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Kranke Geschäfte

Fernsehfilm der Woche

Armin Glaser (Florian Stetter), linientreuer Oberleutnant der Stasi, lebt mit seiner Frau Marie (Felicitas Woll) und Tochter Kati (Lena Urzendowsky) in der DDR in Karl-Marx-Stadt. Als bei Kati Multiple Sklerose diagnostiziert wird, hoffen sie auf eine neuartige Behandlung und geben sie in die Obhut von Dr. Sigurd (Corinna Harfouch). Doch schon bald treten Ungereimtheiten auf. Das von wahren Ereignissen inspirierte Polit-Drama thematisiert ein brisantes Kapitel deutsch-deutscher Geschichte: Medikamententests westdeutscher Pharmafirmen an DDR-Bürgern.

  • ZDF, Montag, 28. September 2020, 20.15 Uhr
  • ZDF Mediathek, Ab Montag, 21. September 2020, 10.00 Uhr
  • ARTE, Freitag, 25. September 2020, 20.15 Uhr

Texte

Ein krankes Geschäft
Von Günther van Endert, ehemaliger Redaktionsleiter Fernsehspiel II

Anlässlich des 30. Jahrestags der Deutschen Einheit fügen das ZDF und ARTE mit dem Polit-Drama "Kranke Geschäfte" der DDR-Darstellung im Fernsehen einen Fernsehfilm mit einem genauer eingegrenzten Thema hinzu, das aufgrund seiner emotionalen Kraft und Bedeutung über den historischen Fall hinaus weist.

Es war ein deutsch-deutscher Deal zum gegenseitigen Vorteil über die Staatsgrenze West hinweg. Die DDR stellte gegen Devisen kranke Patienten für Medikamentenversuche zur Verfügung. Die westdeutsche und internationale Pharmaindustrie griff darauf gerne zu.

Der Test von neu entwickelten Medikamenten ist Teil des Zulassungsprozesses. Nachdem die Medikamente verschiedene Prüfungen erfahren haben, werden sie Menschen verabreicht, um zu schauen, ob sie die gewünschte Wirkung erzielen. Das ist nicht frei von gesundheitlichen Risiken. Diese Tests unterlagen und unterliegen deshalb strengen Regularien. Auch die DDR hielt sich daran. Doch die Bestimmungen waren in den 80iger Jahren, in denen der Film spielt, bei weitem nicht so streng wie heute. Und unter dem Druck, Resultate gegen Devisen zu erhalten, wurde in Einzelfällen mit den Regularien eher fahrlässig umgegangen. Die Vorstellung, dass die DDR-Führung sozusagen wissentlich Tote produzieren ließ, ist allerdings grundfalsch. Der Film setzt sich mit dem Thema differenziert auseinander.

Er fasst Politik und Medizin in eine Kombination von Politkrimi und Familiendrama: Ein "Hundertfünfzigprozentiger", der auch Ende der 80iger Jahre noch fest an die Gerechtigkeit im DDR-Sozialismus glaubt und als Oberleutnant der Staatssicherheit Gegner des Regimes unbarmherzig verfolgt, ist der Vater einer erkrankten Tochter, die an einem Test teilnimmt. Im festen Glauben, westdeutsche Pharmafirmen hätten DDR-Ärzte mit Alkohol und Zigaretten bestochen, überschreitet er mehrfach seine Kompetenzen und kommt dem vermeintlich illegalen Deal auf die Spur. Der Kreis der Informierten ist begrenzt. Er fühlt sich um seine Ideale betrogen, wird ganz zum Vater, der um die Gesundheit seiner Tochter besorgt ist, und nimmt den Kampf gegen die große Stasi-Familie auf, deren stolzes Mitglied er bislang war. Seine Vorgesetzten wollen unbedingt die schon bröckelnde Fassade der gerechten sozialistischen Gesellschaft aufrechterhalten. Daran dürfen keine Zweifel aufkommen.

Der Film beruht auf jahrelangen Recherchen und wurde mit Hilfe mehrerer Fachberater produziert. Neben den erwachsenen Schauspielerinnen und Schauspielern ist besonders auch das Spiel der jungen hervorzuheben. Und es ist das letzte Werk des großen Regisseurs Urs Egger, der noch einmal zeigt, was er kann und was ihn unvergesslich macht.

Stab und Besetzung

ZDF: Montag, 28. September 2020, 20.15 Uhr
ZDFmediathek: ab Montag, 21. September 2020, 10.00 Uhr
ARTE: Freitag, 25. September 2020, 20.15 Uhr
ARTE online: ab Freitag, 18. September 2020, 10.00 Uhr

Kranke Geschäfte
Der Fernsehfilm der Woche

Stab
Buch_____Johannes Betz
Regie_____Urs Egger
Kamera_____Lukas Strebel
Schnitt_____Benjamin Hembus
Ton_____Robert Dufek
Musik_____Ina Siefert
Szenenbild_____Adéla Háková
Kostüme_____Stáña Šloserová
Maske_____Monika Cabáková
Produktionsleitung_____Benedikt Böllhoff, Jan Unger
Herstellungsleitung_____Oliver Nommsen, Johanna Paulke
Produktion_____Rat Pack in Ko-Produktion mit An der Gassen Film
Produzenten_____Franziska An der Gassen, Christian Becker
Redaktion ZDF_____Günther van Endert
Redaktion ARTE_____Olaf Grunert
Länge_____105 Minuten

Die Rollen und ihre Darsteller
Armin Glaser_____Florian Stetter
Marie Glaser_____Felicitas Woll
Kati Glaser_____Lena Urzendowsky
Dr. Sigurd_____Corinna Harfouch
Staatssekretär_____Jörg Schüttauf
Florian Diller_____Johannes Allmayer
Günther Jungclausen_____Matthias Matschke
Elmar Weisbrand_____Alexander Beyer
Oberst Peterhans_____Stephan Grossman
Niki_____Amber Bongard
Schwester Ingeborg_____Nina Gummich
Clemens Markow_____Sebastian Hülk
Prof. Warsinsky_____Falk Rockstroh
Fr. Zimmermann_____Sanne Schnapp
Rainald Necker_____Udo Samel

Inhalt

DDR 1988. Armin Glaser, linientreuer Oberleutnant der Stasi, lebt mit seiner Frau Marie und Tochter Kati in Karl-Marx-Stadt. Als bei Kati die Krankheit Multiple Sklerose diagnostiziert wird, hoffen sie auf eine neuartige, vielversprechende Behandlung im Bezirkskrankenhaus.

Im Glauben, das Richtige zu tun, geben Armin und Marie ihre Tochter in die Obhut von Dr. Sigurd. Schon bald lassen Armin Ungereimtheiten bei der Behandlung misstrauisch werden. Er nutzt seinen Rang in der Stasi, um an Informationen zu kommen. Doch je mehr er sich der Wahrheit nähert, desto weniger kann er sie glauben. Kann es sein, dass westdeutsche Pharmakonzerne ihre noch nicht zugelassenen Medikamente an ahnungslosen ostdeutschen Bürgern – und gerade an seiner Tochter – testen?

Armin will seine Tochter sofort wieder aus der Klinik holen, doch Marie ist dagegen. Sie hofft, dass Kati so eine Chance auf ein Medikament erhält, das sie im Osten niemals bekommen würde. Auch auf die Unterstützung seines Vorgesetzten Oberst Petershans kann Armin nicht zählen, da er vermutet, dass die Regierung in die Medikamententests verwickelt ist. Armin geht es längst nicht mehr nur um seine Tochter, sondern auch um die eigene bröckelnde Ideologie und um zwei Staaten, die scheinbar den Handel mit kranken Menschen billigen. Bei seiner unerbittlichen Suche nach Antworten zieht er die Aufmerksamkeit von Akteuren auf sich, die eine ganz eigene Agenda verfolgen. Als seine Familie in deren Fokus rückt, muss Armin sich entscheiden.

Statement der Produzentin
Von Dr. Franziska An der Gassen

"Westdeutsche Pharmafirmen testeten Medikamente an ostdeut­schen Bürgern" – so lautete die Headline einer Tageszeitung, die ich im Jahre 2013 las. Da ich selbst ostdeutscher Herkunft bin und in Ost-Berlin aufwuchs, konnte ich diese Schlagzeile und den dazugehörigen Artikel kaum glauben. Auch mein familiäres Um­feld, Freunde und Bekannte aus der ehemaligen DDR und BRD, teilten meine Verwunderung. Niemand von ihnen hatte je von die­sen Tests gehört. Und so begann ich selbst zu diesem Thema  zu recherchieren.

Ich nahm Kontakt zu verschiedenen Bundesministerien, dem Stasiarchiv, dem Bundesarchiv, Medizinhistorikern und Experten auf. Mit einem Team bestehend aus Journalisten, Fachberatern und Rechercheuren trugen wir über 600 Originalakten, Stasido­kumente, Patientenakten, Studienbelege, Aufklärungsbogen, Verträge, historische Gesetzestexte und vieles mehr als Primär­quellen zusammen. Darauf basierend entwickelte ich mit dem Autor Johannes Betz die Idee für eine fiktionale Geschichte um einen linientreuen Stasioberleutnant, der durch eine Erkrankung seiner Tochter die Machenschaften seines Staates und des "Klas­senfeindes" BRD aufdeckt.

Innerhalb der filmischen Erzählung war uns der multiperspektivi­sche Ansatz, bestehend aus verschiedenen Ost- und West-Handlungssträngen, und damit einhergehend einer ambivalenten Betrachtung des Themas wichtig. Hier gibt es kein Schwarz und Weiß. Kein Gut und Böse. Keine klaren Täter und Opfer. Ich bin der Ansicht, dass die Pharmatests an ostdeutschen Bürgern in dieser Form stattfinden konnten, weil es durch Staatsform, wirtschaftliche Verhältnisse, zeithistorische und gesellschaftliche Umstände einen Nährboden auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs dafür gab.

Ich freue mich, dass der Film im Umfeld des 30jährigen Jubiläums der Wiedervereinigung erstausgestrahlt wird – er behandelt eines der letzten noch nicht aufgearbeiteten Themen der deutsch-deutschen Geschichte.

"Kranke Geschäfte" ist der letzte Film unseres Regisseurs Urs Egger, der nach Fertigstellung des Films leider verstarb. Diesen Film begleitete er bis zum Schluss mit viel Herzblut und großer Liebe für seinen Beruf.

Urs Egger – Ein Nachruf
Von Günther van Endert

"Kranke Geschäfte" ist der letzte Film des Regisseurs Urs Egger. Am  Ende der Dreharbeiten machte sich seine heimtückische Krankheit mit Macht bemerkbar. Urs kämpfte über viele Monate mit einem unglaublich starken Überlebenswillen. Die gesamte Endfertigung des Films geschah noch unter seiner Leitung. Im Januar 2020 hat er den Kampf verloren.

Die Lücke, die sein Tod reißt, lässt sich nicht schließen.

Urs war Schweizer. Das war auch nach vielen Jahren in Deutschland unüberhörbar und wurde vollends klar, wenn man ihn mit Schweizer Freunden erlebte. Er hatte andererseits etwas von einem Weltbürger. Nach der Schule trampte er jahrelang um die Welt, um sich zu finden, wie es sein Bruder auf der Beerdigung in Berlin ausdrückte. Dann wusste er, was er wollte und studierte an der renommierten AFI in Los Angeles, im Mekka des Filmschaffens. Diese amerikanische Ausbildung und ein immenser Erfahrungsschatz kamen seiner Arbeit zu Gute. Er verstand und erfühlte jeden Sachverhalt und jede Filmfigur in aller Schärfe und Tiefe. Urs war hundertprozentig gefangen vom Regieführen. Small Talk auf allfälligen Branchentreffen war nicht sein Ding.

Urs war ein Alleskönner. Er beherrschte jedes Genre und jede Spielart eines Genres. Seine Handschrift war druckvoll und zielorientiert, aber sprang nicht immer gleiche ins Auge, sondern passte sich an jedes einzelne, jedes unterschiedliche Projekt an, bis an die Grenze der Unidentifizierbarkeit.

Eine um Vollständigkeit bemühte Aufzählung seiner Filme würde mehrere Seiten füllen. Ein erstes großes Ausrufezeichen setzte er mit dem mehrteiligen Politthriller "Opernball". "Blond: Eva Blond" war die originelle Story einer besonderen Kommissarin, "An die Grenze" das preisgekrönte Drama um einen DDR-Grenzschützer. Ihm folgte neben vielem anderen die Literatur-Verfilmung nach Hennig Mankell "Kennedys Hirn". Urs setzte den populären ZDF Samstagskrimi "München Mord" in die Welt und erzählte in "Die Seelen im Feuer" von der spätmittelalterlichen Hexenverfolgung. "Brief an mein Leben" war ein subtiles Burnout-Drama, das historische Epos "Gotthard" auch eine Referenz an die Schweizer Heimat.

Vor allem anderen aber bleibt in Erinnerung, dass Urs ein ausgesprochen geradliniger und äußerst empfindsamer Mensch war. Als sein Mitstreiter konnte man dafür dankbar sein, dass er immer sehr genau wusste, was er wollte und wie er den jeweiligen Stoff anpacken würde. Den Urs musste man einfach mögen. Sein Tod traf die Branche wie ein Schock.

"Hey hey, my my, Rock and Roll can never die" von Neil Young war einer seiner Lieblingssongs. Urs wird in den Herzen und Gedanken seiner Freunde und in seinem umfangreichen Werk weiterleben.

"Medikamente müssen getestet werden"
Interview mit Florian Stetter (Rolle: Armin Glaser)

"Kranke Geschäfte" erzählt von Medikamententests an DDR-Bürgern. Was wussten Sie über das Thema, bevor Sie das Drehbuch gelesen haben?

Ich wusste nichts darüber. Mir ging es dabei, glaube ich, wie vielen anderen Bürgern. Die Tests erstreckten sich über ganz Europa, die DDR war nur ein Land von vielen. Das ist wichtig zu wissen.

Medikamente werden nach wie vor getestet, bevor ein Präparat die Zulassung bekommt. Wie stehen Sie zu dieser Praxis?

Medikamente müssen getestet werden, bevor sie auf den freien Markt kommen. Alles andere wäre fahrlässig. Aber es muss transparent zugehen. Das heißt, der freiwillige Proband muss wissen, worauf er sich einlässt: dass eine Besserung des Krankheitsbildes gegebenenfalls nicht stattfinden kann und dass es schmerzhafte Nebenwirkungen geben könnte und anderes. Tiere haben natürlich keine Wahl, das ist ebenfalls ein Problem, aber das wäre eigens zu diskutieren.

Das Drehbuch von Johannes Betz ist fiktiv, basiert jedoch auf realen Fakten. Wie haben Sie sich vorbereitet? Konnten Sie zur Vorbereitung mit Beratern oder sogar betroffenen Zeitzeugen sprechen?

Ich hatte das Glück Menschen treffen zu dürfen, die in der DDR gelebt und einen Bezug zu unserem Thema haben. Der Journalist Carsten Opitz, der eine sehr wertvolle Doku über die Medikamententests in der DDR gedreht hat, hat mich sehr unterstützt. Die Gespräche mit ihm waren nachhaltig und haben mir sehr geholfen, eine Ahnung der Atmosphäre der Zeit Ende der 80er in der DDR zu bekommen, konkret auch bezüglich Politbüro, Ärztesituation und MfS, Ministerium für Staatssicherheit. Carsten hat mir auch von vielen persönlichen Erinnerungen berichtet. Ebenso Roland Jahn, der Leiter der Stasiunterlagenbehörde. Er war sofort bereit, mich bei meiner Recherche zu unterstützen. Ganz unkompliziert konnte ich ihn treffen und er gab mir wertvolle Auskünfte, gerade den MfS-Apparat betreffend. Außerdem  telefonierte ich mit einem ehemaligen MfS-Oberst. Das Gespräch war allerdings eher skurril als informativ. Auch eine Erkenntnis.

Sie spielen den Stasi-Offizier Armin Glaser, einen mehr als linientreuen Genossen, dessen Tochter an Multipler Sklerose erkrankt. Im Laufe des Films distanziert er sich zunehmend von seiner eigenen Behörde und dem System der DDR. Was ist Armin Glaser für ein Mensch?

Armin Glaser ist ein Mensch, der zuvorderst in einem für ihn perfekt funktionierenden System lebt. Er ist linientreu, hat eine gute Position, eine attraktive Frau und eine Tochter. Er ist ein angesehener Bürger, eine Art Vorbild. Und plötzlich bricht ihm alles weg durch die Krankheit seiner Tochter. Er verliert die Fäden, spürt Machtlosigkeit, Hilflosigkeit. Bisher konnte er immer lenken, jetzt nicht mehr. Er kann seiner Tochter nicht selbst helfen, muss anderen vertrauen. Und damit hat er große Probleme. Er hat gelernt misstrauisch zu sein, alles und jeden zu hinterfragen, anzuzweifeln. Das hat ihn auf eine Art erkalten lassen. Diese Fähigkeit nützt ihm zwar, um das System hinter den Medikamententests aufzudecken, aber er kann seine Tochter dadurch trotzdem nicht retten. Viel wichtiger erscheint mir, dass er lernt, über den eigenen Tellerrand zu schauen, weich zu werden, und zum Beispiel am Ende beim Depeche Mode-Konzert seine Tochter so zu sehen, wie sie ist und nicht so, wie er sie gerne hätte. Auch seine Frau sieht er am Ende viel mehr in ihrer Ganzheit als zu Beginn. Durch den Wegfall von Status und Sicherheit kommt er zu sich selbst, wird liebesfähig.

Sie sind selber Vater von zwei Kindern. Wie würden Sie mit einer solchen Situation umgehen?

Ich denke, es ist nachvollziehbar, dass man als liebende Eltern am Ende immer zuerst um das Wohl des eigenen Kindes besorgt ist und dafür alles tun würde.

Sie sind in der Bundesrepublik aufgewachsen. "Kranke Geschäfte" ist nicht Ihr erster Film, der in der ehemaligen DDR spielt. Was für persönliche Erinnerungen haben Sie an die DDR? Und was ist es für ein Gefühl, sich in die damalige Zeit zu versetzen?

Ich habe keine persönlichen Erinnerungen an die DDR, da ich damals noch Kind war und keine Verwandtschaft in der DDR hatte. Ich wuchs in Bayern auf. Es sind Andere, die mir über ihren Alltag in der DDR berichtet haben, Menschen aus der DDR. Das sind für mich die wertvollen Informationen, die mir eine Ahnung über das Leben in der DDR gegeben haben. Übrigens oft viel farbenfroher und lebenslustiger, auch normaler, als die westliche Informationsmaschine uns das damals beispielsweise in der Schule vermittelt hat.
Ich mag es gerne, historische Filme zu drehen. Einen Zugang zu finden in eine mir erstmal ferne Zeit, ähnlich wie ein Journalist, mich durch Recherche immer weiter hineinzufinden. Das bereitet mir große Freude, gerade die Begegnung mit Zeitzeugen und die lebendige Auseinandersetzung in Gesprächen und Diskussionen.

Welche Rolle spielen Szenenbild, Maske und Kostüm?

Szenenbild, Maske und Kostüm spielen eine wichtige Rolle für mich. Je genauer, je feiner diese Gewerke arbeiten, desto leichter ist es für mich, ein Gefühl, einen Geschmack dieser Zeit real zu bekommen. Sie helfen mir bei der Zeitreise. Die Zusammenarbeit macht zumeist große Freude. Wie ein Puzzlespiel setzt man gemeinsam die Figur äußerlich zusammen und definiert sie.

Die realen Geschehnisse des Films liegen 30 bis 40 Jahre zurück. Warum, denken Sie, ist der Stoff nach wie vor interessant für die Zuschauer?

Solche Tests werden nach wie vor gemacht. Und man sollte vorsichtig mit ihnen sein, nach wie vor. Das Kleingedruckte lesen, nachfragen, sich das genau überlegen, ob man sich bestimmten Risiken aussetzen möchte.

"Kranke Geschäfte" ist die letzte Regiearbeit von Urs Egger. Wie haben Sie gemeinsam Ihre Rolle entwickelt? Was war das Besondere an der Zusammenarbeit? Wie war die Stimmung am Set?

Urs Egger war ein Regisseur wie man ihn sich als Schauspieler nur wünschen kann: Mutig, humorvoll, voller Können, visionär. Ein Mann, der genau wusste was er erzählen will und gleichzeitig mich als Spieler vollends sieht, neugierig ist auf mich und meine Interpretation der Rolle, mir Raum gibt. Mich ermutigt, die Figur so komplex und widersprüchlich wie möglich zu machen. Es war eine Freude mit ihm zu arbeiten. Ich vermisse ihn, er fehlt schmerzhaft. Eine Freundschaft entstand zwischen uns.
Ich möchte auch seinem Freund und unserem Kameramann Lukas Strebel danken. Urs und Lukas waren perfekt eingespielt, sie haben uns immer positiv unterstützt, das große Set wurde zu einem angstfreien Raum. Das ist in unserer Branche nicht immer selbstverständlich.

Das Interview führte Evelyn Tapavicza.

"Marie ist wie eine Löwin"
Interview mit Felicitas Woll (Rolle: Marie Glaser)

Sie haben selber auch eine Ausbildung als Krankenschwester und sind somit vom Fach. Wussten Sie von den Medikamentenstudien in der DDR, bevor Sie das Drehbuch erhielten? Wie haben Sie sich informiert? Konnten Sie mit Beratern oder Zeitzeugen sprechen?

Die Ausbildung habe ich damals angefangen, aber auch schon in der Probezeit abgebrochen. Ich musste mich entscheiden und habe mich fürs Schauspiel entschieden. Vor den Dreharbeiten zu "Kranke Geschäfte" wusste ich nichts über diese Studien. Informationen bekommt man gut über das Internet, wir haben aber auch intensive Leseproben mit unserem Autor und Regisseur gehabt, die uns viel Input und Material mitgegeben haben. Ansonsten hat meine Figur auch erstmal kein Wissen darüber, was wirklich passiert und wird im Laufe des Films darüber aufgeklärt.

Medikamententest sind auch heute noch eine gängige und notwendige Praxis auf dem Weg zur Zulassung eines Medikaments. Wie bewerten Sie das Vorgehen von damals?

Ich denke, dass solche Studien nicht passieren dürfen, wenn Betroffene nicht ausführlich informiert werden. Der Schaden kann einfach zu groß sein. Wenn der Profit über das Menschenrecht gestellt wird, ist das nie der richtige Weg – damals wie heute.

Ihre Figur Marie Glaser ist Mutter einer an Multiple Sklerose erkrankten Tochter. Ihre Teilnahme an einer medizinischen Studie scheint die einzige Möglichkeit für eine Behandlung. Doch sie spürt die zunehmende Skepsis ihres Mannes. Wie geht Marie mit dieser Situation um?

Für Marie steht erstmal ihr Kind an erster Stelle. Sie will vertrauen, so wie es viele Eltern und Betroffene es tun. Sie versucht zunächst, mit klarem Verstand mit der Situation umzugehen, aber je mehr die Wahrheit ans Licht kommt, merkt auch sie, dass das Ganze ein großes Geschäft ist und es nicht wirklich um die Gesundheit ihrer Tochter geht. Das erzeugt  auch Spannungen in der Familie. Und man sieht, wie die Eltern in Konflikte geraten. Marie ist wie eine Löwin, die kämpft, aber immer im Sinne ihrer Familie.

Maries Welt gerät zusehend aus den Fugen, die Repressalien des DDR-Regimes treffen sie privat und beruflich. Kann man sich so etwas heute noch vorstellen? Was wäre aus heutiger Sicht eine vergleichbare Situation?

Alles ist vorstellbar. Medizin ist auch ein großes Geschäft. Das kann das Leben eines Betroffenen auf den Kopf stellen, da einem oft die Hände gebunden sind und man zu wenig weiß. Das Thema ist immer noch genauso aktuell wie damals.

Sie sind selber Mutter zweier Kinder. Wie muss Marie sich fühlen? Wie würden Sie mit einer entsprechenden Situation umgehen?

Die Situation kann ich nachvollziehen. Sich machtlos zu fühlen ist schrecklich. Man mobilisiert alle Kräfte, die man besitzt, und versucht in erster Linie positiv zu denken und Vertrauen zu haben, dass alles richtig ist, was man tut. Und auch den Ärzten zu vertrauen. Heutzutage gibt es viele Möglichkeiten, sich Wissen anzueignen oder mehrere Meinungen einzuholen und auch alternative Möglichkeiten nicht außer Acht zu lassen.

Sie sind in der Bundesrepublik aufgewachsen. Welche Erinnerungen haben Sie noch an die DDR? Wie haben Sie die "Zeitreise" des Drehs erlebt? Welchen Anteil haben Szenenbild, Maske und Kostüm?

Solche Zeitreisen sind als Schauspielerin immer besonders spannend. Maske und Kostüm haben eine solche Kraft, dich sofort in die jeweilige Zeit zu versetzen. Dieses Gefühl liebe ich besonders an meinem Beruf. An die ehemalige DDR habe ich keine Erinnerungen, ich war zu klein. Aber ich erinnere mich gut an den Moment der Maueröffnung. Wir hatten damals einen kleinen Fernseher, die Antenne stand meistens schief irgendwo daneben, um ein gutes Bild zu bekommen. Ich kam in die Küche und sah auf dem Bildschirm die vielen Menschen, alle weinten und lachten. Meine Familie war auch vollkommen aufgewühlt. Ich hab das gar nicht verstanden, worum es genau geht. Auch der Begriff "Mauer", war mir vollkommen fremd. Im kindlichen Universum gibt es keine "Mauern". Dieses Universum ist mir das liebste.

"Kranke Geschäfte" ist die letzte Regiearbeit von Urs Egger. Wie haben Sie gemeinsam Ihre Rolle entwickelt? Was war das Besondere an der Zusammenarbeit? Wie war die Stimmung am Set?

Darüber nachzudenken, dass ich Urs nicht mehr sehen kann, macht mich traurig. Ich habe so gerne mit ihm gearbeitet und bin so froh, ihn als Regisseur und Mensch kennengelernt zu haben. Er ist ein ruhiger und klarer Mensch gewesen, der sehr genau hingesehen hat. Die Stimmung war trotz des Themas sehr gut und entspannt. Wir waren viel im Gespräch über die Figur und auch die einzelnen Szenen, er war immer bei seinen Schauspielern und dadurch habe ich mich sehr wohl gefühlt. Aber ich habe ihn bei der Premiere sehr vermisst. Und er wird weiterhin fehlen!

Das Interview führte Evelyn Tapavicza.

"Jede Erfahrung ist bereichernd"
Interview mit Lena Urzendowsky (Rolle: Kati Glaser)

"Kranke Geschäfte" erzählt von Medikamententests in den letzten Jahren der DDR. Sie selber sind erst nach dem Mauerfall in Berlin geboren und aufgewachsen. Welchen Bezug haben Sie zu dieser Zeit? Kannten Sie das Thema bereits, bevor Sie das Drehbuch gelesen haben? Wie haben Sie sich ihm genähert?

Da ich ein Kind der Wiedervereinigung bin, sprich meine Mutter aus der DDR und mein Vater aus dem Westen stammt, hab ich einen starken persönlichen Bezug zu der Zeit. Das Thema DDR ist sehr präsent in meiner Familie. Erinnerungen meiner Mutter und Gespräche über ihre Erfahrungen haben mir sehr bei der Rollenvorbereitung und Recherche geholfen. "Medikamententests" hingegen waren mir selbstverständlich ein Begriff, vor der Castinganfrage aber nicht unbedingt ein Bereich, mit dem ich mich inhaltlich viel beschäftigt hatte.

Sie spielen die 14jährige Kathi, die an Multipler Sklerose erkrankt ist. Ohne ihr Wissen wird sie Teil einer Medikamentenstudie. Auch heute müssen Medikamente vor ihrer offiziellen Einführung getestet werden. Wie stehen Sie dem Thema gegenüber?

Ich möchte einmal vorweg sagen, dass ich mich zwar im Zuge der Dreharbeiten ausgiebig mit der Thematik beschäftigt habe, ich aber weder Ärztin, noch Pharmazeutin, noch Orakel bin. Ich als Privatperson denke jedoch, Medikamentenstudien bleiben nach wie vor ein ethisches Dilemma. Klar ist jedoch, dass es unter keinen Umständen zu rechtfertigen ist, die Patienten nicht um ihre Einwilligung zu bitten, sondern Sie über ihren Kopf hinweg als Versuchskaninchen zu benutzen.

Für Kati geht es zum einen um das Aufhalten ihrer Krankheit. Zum anderen entwickelt sie zusehends den Wunsch, sich von ihren Eltern abzunabeln und aus dem engen Familienkorsett auszubrechen – was durch die Krankheit, aber auch das politische System erschwert wird. Wie haben Sie Ihre Rolle angelegt? Was war Ihnen besonders wichtig?

Kati ist eigentlich gerade an dem schönen Punkt, an dem man mehr und mehr den Drang verspürt, unabhängig von den Eltern und deren Sichtweisen zu werden. Da ist es natürlich umso schwerer für sie zu ertragen, dass sie durch ihre Krankheit erstmal in eine noch viel größere Abhängigkeit zurückgeworfen wird. Die Einschränkungen und die anfängliche Ratlosigkeit erdrücken sie. Die Angst um ihre Zukunft mischt sich mit dem beklemmenden Gefühl, die eigenen Eltern machtlos zu sehen.

Das Konzert von Depeche Mode1988 in Ost-Berlin steht für Katis Wunsch nach Freiheit und kündigt gleichzeitig das Ende der DDR an. Wie viel Identifikationspotential bietet Musik? Und was bedeutet sie Ihnen persönlich? Hatte eine Band, ein Musiker/Musikerin eine ähnliche Bedeutung für Sie?

Das Konzert steht für Kati auch für die neu gewonnene Freundschaft zu Niki und ihrem Willen, den eigenen Sehnsüchten trotz der erschwerten Bedingungen nachzugehen. Dass Musik ein großes Identifiktionspotential hat, steht für mich gar nicht zur Debatte. Aus eigener Erfahrung kann ich sogar sagen: Je brisanter die persönlichen und politischen Umstände sind, in denen man sich befindet, desto emotionaler und größer wird meine Bindung zu bestimmter Musik und der zugehörigen Band. Dann lädt sich ein Lied sozusagen mit dem Erlebten auf.

"Kranke Geschäfte" ist die letzte Regiearbeit von Urs Egger. Wie haben Sie gemeinsam Ihre Rolle entwickelt? Was war das Besondere an seiner Arbeit? Wie war die Stimmung am Set? Wie war die Zusammenarbeit mit Schauspielern wie Florian Stetter, Felicitas Woll, Corinna Harfouch?

Ich hatte eine tolle Zeit. Urs hatte einen großartigen Humor und trotz der vielen traurigen Szenen war die Stimmung am Set immer positiv. Urs stand mir in der Vorbereitung sehr zur Seite. Wir haben uns beispielweise mit einem Mediziner getroffen, der uns viel über MS erklärt hat. Darüber hinaus habe ich große und sehr hilfreiche Unterstützung durch die "Deutsche MS Gesellschaft" in Berlin und insbesondere von Janine Malik bekommen. Sie hat sich extra Zeit für mich genommen, um sehr ehrlich und offen mit mir zu reden.
Ich bin sehr dankbar, noch die Chance gehabt zu haben, Urs kennen lernen zu dürfen. Jede Regisseurin, jeder Regisseur arbeitet anders und jede Erfahrung ist bereichernd. Zu Urs hatte ich überdies aber auch privat ein sehr herzliches Verhältnis.
Ähnlich geht es mir mit all den anderen Darstellern, von denen ich bei dieser Arbeit lernen und zuschauen durfte. Ich habe viel mitgenommen und gleichzeitig großartige Bekanntschaften gemacht.

Das Interview führte Evelyn Tapavicza.

Interview mit Felicitas Woll als Audio-Datei

Hier finden Sie ein Interview mit Felicitas Woll sowie eine eine eine pdf-Datei mit der Abschrift des Interviews.

Weitere Informationen

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