Ich bin! Margot Friedländer
Dokudrama
Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer hat eine beeindruckende Lebensgeschichte. Den Leitfaden des Films von Raymond Ley bilden Gespräche mit der fast 102-jährigen, die ihre Erlebnisse sehr bewegend schildern kann. Schauspielerin Julia Anna Grob spielt die junge Margot. Mit Gastauftritten am Film beteiligt sind große Namen wie Iris Berben, Charly Hübner, Herbert Knaup und Axel Prahl.
Mit dem Dokudrama setzt das ZDF einen Programmakzent zum Gedenken an die Novemberpogrome vor 85 Jahren (9.11.1938).
- ZDF Mediathek, ab Donnerstag, 2. November, 15.00 Uhr, fünf Jahre lang
- ZDF, Dienstag, 7. November 2023, 20.15 Uhr
Texte
Eine Zeitzeugin – viele "Zweitzeugen"/Von Stefan Brauburger, Leiter der ZDF-Zeitgeschichte
Die Redaktion Zeitgeschichte hat das Gedenken an die Novemberpogrome 1938 immer wieder zum Anlass genommen, das Geschehen am historischen Tag selbst, den Holocaust in seiner Genese, bewegende Opferschicksale und Täterprofile in Fernsehdokumentationen vor Augen zu führen. Zur 85. Wiederkehr dieses Datums fiel die Entscheidung für einen besonderen Programmakzent. Ein 90-minütiges Dokudrama zur Geschichte einer Holocaust-Überlebenden, die noch mit ihren 101 Jahren voller Leidenschaft und Überzeugungskraft eine wichtige "Mission" verfolgt. Margot Friedländer will möglichst vielen jungen Menschen heute das furchtbare Geschehen während ihrer Jugendjahre auf eine Weise vermitteln, dass diese sich selbst als Botschafter und Botschafterinnen verstehen, gegen das Vergessen, für das Erinnern, sich engagieren für mehr Menschlichkeit, gegen Extremismus, Antisemitismus und Gewalt.
Interviewaussagen von Margot Friedländer selbst, die noch immer eindrucksvoll ihren verzweifelten Überlebenskampf schildern kann, bilden die Grundlage unseres Films. Inszenierungen von bewegenden Momenten ihrer ungewöhnlichen Lebensgeschichte werden mit zeitgenössischem Bildmaterial verbunden. Wie sehr gerade jüngere Menschen von der Biografie Margot Friedländers fasziniert sind, haben zahlreiche Reaktionen auf ihre Aussagen als Zeitzeugin in begleitenden Beiträgen zum ZDF-Fernsehfilm "Die Wannseekonferenz" (2022) gezeigt.
Ihre Botschaft ist zeitlos: "Ich bin gekommen, Euch die Hand zu reichen, aber Euch auch zu bitten, dass Ihr die Zeitzeugen werdet, die wir nicht mehr lange sein können. Es ist für Euch. Was war, das war, wir können es nicht mehr ändern. Es darf nur nie wieder jemals geschehen."
Ihre Appelle richten sich an eine Generation, in der das Wissen um den Holocaust schwindet. Mehr als 30 Prozent der Jugendlichen wissen laut Umfragen den Begriff nicht mehr richtig einzuordnen, allerdings ist das Interesse an der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit durchaus vorhanden.
Und Aufklärung ist wichtig in einer Zeit, in der Antisemitismus wieder stärker um sich greift und vom politischen Rand in die Mitte der Gesellschaft drängt, in der Hassparolen im Internet kursieren, radikalisierte Rechtsextremisten Anschläge verüben.
Bald werden auch die letzten Holocaustüberlebenden ihre Geschichte nicht mehr persönlich erzählen können. Eine neue Generation ist aufgerufen, die Aufgabe zu übernehmen, und so ist es ein hoffnungsvolles Zeichen, wenn sich ein junger Verein um Margot Friedländer schart, dessen Namen allein schon eine Berufung darstellt. Sie nennen sich "Zweitzeugen".
Statement von Marc Lepetit, Geschäftsführer und Produzent UFA Documentary
Margot Friedländer ist Zeitzeugin, Chronistin, Botschafterin. Sie über die Zeit des Holocaust und ihr Erleben sprechen zu hören, ist so beeindruckend und klar, dass man auch heute noch fassungslos auf die Ereignisse schaut und ihre Geschichte und die Aufforderung an folgende Generationen weitertragen möchte, nein, muss. Wir sind Margot Friedländer sehr dankbar, dass sie ihr bewegtes Leben mit uns teilt und wir die Chance haben, ihr Lebenswerk zu bebildern.
Unser Dokudrama "Ich bin! Margot Friedländer" versucht Erinnerungen an diese Zeit der deutschen Geschichte wach zu halten und gegen das Vergessen zu arbeiten. Die Produktion verlangt viel Verantwortung gegenüber unserer Zeitzeugin Margot Friedländer, ihrem Leben und vor allem ihrem Appell an die nachfolgenden Generationen.
Unsere Protagonistin wird 1921 in Berlin geboren. Ihre Mutter und ihr Bruder kommen 1943 in das Vernichtungslager nach Auschwitz. Die damals 22-jährige Margot taucht unter und versucht über 16 Monate in Berlin alles, um dem Terror der Nationalsozialisten zu entgehen – bis sie im Frühjahr 1944 gefasst und nach Theresienstadt deportiert wird. Margot überlebt. Nach der Befreiung emigriert sie mit ihrem Mann Adolf Friedländer in die USA, baut sich dort ein neues Leben auf. Mit den Mitteln des Dokudramas zeichnen wir die großen Umbrüche ihres Lebens nach.
Ihre jungen Jahre werden verkörpert von Julia Anna Grob, die hier in ihrer ersten großen Rolle in Erscheinung tritt. Neben ihr spielen Ilona Schulz und Peter Lewys Preston vor der Kamera von Martin L. Ludwig und unter der Regie von Raymond Ley, der gemeinsam mit Hannah Ley das Drehbuch schrieb. Mit Gastauftritten an der Produktion beteiligt sind große Namen wie Iris Berben, Charly Hübner, Herbert Knaup und Axel Prahl, die alle sofort zugesagten, auch wenn es zum Teil nur um eine Tagesrolle ging. Das zeigt den großen Respekt vor Margot Friedländer.
Wir sind sehr stolz, dass das ZDF mit der Ausstrahlung von "Ich bin! Margot Friedländer" am 7. November 2023 um 20.15 Uhr einen besonderen Programmakzent zum 85. Jahrestag der "Novemberpogrome" setzen wird. Die Geschehnisse immer wieder in die Aufmerksamkeit zu holen, hält das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus wach, und wir können mit unserem Film einen Beitrag gegen das Vergessen leisten.
Vor allem aber Margot Friedländer sind wir zu Dank verpflichtet. Ihre Lebensgeschichte für die Nachwelt zu erhalten und an die Zuschauerschaft weitergeben zu können, ist von größtem Wert, und ich möchte mich persönlich für jeden Moment bedanken, den wir mit ihr in der Vorbereitung und Durchführung dieses Projektes verbringen durften.
Director‘s Note von Raymond Ley
Die Grundlage für die dokumentarische wie fiktionale Darstellung von "Ich bin! Margot Friedländer" bilden die Interviews, die wir an zehn Tagen mit Frau Friedländer 2022 gedreht haben. Die Begegnungen waren immer recht kurz – wir sprachen zwischen 14.30 und 17.30 Uhr – dann schaute Frau Friedländer auf die Uhr und beendete die Session, immer mit einem freundlichen, bestimmten Wort. Meine Gespräche mit ihr waren ein Ringen um Erinnerungen, um Auslassungen, um Verschweigen und um die Darlegung einer großen Verletzung: "Warum war ich allein? Ohne Familie, ohne Halt?". Unsere Gespräche glichen einer Achtbahnfahrt ‒ zwischen Schicksal und großem Überlebensglück: Warum enttäuschte sie der Vater? Wie nahm sie die Nazis wahr, die Verbote, die Einschränkungen – ihre Flucht in den Untergrund?
Mein besonderer Dank geht an Thomas Halaczinsky, der Margot Friedländer in New York "entdeckte" und der vor 20 Jahren den wunderbaren Film "Don‘t call it Heimweh" über sie drehte. Thomas Halaczinsky veränderte das Leben von Frau Friedländer komplett – ohne ihn wäre sie wahrscheinlich nie nach Berlin gegangen, ohne ihn wäre ihr Buch wohl ungeschrieben geblieben. Ohne ihn gäbe es unseren Film nicht.
Stab und Besetzung (Auswahl)
Buch Hannah und Raymond Ley
Regie Raymond Ley
Casting Anja Dihrberg-Siebler
Kamera Martin L. Ludwig, Dirk Heuer
Schnitt Martin Menzel
Ton Eckhard Kuchenbecker
Sounddesign Niklas Kammertöns
Musik-Komposition Hans P. Ströer
Licht Stefan Rentel, Max Berg
Script Jeannette Diszler
Szenenbild Dennis Andreas v. Duis
Set-Requisite Nicole Dobrinski, Harald Voß
Außen-Requisite Tim Herfurth, Mike Thiemann
Kostümbild Stefanie Bieker
Maske Irina Tübbecke, Petra Herzler-Grossmann, Stefanie Kinzel, Alla Leonova
Aufnahmeleitung Isabell Brandenburg
Produktionsleitung Alexander Müller-Elsner (UFA Documentary), Philipp Müller (ZDF)
Producer Rodica Pietsch, Simon Sacha (UFA Documentary)
Herstellungsleitung Sven Heiligenstein
Produzent Marc Lepetit, Gwendolin Szyszkowitz-Schwingel (UFA Documentary), Nico Hofmann (UFA)
Redaktion Anja Greulich
Leitung Stefan Brauburger
Sendelänge circa 90 Minuten
Die Rollen und ihre Darsteller
Margot Friedländer (jung) Julia Anna Grob
Margot Friedländer (alt) Ilona Schulz
Auguste Bendheim Hannah Ley
Ralph Bendheim Cai Cohrs
Adolf Friedländer Peter Lewys Preston
Hanna Litten Annika Olbrich
Alfred Berliner Charly Hübner
Stella Goldschlag Luise von Finckh
Schmidt (Gestapo) Peter Sikorski
Bromberg Rainer Frank
Sternheim Konstantin Lindhorst
Reuter Axel Prahl
René Iris Berben
Walter Velbert Herbert Knaup
Liz Ilse Ritter
und andere
Unter Mitwirkung von Margot Friedländer
Eine Produktion der UFA Documentary GmbH im Auftrag des ZDF
Inhalt
Die Lebensgeschichte der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer (*5.11.1921) erzählt in Form eines Dokudramas: Ihre Interviewaussagen, in denen sie ihre Erlebnisse trotz ihres hohen Alters noch bewegend schildern kann, bilden den Leitfaden des Films. Inszenierungen von entscheidenden Momenten ihrer ungewöhnlichen Lebensgeschichte werden eingebettet in zeitgenössisches Film- und Fotomaterial. Das Drehbuch orientiert sich dabei an Margot Friedländers Autobiografie "Versuche, dein Leben zu machen".
1921 in Berlin geboren, arbeitet Margot Bendheim nach Beendigung der Schulzeit als Lehrmädchen in einer Schneiderei, spielt Theater beim Jüdischen Kulturbund und näht Kostüme für die Bühne. Die Bemühungen ihrer Familie, der Verfolgung im NS-Regime durch Migration ins Ausland zu entgehen, schlagen fehl. Nach der Trennung ihrer Eltern 1937, lebt Margot mit ihrer Mutter und ihrem jüngeren Bruder Ralph zusammen. Ab 1941 muss Margot Zwangsarbeit leisten und ihre geliebte Arbeit beim Jüdischen Kulturbund aufgeben. Im Januar 1943 plant Margots Mutter die Flucht mit ihren Kindern zu Verwandten nach Oberschlesien. Doch kurz davor wird Ralph von der Gestapo verhaftet. Die Mutter entschließt sich, ihrem Sohn freiwillig zu folgen – in das Vernichtungslager nach Auschwitz. Margot bleibt allein zurück. Die Mutter hinterlässt ihr neben einer Bernsteinkette, einem Adressbuch und der Handtasche die wichtige Botschaft: "Versuche, dein Leben zu machen …"
Die damals 21jährige Margot Bendheim taucht unter, versteckt sich, färbt sich die Haare, lässt sogar ihre Nase operieren, um unerkannt zu bleiben. Ständig muss sie ihre Unterkunft wechseln, ist auf das Wohl und die Gnade ihrer Helfer angewiesen, die ihre verzweifelte Situation mitunter ausnutzen und "Gegenleistungen" fordern, auch sexuelle. Margot hat wenig Chancen, sich dagegen zu wehren. Bombenangriffe, die in Berlin ab 1943 immer häufiger werden, sind für Margot und andere sogenannte "U-Boote" noch gefährlicher als für den Rest der Berliner Bevölkerung. Sie können keine Luftschutzbunker oder -keller aufsuchen und nur hoffen, nicht unter Trümmern begraben oder Opfer der Flammen zu werden. Im Frühjahr 1944 wird Margot von sogenannten jüdischen "Greifern" verhaftet. Die Gestapo zwang Juden, für sie als Fahnder zu arbeiten, um jüdische "Illegale" aufzuspüren. Trotz ihrer Kollaboration konnten viele "Greifer" in den meisten Fällen nicht verhindern, dass ihre Angehörigen deportiert und ermordet wurden.
Margot Bendheim wird nach ihrer Verhaftung in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Als die Nationalsozialisten kurz vor Kriegsende Auschwitz räumen und die Todeszüge auch Theresienstadt erreichen, begreift sie, dass sie ihre Mutter und ihren Bruder Ralph nie wiedersehen wird. Beide wurden, wie mehr als eine Million andere Verfolgte des Unrechtregimes, im Todeslager ermordet.
Margot überlebt. Nach der Befreiung heiratet sie Adolf Friedländer, einen Bekannten aus Berliner Theatertagen, den sie in Theresienstadt wiedergetroffen hat. Das Ehepaar emigriert in die USA, baut sich dort ein neues Leben auf. Erst nach dem Tod ihres Mannes besucht Margot 2003 auf Einladung des Berliner Senats ihre alte Heimatstadt. Seit 2010 lebt sie wieder in Berlin, besucht regelmäßig Schulen, um jungen Menschen über ihr Leben zu berichten.
Fragen Hannah Ley (Buch) und Raymond Ley (Buch und Regie)
Wie kam es zum Film?
Nico Hofmann lernte Margot Friedländer kennen und war von ihrer Geschichte sofort sehr berührt. Er und die UFA Documentary haben dann in Absprache mit dem ZDF angefragt, ob wir einen Film über das Leben von Margot Friedländer machen wollen – und es war uns eine Ehre. Zuerst war auch von einem rein fiktionalen Film die Rede. Aber die Kraft, das Margot Friedländer selbst noch von ihren Erlebnissen erzählen kann, ist ein solches Geschenk, das man nicht vermissen möchte.
Was war Ihnen beim Drehbuch und bei der Regiearbeit wichtig?
Beim Drehbuch war vor allem Hannah sehr wichtig, eine Frau zu zeigen, die den Mut und die Kraft bewiesen hat, immer wieder von vorne anzufangen. Margot ist, wie sie es selbst beschreibt, noch nicht erwachsen – "Ich hatte noch nie eine Entscheidung allein getroffen" – als sie plötzlich alleine auf der Straße steht und keine Familie, kein Zuhause mehr hat. Sie muss dafür immer wieder über Grenzen gehen, auf fremde Menschen zugehen, selbst wenn diese ihre Grenzen überschreiten. Und wir müssen immer wieder von dieser Zeit erzählen, vor Faschismus und Nationalsozialismus warnen.
Was waren die Herausforderungen?
Wie erzählt man von diesem Trauma, zuerst nichts mehr vom Vater zu hören und dann ist auch noch die Mutter weg, hat sich entschieden, mit dem Bruder zu gehen – wie wir heute wissen – in den Tod. Erschwerend kommt hinzu, dass Deutsche Margot versteckt haben und jüdische „Greifer“, deren Leben ebenfalls bedroht war, sie (wahrscheinlich) verrieten. Das darf aber bei Zuschauern nicht dazu führen, dass man plötzlich vergisst, wer die eigentlichen Täter waren, dass die Deutschen in der Mehrheit Hitler und die Nazis unterstützt haben. Entsprechend haben wir die Rolle der sogenannten "Greifer" in ihrer Zwangslage darzustellen versucht.
Wie haben Sie die Begegnungen mit Margot Friedländer erlebt?
Es war sehr besonders, sie kennenlernen zu dürfen. Sie kann sich an die meisten Dinge sehr genau erinnern, kämpft immer darum, dass sie genau verstanden wird, fragt nach, schreibt E-Mails. Margot Friedländer ist ein Wunder an Wachheit und Willensstärke und ein großes Vorbild, wie man altern kann und wie man mit der Verantwortung umgehen sollte, wenn man etwas zu erzählen hat.
Wie war es, Julia Anna Grob als junge Margot Friedländer zu inszenieren?
Julia hat uns – wie auch andere junge Darstellerinnen, ein E-Casting für die Rolle zugeschickt, und das hat uns sofort angesprochen und uns das Gefühl vermittelt, das ist "unsere Margot", sie kann das transportieren. Bei den Dreharbeiten war sie sehr ruhig und hat scheinbar gelassen diese große Verantwortung und das große Pensum, das wir bei diesem kleinen Budget am Tag zu leisten hatten, mit großem Mut und großer Begabung geschultert.
Fragen an die Schauspielerin Julia Anna Grob
Wie haben Sie sich auf die Rolle der jungen Margot Friedländer vorbereitet?
Ich habe mir viele Interviews mit Frau Friedländer angesehen und natürlich ihr Buch gelesen. Alle bedeutenden Stationen und Wendepunkte im Leben der jungen Margot zu kennen, war für mich bei der Vorbereitung essentiell. Vor jeder Spielszene genau zu wissen, woher Margot kommt und was sie gerade erlebt hat, hat mir geholfen, ihrer Gefühlswelt nachzuspüren. Natürlich habe ich mich im Vorfeld auch mit der Zeitgeschichte beschäftigt. Besonders relevant waren für mich "Die Ermittlung" von Peter Weiss und die Lektüre über jüdische "Greifer". Vor Drehstart gab es dann eine Leseprobe mit Raymond und Hannah Ley, bei der wir gemeinsam durch das gesamte Drehbuch gegangen sind.
Wie haben Sie die persönliche Begegnung mit Margot Friedländer empfunden?
Das war eine sehr besondere Begegnung. Frau Friedländer hat eine beeindruckende Kraft und Ausstrahlung. Bei unserem Treffen wurde mir bewusst, welche Verantwortung sich mit dieser Rolle verbindet und wie wichtig dieses Projekt ist. Ich durfte ihr viele Fragen stellen, sie zeigte mir Fotos ihrer Familie, und wir fuhren gemeinsam zur Joachimsthaler Straße in Berlin, wo sie damals verhaftet wurde. Besonders berührt hat mich der Moment, in dem sie mich bat, ihr eine Stelle aus ihrem Buch vorzulesen und sie plötzlich auswendig mitsprach. Da fühlte ich mich ihr sehr verbunden, als würden die Grenzen verschwimmen zwischen Frau Friedländer, der jungen Margot und mir als Darstellerin.
Wie war es für Sie als junge Frau einer solchen Zeitzeugin zu begegnen?
Das Treffen mit Frau Friedländer fand vor den Dreharbeiten der fiktionalen Szenen im Februar 2023 statt. Ich hatte mir bereits einige Interviews mit ihr angesehen und war sehr beeindruckt von ihrem Engagement und ihrer Bereitschaft, ihre Lebensgeschichte mit so vielen Menschen zu teilen. Davor habe ich großen Respekt. Frau Friedländer ist 101 Jahre alt und hat den Holocaust überlebt. Ich bin 25 Jahre alt und kenne den Holocaust nur aus Geschichtsbüchern. Eine Begegnung dieser Art relativiert so manches und rückt das eigene Leben in eine andere Perspektive. Es ist für mich sehr wertvoll, dass ich einer der letzten Zeitzeuginnen persönlich begegnen durfte. Dafür bin ich dankbar.
Haben Sie durch das Filmprojekt unerwartete Dinge erfahren?
Es war mir nicht bewusst, was es für eine Frau damals bedeutete unterzutauchen. Vielleicht habe ich zu naiv darüber nachgedacht, aber dass oftmals von den Helfenden als Gegenleistung mehr verlangt wurde als nur Putzen und Kochen, davon hatte ich bis dato nichts gehört oder gar gelesen. Vielleicht, weil viele Zeitzeuginnen und Zeitzeugen auch nicht darüber reden. Das hat für mich nochmal eine ganz andere Dimension eröffnet, was auch die junge Margot alles erlebt haben könnte oder gar erleben musste.
Über die Gastauftritte von Iris Berben, Charly Hübner, Herbert Knaup und Axel Prahl
Charly Hübner spielt im Film Alfred Berliner, einen Schauspieler am Theater des Jüdischen Kulturbunds. Alfred Berliner – so lautete der Künstlername von Alfred Balthoff – wurde 1905 in Peiskretscham/Oberschlesien geboren. Er absolvierte seine Schauspielausbildung in Wien und spielte in den 20er-Jahren in Breslau, Prag, Reichenberg und Berlin. Nach der Schließung des Jüdischen Kulturbunds 1941 überlebte er im Untergrund. Nach dem Krieg arbeitete er wieder als Schauspieler an Berliner Theaterbühnen, später auch in Düsseldorf und dem Burgtheater in Wien. Er starb 1989.
Axel Prahl hat im Film die Rolle von Reuter, der Margot Bendheim ihr erstes Versteck gewährt. In seiner Wohnung im Westen Berlins, die er sich mit zwei Untermietern und einem riesigen Hund teilt, erhält Margot Bendheim ein Bett in einem kleinen Verschlag und Essen. Als Gegenleistung hält Margot die Wohnung sauber.
Iris Berben spielt die Salonbesitzerin René, die in ihrer Wohnung illegale Glücksspiele betreibt. Sie gewährt Margot Bendheim Unterschlupf.
Herbert Knaup übernimmt die Rolle von Walter Velbert, den Margot in Renés Salon kennenlernt. Er finanziert und organisiert Margots Nasen-Operation.
Was war Ihr Motiv in einer Gastrolle bei dem Dokudrama über Margot Friedländer mitzuwirken?
Iris Berben:
"Ich bin Team Margot Friedländer! 2005 sind wir uns zur Eröffnung des Jüdischen Filmfestes zum ersten Mal begegnet. Wir stellten dort gemeinsam ihre Dokumentation "Don't call it Heimweh" im Roten Rathaus in Berlin vor. Seitdem treffen wir uns immer wieder auf Veranstaltungen, Lesungen, zum Austausch und zu kleinen gemeinsamen Essen mit Komplizen.
Nach wie vor versuche ich zu begreifen, wie es Margot Friedländer möglich ist, mit so viel Empathie, Geduld und Kraftaufwand – nach allem, was sie erlebt hat – jungen Menschen die Unvorstellbarkeit des Holocaust nahe zu bringen.
Sie ist mir Vorbild und Antwort. Margot Friedländer ist ein Mensch. Und mir bedeutet es so viel, dass ich ein winziges Puzzlestück in ihrem Leben sein darf. Diese Dokumentation, die das ZDF und die UFA Documentary ermöglichen, ist wiederum ein Puzzleteil, um zu erinnern, zu mahnen, nicht zu vergessen und nicht nachzulassen mit der Forderung: Die Würde des Menschen ist unantastbar."
Herbert Knaup:
"Mein Motiv bei dem Dokudrama über Margot Friedländer mitzuwirken war, zum einen die unglaublich dramatische Lebensgeschichte dieser Zeitzeugin mitzuerzählen, die als verfolgte und deportierte Jüdin den Holocaust überlebte, und zum anderen, den Regisseur Raymond Ley, mit dem ich schon bei "Eichmanns Ende" zusammenarbeitete, bei seiner mahnenden Arbeit des Nicht-Vergessens der menschlichen Gräuel am jüdischen Volk während der Nazi-Diktatur, zu unterstützen."
Axel Prahl:
"In Zeiten, in denen es zunehmend toleriert wird, den Holocaust zu leugnen oder klein zu reden, empfand ich es geradezu als meine Pflicht, den letzten Augenzeugen dieses Grauens Gehör zu verschaffen. Wider das Vergessen und gegen Antisemitismus!"
Kurzbiografie von Margot Friedländer, geb. Bendheim
Anni Margot Bendheim kam am 5. November 1921 in Berlin zur Welt.
Ihre Mutter, Auguste "Guschi" Bendheim, geb. Groß, wurde 1895 in Teschen, Oberschlesien geboren und führte nach dem Ersten Weltkrieg ein Knopfgeschäft in Berlin.
Ihr Vater, Arthur Bendheim, wurde 1892 in Langen bei Darmstadt geboren und kam als Kaufmann von Frankfurt am Main nach Berlin.
Auguste und Arthur heirateten am 4. November 1920 in Berlin; Arthur übernahm nach der Hochzeits Guschis Knopfgeschäft. Die Familie lebte in der Lindenstraße in Berlin-Kreuzberg.
Ralph Bendheim, Margots Bruder, wurde am 7. August 1925 geboren.
Margot besuchte die jüdische Schule an der Großen Hamburger Straße in Berlin-Mitte.
1936 beendete Margot die jüdische Mittelschule und schrieb sich an der Kunstgewerbeschule "Feige und Straßburger" für Mode- und Reklamezeichnen ein.
Im April 1937 trat Margot eine Lehrstelle als Schneiderin in einem kleinen Salon bei Rosa Lang-Nathanson an.
1937 verließ Arthur Bendheim die Familie, das Ehepaar ließ sich scheiden.
Wegen der seit 1935 geltenden "Nürnberger Rassegesetze" und der zunehmenden Bedrohung und Verfolgung von Juden im NS-Staat, versuchte Auguste Bendheim mit ihren Kindern ins Ausland zu emigrieren, doch alle Versuche scheiterten.
Im November 1938 erlebte Margot die Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung in Berlin: Plünderungen, brennende Synagogen, Gewalt und Verhaftungen. Infolge der Novemberpogrome verlor Margot ihren Ausbildungsplatz und arbeitete stattdessen für den Jüdischen Kulturbund, nähte Kostüme und wirkte als Statistin bei Theateraufführungen mit.
Vater Arthur Bendheim verließ Deutschland 1938 und ging nach Belgien. Er wurde später in Frankreich verhaftet und nach Auschwitz deportiert, wo er am 10. August 1942 ermordet wurde.
1939 musste Auguste Bendheim mit ihren Kindern in eine sogenannte "Judenwohnung" umziehen, die sich in der Skalitzer Str. 32 in Berlin-Kreuzberg befand.
1941 wurde Margot zur Zwangsarbeit in den Deuta-Werken in Berlin-Kreuzberg verpflichtet.
Im Januar 1943 wollte die Familie zu Verwandten in Oberschlesien fliehen. Einen Tag vor der geplanten Flucht verhaftete die Gestapo den 15-jährigen Ralph Bendheim in der Wohnung. Auguste Bendheim, die zu diesem Zeitpunkt nicht zu Hause war, beschloss ihrem Sohn in die Deportation zu folgen. Ihrer Tochter Margot, die wenig später in die Wohnung zurückkehrte, hinterließ sie ihre Handtasche, ein Adressbuch, eine Bernsteinkette und eine wichtige Botschaft: "Versuche, dein Leben zu machen."
Auguste und Ralph Bendheim wurden mit dem 27. "Osttransport" nach Auschwitz transportiert und dort ermordet.
Margot versteckte sich 15 Monate lang im Untergrund. Im April 1944 wurde sie von jüdischen "Greifern", die für die Gestapo arbeiteten, verhaftet und nach Theresienstadt deportiert.
In Theresienstadt traf sie Adolf Friedländer wieder, ehemals Verwaltungschef des Jüdischen Kulturbunds. Die beiden heirateten am 26. Juni 1945 nach der Befreiung des Konzentrationslagers in Theresienstadt.
1946 wanderten Margot und Adolf Friedländer in die USA aus und lebten in New York.
1997 starb Adolf Friedländer. 2003 kehrte Margot Friedländer erstmals nach Kriegsende nach Deutschland zurück; seit 2010 lebt sie wieder in ihrer Heimatstadt Berlin.
2011 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet; seit 2018 ist sie Ehrenbürgerin Berlins.
Sie besucht Schulen und Jugendeinrichtungen, um jungen Menschen von ihrem Leben zu berichten und gegen Antisemitismus und Rassismus zu wirken.
Zusammengestellt nach dem Buch von Margot Friedländer (mit Malin Schwerdtfeger): "Versuche, dein Leben zu machen." Als Jüdin versteckt in Berlin. 13. Auflage Januar 2022.
Zitate von Margot Friedländer
Warum ihre Familie in Nazi-Deutschland geblieben ist:
"1933 war ich zwölf Jahre alt. Das ist das Alter, wo ein junger Mensch anfängt zu leben, zu verstehen, was Leben ist. Meine Eltern waren Deutsche. Mein Vater hat im Ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft, war hoch ausgezeichnet. (…) Mein Vater hatte sein Geschäft, da war gar keine Rede von Auswandern. (…) Mein Vater hat gesagt, das (NS-Regime) hält sich nicht – bis 38."
Über den 9. November 1938:
"Das hat uns gezeigt: Hitler geht nicht, wir müssen gehen. Es war zu spät. Dann wurde es schwerer und schwerer."
Über den letzten vergeblichen Auswanderversuche der Mutter nach der Trennung der Eltern:
"Es ist zum Schluss eine Möglichkeit gewesen, nach Shanghai zu gehen. Aber da brauchte die Mutti die Genehmigung des Vaters für uns, weil wir noch nicht volljährig waren. Und sie hat ihm geschrieben, und er schrieb zurück: Was willst du mit zwei Kindern in Shanghai? Verhungern kannst du auch in Berlin."
Margot ist nicht da, als ihre Mutter Sohn Ralf folgt, der zur Deportation abgeholt worden war. Über die Nachricht und das Vermächtnis, dass ihr die Mutter über eine Nachbarin hinterlassen hat:
"Ich gehe mit Ralf, wohin auch immer das sein mag. Sagen Sie meiner Tochter, wenn Sie sie sehen, sie soll versuchen, ihr Leben zu machen. Das waren die Worte, die meine Mutter hinterlassen hat für mich. (…) Bevor ich gegangen bin, hat mir die Frau etwas in die Hand gedrückt. Ich habe gesehen, dass ist die Tasche meiner Mutter, und als ich sie aufgemacht habe, habe ich die Kette darin gefunden und ihr Notizbuch. Die Tasche hat es nicht überlebt, aber die Kette und das Adressbuch haben es überlebt. Eineinviertel Jahr war ich versteckt, ein Jahr in Theresienstadt – und ich habe sie immer noch."
Was ihr die Kette der Mutter bedeutet:
"Enorm viel, weil ich auch den Hintergrund kenne, was die Kette meiner Mutter bedeutet haben muss. (…) Bei jeder Lesung, die ich gebe und Erzählung zeige ich die Kette und das Notizbuch."
Was sie über ihre Mutter denkt, die Bruder Ralf begleitet und Margot zurückgelassen hat:
"Ich bin meiner Mutter unendlich dankbar für ihre Stärke. Eine Mutter weiß, was ihre Kinder sind und können. Er war der Schwächere. Er war der Jüngere. Sie wusste, dass ich die Stärkere bin. Ich kann mich nur bedanken, dass meine Mutter das getan hat und dadurch lebe ich."
Über ihre Mission:
"Ich spreche für alle, die man umgebracht hat. Nicht nur die sechs Millionen Juden, die vielen Tausenden von Menschen, die anders gedacht haben, die Roma, die Sintis. Sie sind umgebracht worden, weil Menschen sie nicht als Menschen anerkannt haben. Ich werde nicht mehr ewig leben, aber ich möchte, dass die nachfolgenden Generationen Zeugnis geben können. Respektiert Menschen, seid Menschen ‒ wenn man Mensch ist, kann man seine Hand nicht gegen andere erheben."
Appell von Margot Friedländer an junge Menschen
"Ich bin zurückgekommen, um mit Euch zu sprechen, Euch die Hand zu reichen, aber Euch auch zu bitten, dass Ihr die Zeitzeugen werdet, die wir nicht mehr lange sein können. (…) Es ist für Euch. Was war, das war, wir können es nicht mehr ändern. Es darf nur nie jemals wieder geschehen. Für Euch! Für Eure Kinder, für Eure Nachkommen."
Die Zitate stammen aus einem Interview, das 2021 für das ZDF geführt wurde.
Zusatzangebote zum Thema
Das 90-minütige Dokudrama "Ich bin! Margot Friedländer" bildet in der ZDFmediathek das Zentrum zahlreicher Beiträge zum Thema Holocaust und Verfolgung in der NS-Zeit. Auch in den Social-Media-Kanälen, bei "Terra X History" auf Instagram, "Terra X" History in YouTube sowie bei MrWissen2goGeschichte werden eigene Beiträge eine historische Kontextualisierung und Vertiefung der Lebensgeschichte von Margot Friedländer ermöglichen. Ausschnitte aus Interviews mit Margot Friedländer sind als Creative Commons kostenlos in der ZDFmediathek abrufbar.
Am Sonntag, 5. November 2023, 23.45 Uhr, zeigt das ZDF "Terra X History. Die einsamen Helden. Lebensretter in Zeiten des Todes", ein Film von Peter Hartl über Menschen, die bereit waren, Juden zu verstecken und vor dem sicheren Tod durch den NS-Terror zu bewahren.
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