von Vivi und ihrer Geschwister endet auf so tragische Weise. Auch in der Jugend ihres Vaters war es ein einziger Abend, der sein Leben gänzlich aus den Fugen geraten ließ.

In "Gestern waren wir noch Kinder" erzählt Autorin und Produzentin Natalie Scharf die berührende Geschichte der Familie Klettmann in einem packenden Genre-Mix: Neben Momenten der Spannung und der Trauer stehen immer wieder humorvolle und lebensbejahende Passagen. Ein außergewöhnliches Musikkonzept, der Wechsel zwischen zwei verschiedenen Zeitebenen, für die Regisseurin Nina Wolfrum jeweils eine eigene Bildsprache gefunden hat, und das großartige Schauspielerensemble um Julia Beautx, Torben Liebrecht, Maria Simon, Ulrich Tukur, Damian Hardung, Julius Nitschkoff, Karoline Eichhorn und Milena Tscharntke verleihen der Serie ein ganz eigenes Gesicht: Es wird deutlich, dass sich unser Leben innerhalb weniger Augenblicke ändern kann, und dass unsere Taten über Generationen hinweg Auswirkungen haben können.

Corinna Marx und Bastian Wagner
Hauptredaktion Fernsehfilm / Serie II

Stab, Besetzung, allgemeiner Inhalt

Fernsehfilm in drei Teilen

Buch und Produzentin       Natalie Scharf

Regie                                 Nina Wolfrum

Kamera                              Mathias Neumann

Schnitt                               Ronny Mattas

Ton                                     Alexander von Zündt

Szenenbild                         Frank Godt

Kostüme                            Mirjam Muschel

Maske                                Sabine Hahnen-Wild, Tatjana Gluska, Ute Baumann

Musik                                 Johannes Brandt, Dominik Giesriegl

Produktionsleitung             Florian Nilson

Produktion                         Seven Dogs Film Produktion

Redaktion                          Corinna Marx, Bastian Wagner

Länge                                1 x ca. 133 Minuten, 2 x ca. 88 Minuten

                   

Die Rollen und ihre Darsteller*innen

Vivi Klettmann                    Julia Beautx

Peter Klettmann                  Torben Liebrecht

Peter Klettmann (jung)       Damian Hardung

Tim Münzinger                   Julius Nitschkoff

Anna Klettmann                  Maria Simon

Hans Klettmann                  Ulrich Tukur

Heide Klettmann                 Karoline Eichhorn

Luisa (jung)                        Milena Tscharntke

Anna Klettmann (jung)        Rieke Seja

Daniel Klettmann                Vico Mango

Emmi Klettmann                 Nele Richter

Dr. Lauren Ott                    Claudia Geisler-Bading

Dilara Miller                        Mathilda Smidt

Robert Krug                       Peter Schneider

Luisa                                  Katharina Heyer

Klara Klettmann                 Carlotta von Falkenhayn

Robert Krug (jung)             Arne Kertesz

Tim Münzinger (Kind)        Marinus Anian Stadler

Julia Roth                          Karen Dahmen

Hannah                              Bianca Nawrath

Polizist Mike                      Joachim Nimtz

Kommissarin                       
Jana Lebowski                   Anja Schneider   

Helen Fiedler                     Hannah Schiller

Manuela Miller                    Henny Reents

und andere

Familie Klettmann wohnt in einem schicken Münchener Vorort, finanzielle Probleme gibt es keine: Peter Klettmann ist erfolgreicher Anwalt, seine Frau Anna kümmert sich um die gemeinsamen Kinder Vivi, Daniel und Emmi. Das Leben scheint perfekt, doch am 44. Geburtstag von Anna bricht für die Familie eine Welt zusammen: Im Affekt tötet Peter seine Frau und kommt in U-Haft. Während sein Motiv Rätsel aufgibt und erst durch das Eintauchen in seine Vergangenheit Gestalt annimmt, ist das sorglose Leben der Kinder von einem auf den anderen Tag vorbei. Die 18-jährige Vivi beginnt, um das Sorgerecht für ihre Geschwister zu kämpfen. Unterstützt wird sie dabei von Polizist Tim, der als Erster am Tatort eintraf. Er scheint sich für die Kinder verantwortlich zu fühlen, und es gelingt ihm, Vivis Vertrauen zu gewinnen. Die junge Frau weiß jedoch nicht, dass Tim ihre Mutter Anna bereits vor dem Mord kannte.

Inhalte der Folgen

Teil 1 (Folgen 1 bis 3):

Die Klettmanns wirken wie eine Familie aus dem Bilderbuch. Doch am 44. Geburtstag von Anna bricht die Welt der Familie komplett zusammen: Peter bringt seine Frau aus heiterem Himmel um und landet in Untersuchungshaft. Während sein Motiv Rätsel aufgibt, kümmert sich Tochter Vivi um ihre beiden jüngeren Geschwister. Als die Geschwister schließlich getrennt und die beiden minderjährigen Daniel und Emmi in Pflegefamilien untergebracht werden, beginnt Vivi, um das Sorgerecht zu kämpfen. Gleichzeitig nimmt Polizist Tim Kontakt zu der 18-Jährgen auf. Er war kurz nach Peters Tat am Tatort eingetroffen, und Anna ist in seinen Armen gestorben. Nun scheint er sich den Kindern der Familie Klettmann verpflichtet zu fühlen. Vivis fasst immer mehr Vertrauen zu Tim und zieht sogar bei ihm ein. Dabei bemerkt sie nicht, dass Tim ein doppeltes Spiel spielt.

Ein Blick in die gemeinsame Schulzeit von Peter und Anna Klettmann offenbart zudem dunkle Geheimnisse, die Peters Leben nachhaltig verändert haben: 25 Jahre vor dem Mord an seiner Frau scheint Peter ein glücklicher Teenager zu sein, der mit Anna und seinen Freunden das Abitur feiert. Doch am Abend der Feier begeht Peter einen Fehler, der vier Menschen das Leben kostet und sein eigenes für immer verändert. Völlig verzweifelt möchte Peter seinem Leben ein Ende setzen. Doch Anna unterbricht zufällig seinen Selbstmordversuch, und die beiden nähern sich an – ein vermeintlicher Wendepunkt in Peters Leben. Anna und Peter werden ein Paar.

 

Teil 2 (Folgen 4 bis 5):

Gestern war Vivi noch ein normaler Teenager, nun besucht sie ihren Vater, den Mörder ihrer Mutter, im Gefängnis. Sie hat Angst vor der ersten Begegnung mit ihm nach der Tat, braucht jedoch seine Hilfe im Sorgerechtskampf um ihre Geschwister. Auch von Polizist Tim wird Vivi weiter unterstützt, doch sie beginnt sich zu fragen, ob sie ihm trauen kann.

Der Blick zurück zeigt Peter und Annas erste Ehejahre. Peter, gezeichnet von seinem tödlichen Geheimnis, versucht nach außen ein geordnetes Familienleben als angehender Anwalt zu führen – aus Geldnot unter dem Dach seines verhassten Vaters Hans Klettmann. Schon bald erwarten Peter und Anna ihr erstes Kind. Das führt zu weiteren Spannungen zwischen Hans und Peter. Die Tauffeier läutet das Ende des gemeinsamen Familienlebens ein: Peters Mutter Heide, psychisch krank, wird vom Vater in ein Pflegeheim abgeschoben. Als Hans Klettmann seinem Sohn eine tödliche Krankheit offenbart, fühlt sich der junge Peter zum ersten Mal nicht betroffen, sondern befreit. Er entlädt dem Vater gegenüber all seinen aufgestauten Hass und seine Lebenslüge – mit fatalen Folgen.

Jahre später wird Peter zudem durch Klienten, die in seiner Kanzlei auftauchen, von den Geschehnissen in der Nacht des Abiturballs eingeholt.

 

Teil 3 (Folgen 6 bis 7):

Verhängnisvolle Sehnsucht: Vivi und Tim schlafen miteinander. Doch Tim verschweigt der jungen Frau etwas.

Im Gefängnis wird Peter von der Kommissarin mit einer Affäre seiner Frau konfrontiert. Er will nicht darüber sprechen. Als er nach dem vermissten Handy von Anna befragt wird, bestreitet er, etwas damit zu tun zu haben. Parallel bekommt Vivi eine Nachricht, dass Annas Handy eingeschaltet wurde. Vivi ortet das Gerät, macht sich mit Tim auf den Weg und findet es an einem Ort, mit dem sie niemals gerechnet hätte. Vivi hofft, auf dem Handy etwas über ein mögliches Mordmotiv herauszufinden und endlich Gewissheit darüber zu bekommen, was an dem verhängnisvollen Tag passiert ist. Tim wirkt nervös. Welche Rolle spielte er in dem Familiendrama der Klettmanns?

In der Vergangenheit gesteht Peter seiner Frau Anna endlich sein dunkles Geheimnis. Für Anna bricht eine Welt zusammen, und sie beschließt, von nun an ihren eigenen Weg zu gehen.

"Mit der Realisierung der Serie erfüllte sich für mich ein Traum"

Statement von Produzentin und Autorin Natalie Scharf

Als Kind war es mir unangenehm und peinlich zu erzählen, dass ich auf dem Gelände einer "Nervenheilanstalt" – so nannte man das früher – lebte. Mein Vater arbeitete als Psychiater und Neurologe. Er hatte eine Dienstwohnung für seine Familie und sich gestellt bekommen, und so wurden beim Abendessen auch immer Fälle besprochen. Im Grundschulalter fragte ich ihn einmal, wie es passieren könne, dass man Stimmen höre. Zur Antwort bekam ich, man wache einfach morgens so auf. Nicht besonders einfühlsam von ihm, denn ich erinnere mich noch genau, dass ich nach dieser Aussage beschloss, nie mehr zu schlafen – mit dem Ergebnis, dass ich drei Tage später völlig übermüdet auf meiner Schulbank im Klassenzimmer einnickte und meine Mutter in die Schule beordert wurde.

Die Psyche und wie man die Kontrolle über sich selbst verliert, beschäftigte mich also schon sehr früh. Heute bin ich dankbar – besonders als Produzentin und Autorin – auf so viele Erfahrungen und Erlebnisse zurückblicken zu können. Die Idee, bei Protagonisten wie auch Nebenfiguren das Trauma und den Trigger ihrer Kindheit in den Fokus zu stellen, faszinierte mich. Ich wusste, dass ich irgendwann eine Serie schreiben wollte, in der die Zuschauerinnen und Zuschauer die Figuren besser kennenlernen sollten als diese sich selbst.

Gewöhnlich treibt der Plot die Geschichte voran, bei "Gestern waren wir noch Kinder" wollte ich aus den Figuren heraus erzählen. Da wir in Rückblicken alle Protagonisten als Kinder oder Heranwachsende erleben, verstehen wir später ihr Handeln besser. Für mich persönlich erfüllte sich mit der Realisierung der Serie ein Traum, da ich mich beim Schreiben der Drehbücher keinem Genre unterwerfen musste, sondern frei aus den Figuren heraus die ganze Bandbreite ihres Lebens erzählen durfte. Was gibt es Spannenderes als heiter und fröhlich zu beginnen, und dann entblättert sich das Dunkle und Unerwartete im Verlauf der Geschichte immer mehr. Insgesamt sechs Jahre Arbeit nahm die Serie in Anspruch, aber rückblickend kann ich sagen, jeder einzelne Tag war es wert. Redaktionell unterstützten mich Heike Hempel, Bastian Wagner und Corinna Marx. Trotz eines Drehs während der Coronapandemie konnten wir alles genauso umsetzen, wie wir es uns vorgestellt hatten. Regisseurin Nina Wolfrum und Kameramann Matthias Neumann inszenierten beziehungsweise filmten ebenfalls aus der Perspektive der Figuren heraus. So wurde alles zu einem Gesamtkonzept, das alle Gewerke umsetzten – bis hin zum Schnitt und einem außergewöhnlichen Musikkonzept und Sounddesign.

"Die Frage, was wäre gewesen, wenn, lässt nie wieder los"

Statements der Schauspieler*innen

Julia Beautx: Vivian Klettmann ist ein 18-jähriges Mädchen aus wohl behütetem, scheinbar perfektem Elternhaus. Sie hat zwei süße kleine Geschwister, lebt mit ihnen und ihren sich liebenden Eltern in einem schönen, freistehenden Haus ohne wirkliche Probleme. Sie ist beliebt, gehört auf ihrer Privatschule zu den "Cool Kids" und ist daran gewöhnt, alles zu bekommen, was sie möchte. Mit dem Mord an ihrer Mutter ändert sich ihr Leben schlagartig. Plötzlich muss sie Verantwortung übernehmen und sich um alles kümmern, was noch vor wenigen Tagen ihre Eltern gemacht haben. Ihr Status in der Schule verwandelt sich auf einen Schlag vom "It-Girl" zur "Tochter eines Mörders". Besonders spannend fand ich es, den schnellen, tiefen Fall, den Vivi erlebt, und die damit einhergehende Entwicklung zu einer jungen, starken Frau aus der Not heraus zu entwickeln. Durch ihre behütete Kindheit ist sie allerdings auch recht leichtgläubig, was ihr später zum Verhängnis wird. Ich konnte mich für die Rolle gut an meiner eigenen Familie orientieren, weil ich selbst sehr liebevoll und behütet aufgewachsen bin. Ich kann mich gut hineinversetzen, in was für ein Loch man fällt, wie betrogen und alleingelassen man sich von seinem Vater fühlt, von dem man gestern noch dachte, er wäre der beste Papa der Welt. Es war mir wichtig, Vivis Kampf zu zeigen, nicht wirklich trauern zu dürfen, gepaart mit der Stärke, die sie sprichwörtlich vom Boden kratzen muss, damit sie ihr Leben und besonders das ihrer kleinen Geschwister irgendwie retten kann.

Torben Liebrecht: Peter Klettmann ist das, was man auf den ersten Blick als den unauffälligen, stets freundlichen und hilfsbereiten Nachbarn beschreiben würde. Ein liebevoller Ehemann für seine Frau Anna und ein fürsorglicher Vater für ihre drei gemeinsamen Kinder Vivi, Daniel und Emmi, der alles dafür tut, damit sie behütet aufwachsen können, ohne, wie er selbst, unter der strengen Hand eines konservativen und kühlen Vaters leiden zu müssen. Tief in seinem Inneren aber wird Peter von Schuldgefühlen zerrissen. Ein kurzer Moment in seiner Vergangenheit, ausgelöst durch ein Missverständnis, hat eine fatale Kettenreaktion angestoßen, die ihn bis in die Gegenwart hinein immer wieder einholt. Egal, wie sehr er sich um Wiedergutmachung bemüht, im Laufe der Serie verstrickt Peter sich immer tiefer in einem raffinierten, selbstgesponnenen Netz aus Illusionen, Notlügen und falschem Selbstbild. Je mehr er es verpasst, sich anzuvertrauen, desto stärker hofft er auf eine Erlösung, die es eigentlich nicht geben kann.

Mich hat Peters fortwährender Kampf gegen den Treibsand der eigenen Schuld beim Lesen der Bücher sofort gepackt. Er ist eine komplexe und tragische Figur. Auch wenn er alles in seiner Macht Stehende tut, um Gutes zu schaffen und das Schlechte von seiner Familie fernzuhalten, wird er doch zum Täter, und seine drei heranwachsenden Kinder verlieren am Ende durch ihn ihre Mutter. "Gestern waren wir noch Kinder" erzählt über drei Generationen hinweg von den Zufällen und Verschneidungen, den Prägungen und Traumata, den Träumen und Unausweichlichkeiten, die sich aus unterschiedlichen Lebensentwürfen und den damit verbundenen Hoffnungen ergeben, und verdichtet sie auf den tragischen Höhepunkt eines Femizides, wie er uns immer wieder und viel zu oft in den Nachrichten begegnet.

Damian Hardung: Die Serie "Gestern waren wir noch Kinder" erzählt von den Domino-Effekten, die kleine Entscheidungen in unserer Jugend auf unser gesamtes Leben ausüben. Mich hat es dabei fasziniert, die Rolle des Peter Klettmann über mehr als ein Jahrzehnt hinweg zu verkörpern, vom Schüler zum Juristen und jungen Familienvater. Peter ist ein Getriebener seiner eigenen Vergangenheit. Zum einen ist Peter Opfer seines tyrannischen Vaters, von dem er sich nie lossagen kann, sondern den er nur gebändigt bekommt, indem er genau so wird wie er: "Stockholm Syndrom". Peter braucht die Hilfe des Pankreaskarzinoms (Bauchspeicheldrüsenkrebses) seines Vaters, um endlich er selbst sein zu dürfen. Zum anderen verfolgen ihn noch die Konsequenzen seiner Abi-Ballnacht. Die Frage, was wäre gewesen, wenn, lässt Peter nie wieder los. Auf unbedachte Art beladen mit einer Schuld, die untragbar ist, ist es ein Zufall, dass er sich für das Leben und gegen den eigenen Selbstmord entscheidet. Aber egal, wie sehr Peter versucht, das Idealbild einer heilen Familie zu leben, was er selbst als Kind nie hatte, die Schuld bleibt bei ihm.

Maria Simon: Anna liebt und bewundert ihren Mann schon seit über 25 Jahren: Er ist ihre Jugendliebe. Sie will für ihn eine gute Frau sein und für die Kinder eine gute Mutter. Sie hat ihre Träume vergraben – und beginnt, sich mit 40 neu zu spüren. Das ist eine spannende Phase bei Frauen: Die Kinder sind groß, die Frauen lenken den Fokus wieder auf sich und stellen neue Fragen. Das gefällt ihrem Mann Peter gar nicht – das Familiensystem und sein System gerät dadurch ins Wanken. Die Ehe hätte eine Chance auf einen Neuanfang gehabt, hätte Peter nicht schuldbeladen und aus einem Moment der Verzweiflung, Angst und Wut seine Frau zum Verstummen gebracht.

Er hat ihr die ganze Wahrheit gebeichtet, sich offenbart, und nun ist sie entsetzt. Sie kann ihm und sich selbst nicht mehr glauben. Wie hat das alles angefangen? Wieviel ist unausgesprochen zwischen Mann und Frau, Vater und Sohn, Mutter und Tochter, zwischen Freundinnen? Diese Geschichte ist wie ein Blick durch ein Mikroskop auf eine Familie in der Gegenwart und in der Vergangenheit. Über Generationen war sie eine gutsituierte Familie, der Großvater ist Anwalt, die Ehefrau Hausfrau, der Sohn wird Anwalt. Die ureigenen Träume werden dabei nicht gelebt. Nur die Frau des Sohnes hat nun eine neue Sprache gefunden und ein neues Selbstbewusstsein, mit dem der Ehemann komplett überfordert ist. Er kann ihre "Sprache" nicht verstehen, es ist bedrohlich für ihn. Es ist ein schmerzhafter Prozess, bis Mann und Frau sich wieder authentisch und ehrlich begegnen und sich auf eine gemeinsame Sprache einigen können. Wenn wir authentisch sind und uns selbst die Schuld vergeben können, wie auch unseren Schuldigern, und damit das Tor für wahrhaftes Mitgefühl öffnen, dann würde es keinen Anlass geben für Gewalt.

Anna ist auch sehr abergläubig. Meist ist Aberglaube mit Angst verbunden, mit Befürchtungen, mit einem Gefühl von Verlust. Wenn ich eine Vorstellung immer wieder als meine Wahrheit reproduziere, dann wird dieses Bild irgendwann zur Realität. Manche Menschen empfangen auch Bilder von der Zukunft, und später passiert alles so, wie vorausgesehen.

Julius Nitschkoff: Tim ist ein pflichtbewusster, hilfsbereiter und warmherziger Mensch. Er ist ohne Vaterfigur aufgewachsen und seine Mutter, die als Sexarbeiterin ihren Lebensunterhalt bestreiten musste, verschwand urplötzlich, als er noch ein kleiner Junge war. Nachdem er neben seiner toten Oma, die sich nach dem Verschwinden seiner Mutter um ihn kümmerte, von der Polizei gefunden wurde, stand für ihn seine berufliche Laufbahn fest. Er wollte ebenfalls anderen Menschen und anderen Kindern helfen, und so hat Tim seinen Weg als Polizist ins Beamtenleben gefunden. Da er nie eine Familie oder Menschen, die ihm beistanden, in seinem Leben hatte, fühlt er sich oft sehr einsam – fast schon ungebraucht. Denn er wünscht sich nichts sehnlicher, als seine in ihm schlummernde Liebe und Fürsorge mit anderen teilen zu dürfen. Das ist auch einer der Gründe, weshalb er sich Vivi und ihrer Geschwister annimmt und alles in seiner Macht Stehende dafür tut, dass diese nach dem Tod der Mutter nicht durch das Jugendamt voneinander getrennt werden.

Der schmale Grat zwischen bedingungsloser Hilfsbereitschaft und dem Wunsch nach Liebe und Anerkennung treiben Tim im Laufe der Geschichte in einen immer perfideren Widerspruch mit sich selbst. Zu sehen, was für unterschiedliche Auswirkungen Kindheitstraumata auf einen Menschen haben können und wie weit diese letztendlich um sich greifen, macht die Serie zu einem komplexen Schauerlebnis.

Ulrich Tukur: Hans Klettmann wurde zu einer Zeit geboren, als auch ich das Licht der Welt erblickte: Mitte, Ende der 1950er Jahre. Sein Vater, Jahrgang 1923, war Kriegsteilnehmer und kehrte 1952 aus russischer Gefangenschaft ins zerstörte Kassel zurück, wo auch der junge Hans Klettmann aufwuchs. Der Vater, nennen wir ihn Gerhard Klettmann, ein intelligenter, vom Krieg schwer traumatisierter Mann, studierte Rechtswissenschaften in Hannover, heiratete und bekam drei Kinder. Zu seinem einzigen Sohn Hans fand er keinen Zugang. Ohne es zu wollen, bereitete er ihm die Hölle auf Erden. Zu einer Aussprache, einer Lösung zwischen den beiden kam es nie, und so überträgt sich diese angespannte Sprachlosigkeit, all der verborgene Schmerz, auch noch auf die nächste Generation, auf die Beziehung zwischen Hans und seinem Sohn Peter. Hans Klettmann ist mit der Härte und Lieblosigkeit seines Vaters und der Schwäche seiner Mutter nie fertig geworden. Verletzt zieht er sich zurück und richtet den Zorn, der ja eigentlich sich selbst meint, und seine Unfähigkeit, die Liebe des Vaters zu erlangen, nach außen. Er bestraft seinen Sohn Peter für all das, was sein Vater ihm vorenthalten hat. Und so wird auch aus Peter ein zutiefst verunsicherter Jugendlicher, der mit dem Wirrwarr seiner Seele nicht zurechtkommt. Diese emotionale Gemengelage, der tiefsitzende Zorn gegen sich selbst und den Vater, führt in der Nacht des Abiturballs zu Peters Kurzschlusshandlung, die zur endgültigen Katastrophe für die Familie wird. Erst Hans Krebserkrankung bricht den Panzer auf, den er sich im Laufe seines Lebens zugelegt hat. Im Angesicht des drohenden Todes streckt er die Hand nach seinem Sohn aus – und wird zurückgewiesen.

Dies ist die Geschichte einer schweren seelischen Verletzung, die sich über drei Generation hinzieht und am Ende zur Katastrophe führt. Der Film ist ein Lehrstück über Sprachlosigkeit und die Unfähigkeit, sie zu überwinden. Erst im Gefängnis wird Peter versuchen, den Bann zu brechen, indem er sich das, was er nie ausdrücken konnte, von der Seele schreibt und so zu einem Verständnis der verworrenen Muster kommt, die sein und das Leben seiner Familie bestimmten. Hans spielt eine verheerende Rolle innerhalb der Familie, die des autoritären Familienoberhaupts, der keine Schwäche zeigt und scheinbar alles unter Kontrolle hat. Mit seiner Härte und Lieblosigkeit stürzt er nicht nur sich selbst, sondern auch Frau, Kinder und Kindeskinder ins Unglück.

Karoline Eichhorn: Heide Klettmann ist eine Frau, die in einer sehr patriarchalen Struktur sozialisiert wurde. Sie ist für mich von außen betrachtet erst einmal Ehefrau und Mutter. Sie lebt für ihre Familie und das mit voller Überzeugung bis zu dem Moment, in dem ihre Tochter vor ihren Augen stirbt – der Moment, der ihr ganzes Leben zerstört. Ab diesem Zeitpunkt zieht sie sich in sich und ihre eigene Welt zurück. Sie schafft es nicht, mit dem Verlust ihres Kindes zu leben, ist für die Familie kaum noch erreichbar und wird vor allem von ihrem Ehemann als krank bezeichnet. Ein trauriger, verlorener und verzweifelter Mensch.

Rieke Seja: Mir hat es viel Freude bereitet, die junge Anna zu spielen und dabei eine große Zeitspanne innerhalb der Rolle auszufüllen: das Erwachsenwerden, die Abschnitte vom Abitur und der ersten Liebe, bis hin zur zweifachen Mutter. In Anna brodelte immer das Gefühl auf, Peters zweite Wahl und für ihn unzulänglich zu sein. So war das Gefühl von Eifersucht für Anna immer ein Thema. Die junge Anna ist in einem ständigen inneren Kampf, geliebt und gesehen zu werden. Sie hatte große Sehnsüchte nach einer eigenen heilen Familie und nach Stabilität.

Spannend war für mich, dass Anna abergläubisch ist, sodass dadurch Dinge und Handlungen eine andere Bedeutung bekommen, als ich es kenne. Durch ihren Aberglauben lebte sie häufig in Angst und befürchtete Unheil. Besonders schön ist dann die Szene nach ihrem ersten Date mit Peter beim Wasserfall, wo Anna einen schwarzen Raben sieht, und sie sich, statt es als schlechtes Omen zu deuten, mit Lebensfreude und Mut gegen ihre Furcht stellt.

Dadurch, dass sich der Einblick in die Familiengeschichte über einen längeren Zeitraum erstreckt, wird deutlich, dass die ungelösten Konflikte der einen Generation sich auf die nächste forttragen. Ich finde es sehr berührend, wie immer wieder die verzweifelte Loslösung von Familienstrukturen erzählt wird, sowie das Ringen um Heilung.

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