INRI - Warum musste Jesus sterben?

Film von Christian Twente

Die szenische Dokumentation rekonstruiert die letzten Tage des Jesus von Nazareth: vom Eintreffen in Jerusalem bis zu seiner Kreuzigung vor den Toren der Stadt. Was sind historische Fakten, was Glaubensaussagen?
Christliche und jüdische Expertinnen und Experten ordnen ein. Dokumentarische Aufnahmen und computergrafische Animationen ergänzen die Darstellung. In den umfangreichen Szenen spielt Eidin Jalali Jesus, Stephan Grossmann verkörpert Pontius Pilatus und Laura Berlin Maria von Magdala.

  • ZDF Mediathek, ab Gründonnerstag, 28. März 2024, 10 Jahre lang
  • ZDF, Karfreitag, 29. März 2024, 22.20 Uhr

Texte

Stab und Besetzung

Buch                                       Friedrich Klütsch
Regie                                      Christian Twente
Regieassistenz                        Michael Kandalaft
Szenische Kamera                   Martin Christ
Dokumentarische Kamera        Moritz Bauer
Schnitt                                    Marc Schubert
Musik                                      Rudolf Moser
Produktionsleitung                  Silke Breidenbach (NFP), Philipp Müller (ZDF)
Producer                                  Christian Ehrhardt (NFP), Stefan Mausbach (ZDF)
Produzenten                            Clemens Schaeffer, Alexander Thies
Redaktion                                Peter Arens, Stefan Brauburger, Reinold Hartmann
Sendelänge                              circa 90 Minuten

Besetzung:
Jesus                                      Eidin Jalali
Judas                                      Lucas Prisor
Petrus                                     Isaak Dentler
Maria von Magdala                  Laura Berlin
Pontius Pilatus                        Stephan Grossmann
Kaiphas                                   Alexander Beyer

In weiteren Rollen: Arnd Klawitter, Valerie Sophie Körfer, Philip Birnstiel, Leander Lichti und andere.

Expertinnen und Experten (alphabetisch)
Prof. Dr. Shimon Gibson, Archäologe
Prof. Dr. Heidrun Mader, Theologin
Dr. Yonatan Moss, Religionswissenschaftler
Sabine Rückert, Gerichtsreporterin und Bibel-Podcasterin
Prof. Dr. Thomas Söding, Theologe
Prof. Dr. Dr. Dieter Vieweger, Archäologe und Theologe

Inhalt

Die szenische Dokumentation versucht, die letzten Tage von Jesus Christus zu rekonstruieren – von der Ankunft in Jerusalem bis zum Tod am Kreuz. Doch was ist Glaube, was historisch? Die Erzählung beginnt mit dem Eintreffen Jesu in Jerusalem mit einer kleinen Anhängerschaft, führt über den Eklat im Tempel, die Provokation der jüdischen Machthaber, den Prozess vor dem römischen Präfekten bis zur Vollstreckung des Urteils.

Welche Informationen geben historische Zeugnisse, welche Hinweise Quellen christlicher Autoren? Die Überlieferung von Christi Tod und Auferstehung hat die Welt verändert. Mit rund zweieinhalb Milliarden Menschen ist das Christentum die zahlenmäßig größte Religionsgemeinschaft. Der einzigartigen Wirkungsgeschichte von Jesus und seinen Nachfolgern steht die andauernde Diskussion um die Frage gegenüber, welche zuverlässigen historischen Informationen über den Glaubensstifter überhaupt vorliegen.
Da gibt es römische und jüdische Quellen, die Anhaltspunkte liefern, dass es Jesus gab, wann er lebte, wie er starb und was frühe Christen erlebten und erlitten. Und da sind die Schriften christlicher Autoren, vor allem die Evangelien, die mit den Augen des Glaubens auf Jesu Leben schauen, als historiografische Quellen aber umstritten sind. Doch gibt es Schnittmengen und begründete Annahmen mit Blick auf Personen, Handlungen und Orte.
Über eines besteht weitgehend Konsens: Es gab den jüdischen Wanderprediger namens Jesus, der vor 2000 Jahren in Judäa, Samaria und Galiläa wirkte, der Aufsehen erregte, Anhänger um sich scharte, bewegende Zeugnisse ablegte, nach Jerusalem zog und offenbar Mächte seiner Zeit durch seine Haltung derart provozierte, dass er dafür sterben musste.

Der Film versucht mithilfe von Experten, Schichten der Überlieferung abzutragen, um zum Ursprünglichen durchzudringen. Glaubensaussagen werden in Relation zu den historischen Ereignissen reflektiert. Dabei fußt der Film auf neuesten Erkenntnissen nicht nur christlicher, sondern auch jüdischer Expertinnen und Experten, welche die Passionsgeschichte gegenüber manch traditioneller Sichtweise in neuem Licht erscheinen lassen, etwa zur Frage nach der Rolle des Judas.
Szenische Rekonstruktionen stellen die Ereignisse um Jesus dar. Eidin Jalali verkörpert Jesus, Stephan Grossmann spielt Pontius Pilatus, und Laura Berlin ist Maria von Magdala. Dokumentarische Aufnahmen geben faktische Einordnung, Jerusalem wird durch computergrafische Animationen als zeitgenössische Kulisse wieder zum Leben erweckt.

Fragen an Drehbuchautor Friedrich Klütsch

Was hat Sie an diesem Filmprojekt gereizt?

Es bleibt eine der bewegendsten Geschichten der Menschheit und gleichzeitig eines ihrer größten Rätsel: Wie ist die Wirkmacht einer Botschaft zu erklären, die nicht nur den Tod ihres Schöpfers überlebt, sondern über die Jahrhunderte zum ideellen Fundament der größten Wertegemeinschaft der Welt wird?

Was waren die Herausforderungen beim Drehbuch für "INRI"?

Den Widersprüchen in der Überlieferung zu begegnen, deren Lücken zu füllen, die Brüche in der Handlungslogik zu überwinden, und vor allem die nachträglichen literarischen Eingriffe zu identifizieren und auszublenden.

Sie waren zum Teil bei den Dreharbeiten mit dabei. Wie kann man sich die konkrete Zusammenarbeit von Ihnen und Regisseur Christian Twente bei "INRI" vorstellen?

Gemeinsam ging es darum, unseren Schauspielern sozusagen an den Cherubim, den Wächtern des Paradieses, vorbei zu helfen, um sie – gegenüber den allzu bekannten Ereignissen der letzten Tage im Leben des Jesus – wieder in den Zustand einer erzählerischen Unschuld zu versetzen. Wir wollten sie dazu bringen, die Szenen so zu spielen, als ob sie nicht wüssten, wie sie ausgehen. Damit haben wir Platz geschaffen für Humor, Coolness, zuversichtliche Entschlossenheit, eben jene jugendliche Leidenschaft, wie sie auch damals die Revoluzzertruppe um Jesus ausgezeichnet und angetrieben haben muss.

Was war für die Auswahl der Expertinnen und Experten entscheidend?

Die wichtigsten "Gewerke" der Überlieferung und ihre Perspektiven auf die Passionswoche sollten vertreten sein: Archäologie, Geschichte, christliche und jüdische Theologie, Kriminologie, Literaturwissenschaft.

Es gibt viele Bibelfilme und Dokumentationen über Jesus. Wie unterscheidet sich "INRI" von anderen Jesusfilmen? Was ist aus Ihrer Sicht das Besondere an diesem Film?

"INRI" versucht eine vorösterliche Sicht auf die Ereignisse. Wir folgen den überlieferten Schlüsselmomenten, blenden dabei aber alle literarischen Elemente aus, die das Geschehen nachösterlich deuten, um es als Teil eines übergeordneten, kosmischen Heilsplans erscheinen zu lassen.

Sind Sie während der Arbeit am Film "INRI" auf Informationen oder Interpretationen zum Leben von Jesus gestoßen, die Sie überrascht haben?

"Überrascht" ist zu harmlos. Eine Textstelle in dem Werk "Jüdische Altertümer" des Historikers Flavius Josephus (geboren 37/38 n.Chr.) hat uns den entscheidenden Hinweis geliefert, mit welchen Absichten Jesus und seine Jünger und Jüngerinnen nach Jerusalem gegangen sind. Sie wollten den jüdischen Tempelkult verändern und mussten dafür den Hohen Rat überzeugen .

Die Fragen stellten Birgit-Nicole Krebs und Manuela Mehnert.

Fragen an Regisseur Christian Twente

Was hat Sie nach ihren Filmen über Karl Marx, Uli Hoeneß und Martin Luther an diesem Filmprojekt gereizt?

Reizvoll war für mich, einen frischen, nicht durch 2000 Jahre Überlieferungen und Traditionen geprägten Blick auf diese Geschichte zu wagen: die letzte Woche im Leben eines jüdischen Wanderpredigers wie eine Spurensuche in einem Kriminalfall zu erzählen und die Motive der an diesem Drama beteiligten Personen in den Mittelpunkt zu stellen, nicht die überlieferte Historie mit ihrer eigenen Agenda. Als ein Gerichtsdrama, dessen Ausgang die Ursache für eine der wirkungsmächtigsten Geschichten der Menschheit wurde.

Was waren die Herausforderungen bei der Regiearbeit für "INRI"?

Die größte Herausforderung war die Arbeit mit den Schauspielern, die sich natürlich sorgfältig auf ihre Rollen vorbereitet hatten. Jeder und jede hatte dabei ein Bild von seiner oder ihrer Figur entwickelt, das aber überlagert war von Weltanschauung, Erziehung, Geschichte, Interpretation. Mit allen zusammen auf den "Reset-Knopf" zu drücken: Pilatus, Kaiphas, Jesus und Judas in eine bestimmte Situation zu versetzen, ohne die Bedeutung und deren Folgen "mitzuspielen" und "mitzudenken", ist gar nicht so einfach, wie es sich vielleicht anhört.

Wie kann man sich die konkrete Zusammenarbeit von Ihnen und Drehbuchautor Friedrich Klütsch bei "INRI" vorstellen?

Für mich und Friedrich war es bereits die zweite Zusammenarbeit nach dem "Luther-Tribunal" für das ZDF im Jahre 2017. Wir sind daher schon ein eingespieltes Duo, und ich schätze insbesondere die Freiheit, die er der Regie und den Schauspielern lässt, sein Drehbuch umzusetzen.
In diesem Fall haben wir jedoch mehr als sonst im Vorfeld zusammengesessen und überlegt, wie wir es hinbekommen, dass wir zwar in historischen Kulissen und Kostümen spielen, dass sich die Szenen jedoch auch heute in einem Gerichtsdrama zutragen könnten. Der Schlüssel, den Friedrich Klütsch in seinem Drehbuch schon angelegt hatte, war die Sprache der Dialoge. Für die Art und Weise der Umsetzung habe ich mir vorgestellt, Jesus und seine Jünger seien eine "Revoluzzertruppe", die gegen ein autoritäres Establishment zu Felde ziehen will – mit friedlichen und handgreiflichen Mitteln. Und sie haben keine Ahnung, mit wem sie sich da eigentlich anlegen. So sind Friedrich und ich schließlich auf unseren gemeinsamen Nenner gekommen.

Was war für die Auswahl der Schauspielerinnen und Schauspieler ausschlaggebend?

Bei der Besetzung habe ich insbesondere darauf geachtet, dass die Unterschiede der zwei Gruppen – hier das Establishment mit Pilatus und Kaiphas, dort die jugendlichen Unruhestifter – direkt und auf den ersten Blick klar wird. Es brauchte jugendlichen Sturm und Drang auf der einen und eine routinierte und selbstgewisse Arroganz der Mächtigen auf der anderen Seite. Kolleginnen und Kollegen sollten diese historischen Rollen trotz ihrer Fallhöhe durch Erfahrung und Kaltschnäuzigkeit angehen können. Es ist allen ausnahmslos gelungen, wie ich finde.

Wieso wurden die Spielszenen in Marokko gedreht? Welche Vorteile hatte das?

In Marokko werden in der Wüstenoase Ouarzazate bereits seit den 60er-Jahren Spielfilme gedreht, angefangen mit dem Klassiker "Lawrence von Arabien" mit Peter O'Toole über "Königreich der Himmel" von Ridley Scott bis hin zu Serienhits wie "Game of Thrones". Die Filme sind an den Ausläufern des Atlasgebirges gedreht worden und die aufgebauten Kulissen kann man zum Teil noch heute nutzen.

Neben historischen Kostümen gibt es darüber hinaus erfahrene Schauspieler und ausreichend Komparserie für Massenszenen, ferner viele erfahrene Kolleginnen und Kollegen für die Arbeit hinter der Kamera. Viele Produktionen aus den USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland geben sich dort Jahr für Jahr buchstäblich die Studioklinke in die Hand. Wir waren im Mai 2023 eine davon.

Es gibt viele Bibelfilme und Dokumentationen über Jesus. Wie unterscheidet sich "INRI" von anderen Jesusfilmen? Was ist aus Ihrer Sicht das Besondere an diesem Film?

Jesus von Nazareth und seine Jünger werden hier nicht als salbungsvolle oder prophetische Märtyrer dargestellt, sondern als mutige Menschen, die die bestehende Ordnung verändern wollen. Dass sie ihr Leben oder das eines der ihren dabei riskieren, ist ihnen zunächst nicht klar. Als es nach ihren "Demos und Provokationen" vor Gericht um Leben und Tod geht, ist es bereits zu spät.
"Denn sie wissen nicht, was sie tun" – das gilt vielleicht sowohl für Jesus und seine Jünger als auch für das Establishment um den Hohepriester Kaiphas und Pontius Pilatus. Niemand von ihnen ahnt natürlich, was aus der Hinrichtung Jesu am Kreuz entstehen wird. Das macht einen anderen, einen unverstellten, faszinierenden Blick auf dieses Drama möglich.

Hat Ihre Arbeit an diesem Filmprojekt Ihre eigenen Vorstellungen von Jesus verändert?

Die Arbeit an diesem Filmprojekt hat meine Vorstellungen von Jesus nicht grundlegend verändert. Gewachsen ist und verändert hat sich mein Wissen und meine Vorstellung davon, wie und unter welchen Voraussetzungen eine Bewegung entstanden ist, die das Christentum genannt wird und in der ich selbst verwurzelt bin.
In dem Moment, als sich die Anhänger Jesu nach der Kreuzigung fragen mussten: "Welchen Sinn soll dieser grausame Tod unseres "Anführers" gehabt haben?", haben sie eine Antwort gefunden. Die Wirkungsgeschichte der Auferstehung und die Idee des Todes am Kreuz zur Erlösung von allen Sünden tritt für mich umso stärker hervor, wenn die Geschichte, wie es dazu kam, so gut es geht, auf den historischen Kern zurückgeführt wird. Ich würde mich freuen, wenn wir erreicht hätten, dass es auch den Zuschauern so ergeht.
Wir alle, ob Crew oder Cast haben im Laufe der Produktion herausgefunden: Wir sprechen zwar gerne von "unserer christlich-abendländischen Tradition und deren Wurzeln". Worauf die aber genau zurückzuführen sind, können die wenigsten auf Anhieb beantworten. Das hat sich bei mir jetzt geändert.

Die dokumentarischen Dreharbeiten fanden in Israel vor dem 7. Oktober 2023, dem Terrorangriff der Hamas auf Israel, statt. Wie haben Sie den Dreh vor Ort erlebt? Und wie beeinflussen Ihre persönlichen Erfahrungen mit Land und Leuten Ihren Blick auf die aktuelle Nachrichtenlage?

Line Producer Alon W., der als lokaler Mitarbeiter unsere Dreharbeiten in Israel organisiert hatte, hat uns am Montag, 2. Oktober 2023, am Flughafen in Tel Aviv abgesetzt. Drehschluss. Eine Woche später, nach dem von Hamas-Terroristen verübten Massaker, schickte er mir ein Foto, dass ihn in Kampfmontur mit MP um den Hals zeigte. Er war eingezogen worden. Den 7. Oktober hatte er bei Raketenalarm in Jerusalem mit seiner Familie unter der Kellertreppe kauernd verbracht.
Es war schon ein ambivalentes Gefühl, dann im Schnitt die eindrucksvollen Totalen Jerusalems und die Beautyshots der Qumran-Höhlen am Toten Meer (Westjordanland) zu bearbeiten – wissend, dass der Kollege, der diese Aufnahmen ermöglichte, gerade in den Gaza-Streifen einrückte.
Noch während wir drehten, haben wir mit ihm abends beim Essen über die Zwei-Staaten-Lösung gesprochen. Wieder zuhause in Deutschland, erfuhren die Diskussionen darüber angesichts der erschütternden Vorgänge eine dramatische Zuspitzung.

Die Fragen stellten Birgit-Nicole Krebs und Manuela Mehnert.

Fragen an die Initiatoren des Filmes

Was führte zur Entscheidung für diesen szenisch-dokumentarischen Jesus-Film?

Prof. Peter Arens, Leiter der Hauptredaktion Geschichte und Wissenschaft:
Wenn in unserer Gegenwart von Christentum die Rede ist, drängen sich zunächst Fragen auf, die vor allem die Lage der christlichen Kirchen betreffen, Mitgliederschwund, Reformstau, Missbrauchsfälle, Überalterung. Darüber berichten wir regelmäßig in unseren Sendungen. Selten geht es in den aktuellen Beiträgen und Debatten um den historischen Kern, die Ursprünge, die religiöse Botschaft, die zweifellos unseren gesellschaftlichen Wertekanon geprägt hat und sicher auch noch prägt. Und das wiederum führt uns zur Geschichte des Religionsstifters, Jesu Christi, zur Überlieferung von seinem Leben, Wirken und Sterben. Auch darauf gilt es bei aller Vordringlichkeit der Aktualität immer wieder Bezug zu nehmen, in einer zeitgemäßen Form, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sie zeigt, was historisch ist und was Glauben. Unser Film versucht, darauf Antworten zu geben.
Dafür lag es nahe, zwei Redaktionen mit der Entwicklung und Realisierung des Filmprojekts zu betrauen, die sich dem Thema sowohl aus historischer als auch theologischer Perspektive nähern. Glaubensaussagen werden in Relation zu den historischen Ereignissen reflektiert. Die Zusammenarbeit unserer Redaktion Kirche und Leben (evangelisch) und dem Fachbereich Zeitgeschichte hat sich schon bei früheren Projekten bewährt, etwa bei unserem Film über Martin Luther. Autor und Regisseur sind ein erfahrenes Duo. Auch diesmal hat der Produzent NFP Filmproduktion seine besondere Kompetenz bei der Umsetzung anspruchsvoller Stoffe in das Gemeinschaftsprojekt eingebracht. Für einen Film, der alle Zuschauer ansprechen soll.

Wie lassen sich religiöse und geschichtliche Inhalte im Film zum einen miteinander verbinden, zum anderen auch unterscheiden?

Stefan Brauburger, Leiter der Redaktion Zeitgeschichte
Auch nicht-christliche Schriftsteller der Antike nehmen auf Jesus und die Anfänge des Christentums Bezug. Skizzieren ihn als Gestalt der Geschichte im auch vom Neuen Testament umrissenen historischen Rahmen. Die Autoren berichten, dass er offenbar ein sehr wirkungsvoller und provokanter Prediger war, als besonders weise und tugendhaft galt. Dass er durch besondere Taten auffiel, auch Wunder vollbracht haben soll. Mehrmals wird die Kreuzigung erwähnt und dass sie unter Pontius Pilatus geschah. Auch vom Glauben an die Auferstehung Jesu von den Toten ist in den nichtchristlichen Quellen in berichtender Form die Rede, auch dass Jesus für die Christen der Messias sei, dass sie wegen ihrer Überzeugung verfolgt würden und sich für ihn opferten.
Und die biblischen Schriften? Selbst wenn man die so genannten Wunder, die Vorstellung von der Göttlichkeit Jesu, von der Bestimmung zum Opfertod und der Auferstehung ausdrücklich als Glaubensinhalte betrachtet, sind die Evangelien und Briefe des Neuen Testaments darüber hinaus vielfältige Zeugnisse eines Geschehens, die den Versuch einer historischen "Rekonstruktion" möglich machen. In der Ergänzung von archäologischen, historiografischen und theologischen Erkenntnissen und Komponenten liegt die Chance einer Darstellung, die Gläubige wie Zweifler nachvollziehen können.

Was machte das Christentum so umwälzend, und wie konnte es sich so rasch ausbreiten?

Dr. Reinold Hartmann, Leiter der ZDF-Redaktion Kirche und Leben (evangelisch):
Die christliche Botschaft handelt von Gnade, von Vergebung, vom kommenden Reich Gottes, das Heil bringt. Jesus galt als dessen Verkörperung, einer, der die Gesetze dieser Welt scheinbar auf den Kopf stellte: nicht nur Nächstenliebe, sondern auch Feindesliebe verlangte er seinen Anhängern ab, dass die Starken sich um die Schwachen kümmern, dass die Reichen den Armen helfen. Jeder Mensch war und ist in den Augen Gottes gleich viel wert, ob Dirne, Aussätziger, Zöllner oder Kaiser, jeder konnte gleichermaßen Gnade finden durch den Glauben, unabhängig von irdischem Rang und Gut. Das klang revolutionär und ist zeitlos. Christen sollten aber auch durch Taten überzeugen, durch Mildtätigkeit, Fürsorge, Aufopferung, Tugendhaftigkeit, Entsagung. So übten sie schon früh auf Menschen aller Schichten Faszination aus, auch auf Andersgläubige oder bislang Ungläubige. Für Europas politische Ideengeschichte prägend wurde die Vorstellung, dass die Würde des Menschen unantastbar ist und die hohe Bedeutung des persönlichen und freien Gewissens. Selbst wenn diese Einsicht gerade auch gegen kirchliche Machtansprüche und Traditionen immer wieder durchgesetzt werden musste.

O-Töne von Expertinnen und Experten

Quellenlage zu Jesu Leben

Prof. Dr. Dieter Vieweger, Archäologe und Theologe:
"Als Historiker betrachten wir etwas als gesichert historisch, wenn es von zwei ganz unabhängigen Quellen behauptet oder ausgesagt wird. Im Falle von Jesus ist natürlich die wichtigste Quelle das Neue Testament, die Evangelien. Die drei Evangelien Matthäus, Markus und Lukas sind ungefähr um 70 nach Christus geschrieben worden, das Johannesevangelium runde 110 bis 120 Jahre nach. Daraus ergibt sich:Schon die Schreiber der Evangelien sind keine Menschen, die Jesus direkt kennengelernt haben oder mit ihm sogar durch Galiläa oder Jerusalem gezogen sind. Betrachtet man nun die anderen Quellen, das heißt jüdische Quellen – Josephus Flavius oder den Talmud – oder römische Quellen – Sueton, Tacitus oder Plinius den Jüngeren – dann reduziert sich das, was man von beiden Seiten sagen kann, auf ein Minimum."

Fakten über Jesus

Prof. Dr. Dieter Vieweger, Archäologe und Theologe:
"In jedem Fall war er ein jüdischer Reformer. Er war dazu angetreten, den Glauben einfach besser zu machen, ihn mehr vom Herzen als vom formalen Tun her zu bestimmen. Und insofern glich er auch anderen, die in dieser Zeit aufgetreten sind, wie zum Beispiel Johannes dem Täufer, der ähnliche Ziele hatte. Aber, der wichtigste Punkt ist, dass er Leute hinter sich hatte, dass er Leute begeistern konnte und dass man ihn auch wirklich als Aufwiegler ansehen konnte. (…) In jedem Fall aber kann man sagen, dieser Jesus ist zwischen 30 und 34 unter Pontius Pilatus im Zusammenhang mit dem Pessachfest in Jerusalem gekreuzigt worden."

Über Jesus Einzug nach Jerusalem

Sabine Rückert, Gerichtsreporterin und Bibel-Podcasterin
"Er zieht mit großem Brimborium in Jerusalem ein. Es werden Palmwedel geschwenkt. Das sind Königsinsignien, die er da schwenken lässt. (…) Er lässt sich als König und Retter titulieren. Er sagt nichts dagegen, er unternimmt nichts dagegen. Er kommt auch nicht leise und still in die Stadt im Gedränge der Pilger, sondern er kommt mit einem großen Auftritt."

Prof. Dr. Thomas Söding, Theologe
"Der Einzug nach Jerusalem ist nicht nur eine spontane Aktion, das ist eine Inszenierung, eine Inszenierung, die auch funktioniert hat. Denn es geht darum, möglichst viel Aufmerksamkeit zu erregen. Aber wir dürfen uns keinerlei Illusionen hingegeben. Die allermeisten, die damals in Jerusalem waren, haben überhaupt nichts von diesem Ereignis mitbekommen. Aber diejenigen, die dabei gewesen sind, können und werden auch davon erzählt haben."

Über die Tempelaustreibung der Händler

Prof. Dr. Heidrun Mader, Theologin
"Was will er damit bezwecken? Er möchte nicht nur die einfachen Pilger erreichen, die sich schon in Jerusalem angesammelt haben, sondern auch die Mitglieder des Hohen Rates. Er möchte bei ihnen eine Diskussion anstoßen über den Tempelkult, wie der geführt werden sollte, nämlich als Bethaus und nicht als Ort des Handels. Dafür geht er ein Risiko ein und provoziert."

Warum der Verrat des Judas umstritten ist

Dr. Yonatan Moss, Religionswissenschaftler
"Er (Judas) kontaktiert die Behörden und verrät ihn. Das ist die Geschichte, die wir in den Evangelien finden. Wenn wir uns jedoch Paulus zuwenden, unserer viel früheren Quelle, die viel näher an der Zeit der Ereignisse selbst liegt, sehen wir eine ganz andere Geschichte. Wenn wir alle Schriften des Paulus' durchgehen, wird Judas nicht erwähnt. Es gibt keinen Hinweis auf einen Verrat (…) mit einer möglichen Ausnahme: … im ersten Korintherbrief, in Kapitel 11, gibt es ein Wort ("paradidoto") … das als Verrat gedeutet werden könnte, aber nicht als solcher gedeutet werden muss. Das Wort bedeutet wörtlich "übergeben". Nun kann das Übergeben von etwas oder jemandem ein Akt des Verrats sein, aber es kann auch einfach bedeuten, dass ich dir etwas übergebe. Die Verbform, in der es hier im Griechischen erscheint, kann "verraten" oder "übergeben" bedeuten. Es kann aber auch in einem reflexiven Sinn bedeuten (…) "sich selbst übergeben": "in der Nacht, als Jesus sich selbst übergab." Wenn wir es so lesen, haben wir es hier nicht mit einem Verrat zu tun, wir haben es hier nicht mit einem Verräter zu tun, sondern mit einem Akt der Selbstaufopferung."

Über die negativen Folgen der Verratsgeschichte:

Dr. Yonatan Moss, Religionswissenschaftler:
"Jeder, der die gesamte Passionsgeschichte und die Kapitel, die ihr vorausgehen, liest, steht vor einem großen Rätsel, das die Kirche über Generationen hinweg begleitet. Man könnte sagen, dass das Rätsel bis heute besteht: Wenn (…) der Tod Jesu am Kreuz uns von unseren Sünden erlösen soll, warum wird dann Judas dafür verantwortlich gemacht? Das sind Dinge, von denen wir wissen, dass sie lange Zeit für viel Zwietracht, Verfolgung und Gewalt zwischen Christen und Juden gesorgt haben."

Pontius Pilatus und die Strategie des Hohenpriesters Kaiphas

Prof. Thomas Söding, Theologe
"Pontius Pilatus sehe ich mit den antiken Quellen vor allen Dingen als einen Machtmenschen, der (…) relativ erfolgreich gewesen ist. Zehn Jahre als Prokurator hat kein anderer geschafft. Ich sehe ihn allerdings sowohl mit den jüdischen Quellen als auch mit den neutestamentlichen Quellen als jemanden, der sehr stark daran interessiert gewesen ist, keinerlei Zweifel an der römischen Herrschaft aufkommen zu lassen und jede Kritik im Keim zu ersticken."

Sabine Rückert, Gerichtsreporterin und Bibel-Podcasterin:
"Kaiphas hat gesagt: Das ist ein Widerstandskämpfer, der lässt sich hier als König feiern. Wer sich als König bezeichnet hat, der war tatsächlich des Todes. Und damit hat Kaiphas es geschafft, Pilatus auf seine Seite zu ziehen und einen Streit innerhalb des Judentums zu einer politischen Sache zu machen."

Über den Prozess gegen Jesus

Prof. Dr. Heidrun Mader, Theologin
"
Die Tempel-Aristokratie hat dafür gesorgt, dass ihre Gefolgsleute beim Prozess dabei sind. Und von denen hat Jesus nichts zu erwarten. Außerdem haben sie es früh auf den Morgen terminiert. Damit verhindern sie, dass sich die Nachricht von Jesu' Ergreifung verbreiten konnte. Und das würde dann auch wiederum den eklatanten Unterschied erklären zu der jubelnden Menge, die noch vor wenigen Tagen ihn in Jerusalem willkommen hieß."

Prof. Dr. Dieter Vieweger, Archäologe und Theologe:
Ich glaube nicht, dass dieser Jesus von Nazareth eine ganz besondere Person für ihn (= Pontius Pilatus) war. Und dass er aufgrund seines Urteils dann später von Millionen, Milliarden Menschen in ein Glaubensbekenntnis aufgenommen wird, das war ein Schicksal, von dem er an dieser Stelle überhaupt nicht ausgehen konnte."

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