Mainzer Stadtschreiberin 2025

Annett Gröschner

Die in Berlin lebende Schriftstellerin Annett Gröschner ist Mainzer Stadtschreiberin 2025. Die Urkunde zum Mainzer Stadtschreiber Literaturpreis von ZDF, 3sat und der Landeshauptstadt Mainz wurde ihr am Donnerstag, 3. April 2025 im Rahmen eines Festaktes überreicht.

Texte

Die Schriftstellerin Annett Gröschner ist Mainzer Stadtschreiberin 2025

Der Mainzer Stadtschreiber Literaturpreis von ZDF, 3sat und der Landeshauptstadt Mainz wurde am 3. April 2025 zum 40. Mal verliehen. Die Schriftstellerin Annett Gröschner ist Mainzer Stadtschreiberin des Jahres 2025.

"Originell und erfahrungssatt" nennt die Jury das vielfältige Werk der Autorin Annett Gröschner. "Ihre Erzählungen, Essays und Romane fügen sich zu einem dichten Gewebe, in dem sie die deutsche Geschichte auf wache und immer anregende Weise einfängt. Als neugierige Chronistin nicht nur der eigenen Biografie im Osten Deutschlands spürt sie mit einem feinen Sensorium für Vergessenes und Verdrängtes den Lebensläufen von Menschen und dem Schicksal von Orten nach. Ihre Offenheit und Empathie taucht die Welt dabei jedes Mal in neues Licht."

Der Preis

Der von ZDF, 3sat und der Landeshauptstadt Mainz vergebene Literaturpreis ist mit 12.500 Euro dotiert. Die Preisträgerin erhält für ein Jahr Wohnrecht in der Stadtschreiberwohnung im Herzen der Mainzer Altstadt sowie das Angebot, gemeinsam mit dem ZDF und 3sat einen Film nach freier Themenwahl zu produzieren. Die erste Preisträgerin war 1985 Gabriele Wohmann, es folgten bekannte deutschsprachige Autorinnen und Autoren wie Günter Kunert, Sarah Kirsch, Monika Maron, Sten Nadolny, Ilija Trojanow, Josef Haslinger, Judith Schalansky, Eva Menasse, Dörte Hansen und Julia Schoch.

Pressemitteilung zur Preisverleihung

Die Pressemitteilung zur Preisverleihung mit Zitaten von ZDF-Programmdirektorin Dr. Nadine Bilke, dem Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Mainz Nino Haase, der Kulturdezernentin der Landeshauptstadt Mainz Marianne Grosse und der österreichischen Schriftstellerin Kathrin Röggla (Laudatio) finden Sie hier.

Dankesrede der neuen Stadtschreiberin Annett Gröschner zur Preisverleihung am 3. April 2025

Dankesrede der neuen Stadtschreiberin Annett Gröschner zur Preisverleihung am 3. April 2025 im Mainzer Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA)

 

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Nino Haase,

sehr geehrte Frau Programmdirektorin Dr. Nadine Bilke und Frau Kulturdezernentin Marianne Grosse, liebe Petra Knapp

liebe Juryvorsitzende Dr. Susanne Becker

Sehr geehrte Jury,

Liebe Kathrin Röggla.

Liebe Zuhörende …

 

Ich bedanke mich mich sehr herzlich bei der Jury, mich zur 40. Stadtschreiberin gekürt zu haben. Schon alleine die 4 in der Zahl beglückt mich, aber das nur nebenbei und für Eingeweihte.

Ich bedanke mich beim ZDF für die Pressearbeit und bei der Stadt Mainz für Ihre Gastfreundschaft. Wenn man aus etwas ruppigeren Gegenden kommt wie ich, wo ein „ist in Ordnung“ oft der höchste Grad an Lob ist und ein „Tach“ mit Kopfnicken die gängigste Form der Begrüßung, hat Ihre Freundlichkeit etwas Überwältigendes. In den drei Tagen, in denen ich hier bin, bin ich schon viel in der Stadt herumgekommen, wurde zweimal am Mantel als Stadtschreiberin erkannt und angesprochen und habe als meinen Lieblingsplatz das Stadtschreiberinnenwohnungsfenster zum Markt erkoren, wo ich, wie der Vetter in E.T.A. Hoffmanns letzter Erzählung und aufgestützt auf ein Kissen wie mein alter Berliner Nachbar, das Treiben zehn Meter unter mir verfolge. Es könnte auch meine Heldin Hanna Krause auf ihrem Kran sein.

Im Moment als ich diesen Satz schrieb, stand der Kellner des Cafés gegenüber auf dem Balkon mit dem schön ziselierten Gitter und sah aus, als wollte er eine Rede ans Volk unter ihm halten, dabei war er nur am Abkassieren. Glauben Sie mir, ich würde lieber im Café sitzen und die Leute beobachten, als eine Rede zu halten, denn ich schreibe lieber. Noch lieber recherchiere ich.

 

Ich werde jetzt auch nicht 25 Stunden reden wie Cory Booker im US-Senat, um die Demokratie gegenüber der Autokratie zu verteidigen, obwohl ich das für dringend nötig halte, ich werde aber die Viertelstunde, die ich habe, nutzen, um Sie zu bitten, mit mir die Perspektive zu wechseln. Besser gesagt, ist es eher der Versuch einer kurzzeitigen Änderung Ihrer Perspektive. Es geht um meine literarische Heldin Hanna Krause (1913-1993) aus dem Roman „Schwebende Lasten“, „die zwei Revolutionen, zwei Diktaturen, einen Aufstand, zwei Weltkriege und zwei Niederlagen, zwei Demokratien, den Kaiser und andere Führer, gute und schlechte  Zeiten erlebt hat“, und über die Marie Schmitt in der SZ gesagt hat, dass sie eine „vollkommen einzigartige literarische Figur ist. Dass man aber Frauen wie sie womöglich selbst gekannt hat“, ein Satz, der mich beglückt hat, fühlte ich mich doch verstanden. Und es geht um Hannas Töchter und Enkelinnen, Frauen mit „zu hoher Erwerbsneigung“, mit dem Hang, lieblose und unproduktive Beziehungen zu beenden, wofür sie im Einigungsvertrag diskriminiert wurden und bis vor die UNO gingen, und dem Willen, über ihren Körper selbst zu bestimmen, der sich nicht abgewöhnen lässt, denn es ist ein unkürzbarer Teil der Freiheit, die ich meine.

 

In meinem Roman Schwebende Lasten gibt es eine kleine Szene, in der eine Schizophrenie beschrieben wird, die ich die zwei Realitäten nennen möchte, mit denen Leute wie ich aufgewachsen sind und: (Achtung: Parenthese in Klammern): die es aus der Perspektive einer fünfzehnjährigen jungen Poetin, wie es damals hieß, und jüngstes Mitglied des Zirkels schreibender Arbeiter des VEB Schwermaschinenbau Georgi Dimitroff, als schier undenkbar hätte erscheinen lassen, 46 Jahre später Stadtschreiberin von Mainz zu werden.)

Es geht um Hanna Krause, die Blumenbinderin und Kranfahrerin und ihr Sonntagsritual als Rentnerin in den 1970er Jahren:

„Neben dem Mietergarten blieben Hanna ihre Pflanzenzüchtungen, die Einkaufstouren, die Kindeskinder, die Konsummarken und der Schreibtischkalender. Mit dem saß sie jeden Sonntag am Couchtisch vor dem Fernseher und trug die Sendungen des Ersten und Zweiten Deutschen Fernsehens, die sie interessierten, in das Kalendarium ein. Die Programmvorschau war für solche wie sie bestimmt, für die arme Verwandtschaft im Osten, in deren Fernsehzeitung die Westsender fehlten. Eigentlich hätte Hanna sie gar nicht gebraucht, weil der Fernseher sowieso vom Aufstehen bis zum Sendeschluss lief, aber sie mochte die Vorschau, weil dort kleine Ausschnitte gezeigt wurden, die manchmal besser waren als die Sendung selbst, und eigentlich reichte es ihr schon, sich von der schönen Fernsehansagerin betören zu lassen. Sie roch gut, nach Lavendel, da war Hanna sich sicher. Vielleicht gefiel ihr die Ansagerin auch deshalb, weil sie so stark mit den Männern kontrastierte, die danach dermaßen im Zigarren­ und Zigarettenrauch des Internationalen Frühschoppens eingehüllt waren, dass man sie nur schemenhaft erkennen und höchstens an den Stimmen unterscheiden konnte. Sie redeten über Politik und weißen Käse, wie Hanna sich ausdrückte, wenn sich neben ihr wieder eins ihrer Enkelkinder langweilte und das seltsame Ritual dieser Sendung erklärt bekommen wollte.“

Immer, wenn ich zum Ende des Jahres hin den Stapel Schreibtischkalender in den Buchläden sehe, muss ich an meine eigenen Großmütter und ihr Ritual denken und an das Klacken des Schalters des Konverters neben dem Fernseher, mit dem man die zweiten Programme empfangen konnte. ZDF zum Beispiel.

Wenn man wie ich in einem Gebiet lebte, in dem Ost und Westsender gut mit Hausantenne zu empfangen waren, lebte man in zwei Welten, mit den Füßen im Osten, mit einem Teil des Hirns im Westen. ((Zweite Parenthese in Klammern (sie alle sind eine Hommage an meinen am Montag verstorbenen Freund und Kollegen Lothar Trolle und seine Vorliebe für Parenthesen in oft sieben bis zehn Klammern): Vergleichbares gab es für mich erst wieder während der zwei Welten von Corona, in echt und im Zoom.)) In der Schule wurde gefragt, ob die Uhr in den Nachrichten Ziffern oder Striche hat und wie damals weiß ich nicht, was die richtige Antwort gewesen wäre, für die Lehrerin, die selbst heimlich Westfernsehen guckte.

Ich wehrte mich, indem ich das aktive Fernsehen für einige Zeit einstellte (Parenthese 3: obwohl der Fernseher in fast jedem Haushalt permanent lief, das habe ich fast vergessen, so wie wir heute ohne Pause auf unser Smartphone starren). Ich wurde eine begeisterte Radiohörerin und blieb es. Im Westfernsehen gab es selbst in Schwarzweiß eine bunte, aufregend andere Welt, besonders wenn französische, amerikanische oder Spielfilme des neuen deutschen Films liefen, abgesehen von der Werbung, deren Produkte aus dem Fernseher rochen. Romantik des Kapitalismus, hat meine Kollegin Peggy Mädler das genannt. Wir hatten schon damals den Hang, uns selbst und unsere Welt als langweilig und uninteressant anzusehen.

Wenn ich mir heute gelegentlich und um zu entspannen, alte „Kommissare“ oder „Tatorte“ ansehe, bekomme ich Schnappatmung angesichts des Frauenbildes, das da transportiert wird und das mit dem, was ich zur selben Zeit um mich herum erlebte, nicht soviel zu tun hatte und damit meine ich nicht nur die bessere Kleidung. Ich bin erleichtert, wieviel wir doch erreicht haben in Sachen Gleichstellung in dieser gemeinsamen Gesellschaft, auch wenn es uns Feministinnen viel zu langsam und mühsam vorkommt.

Damit komme ich zur Perspektive, die in unsere Körper eingeschrieben ist.

Hanna Krause ist erst Kleinhändlerin und dann Arbeiterin in Magdeburg. Mindestens drei Minuspunkte aus westdeutsch-bürgerlicher Sicht (Name, Beruf, Herkunft). Von außen, das sich für normal hält (Parenthese 4: über normal müssen wir auch reden), wird sie viel zu häufig als „einfache Frau aus einfachen Verhältnissen“ beschrieben. Dieses Attribut EINFACH empört mich, hat mich schon immer empört, wird mich weiter empören.

Als wäre man, wenn man als „gut“ verheiratete Frau auf Erwerbstätigkeit nicht mehr angewiesen war, automatisch, ja was eigentlich? Was ist in dem Fall das Gegenteil von einfach? Kompliziert, differenziert, mondän oder geht es eigentlich um höherwertig? Schon 2023, als ich zusammen mit Peggy Mädler und Wenke Seemann das Buch „Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat“, schrieb, ja eigentlich in sieben Nächten erzählte, haben wir dieser anderen Perspektive viel Zeit gewidmet, weil sie uns über 30 Jahre nach der Wiedervereinigung unangemessen und denkfaul vorkam. Ich wage dort eine These: „Die ostdeutsche Frau unterscheidet sich soziologisch nicht wesentlich von der Westfrau aus unterprivilegierten Verhältnissen. Wären wir statt in der Rostocker oder in der Magdeburger Platte in den Neubauten des Westberliner Märkischen Viertels aufgewachsen, wäre unsere Kindheit von anderen Süßigkeiten und Warenfetischen geprägt gewesen. Aber wir wären genauso als Schlüsselkinder vollberufstätiger Mütter groß geworden, die dann eben in den Westberliner Industriebetrieben Schicht gearbeitet hätten, während wir im Fahrstuhl kokelten. Was bedeutet: Im Bild der Ostfrau zeigt sich vor allem der Kontrast zu unseren Kommilitoninnen, Kolleginnen und zu den in den Medien präsenten Frauen unserer Generationen, die ja selten Arbeiterinnenkinder sind, sondern überwiegend aus westdeutschen bürgerlichen Verhältnissen kommen. Sie sind der Maßstab.“ Und wir Kinder einer „arbeiterlichen Gesellschaft“ (Wolfgang Engler), die auch die Intellektuellen einschloss.

Viel zu viele von uns, vor allem unter denen, die Kind waren, als die DDR implodierte, haben ihre Herkunft konsequent verleugnet, einer Karriere willen, die eine Plattenbaukindheit in Cottbus-Sandow, Leipzig-Grünau oder Halle-Süd in den seltensten Fällen zuließ. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Gelegentlich wird nach der Lektüre von „Schwebende Lasten“ angesprochen, wie privilegiert wir Frauen hier und heute doch seien, angesichts der Biografie von Hanna. Ja, das stimmt zum einen, ist aber gleichzeitig nur die halbe Wahrheit. Denn es gibt auch heute noch, auch hier Frauen, die unter ähnlichen Verhältnissen leben oder gekommen sind. Das, was wir Privilegien nennen, sind eigentlich keine, es sind Menschenrechte, die für alle gelten. Und was die reproduktiven Rechte angeht, unter deren Fehlen Hanna leidet. Abtreibung ist ja mit dem §218 immer noch strafbar, und es gibt eine gar nicht so kleine Bewegung, die den Aufklärungsunterricht an den Schulen einschränken will.

Viel zu oft machen Politikerinnen, wenn sie es denn geschafft haben, viel zu wenig Politik für Frauen, auch Angela Merkel gehörte dazu, und ich bleibe dabei, der Grad an Gleichstellung misst sich nicht daran, ob eine Frau per Quotierung (und ich bin für Quotierung) in den Vorstand eines Großkonzerns gekommen ist, sondern unter welchen Bedingungen und mit wievielen Rechten ihre Putzfrau lebt.

Und gerade können wir sehen, wie unsere mehr schlecht als Recht funktionierenden Rechte in Gefahr sind.

Freiheit ist auch oft nicht weiter, als nichts zu verlieren zu haben, um mit Janis Joplin zu sprechen. Freiheit ist anstrengend, viel zu oft ungerecht, die bevorzugt die, die schon alles haben. Aber eine ungerechte Freiheit ist nichts gegen Autokratie und Diktatur, auch wenn das alles dialektisch miteinander verbunden ist.

Eine Autokratie ist eine besonders perfide Form des Patriarchats und fängt meistens mit der Einschränkung von Frauenrechten an. Sie werden vielleicht sagen, ein Verbot des Genderns schränkt unsere Frauenrechte doch nicht ein. Ich sage: das ist nur der Anfang. Es reichte doch, allen freizustellen, wie sie sprechen oder schreiben. Die politische Rechte, die in den letzten Jahren jede Art von wokem Sprachgebrauch als Sprachpolizei verdammt hat, benimmt sich nun genau wie eine solche. Wie einfach es ist, Defizite in der Gleichstellung aufzulösen, sieht man in den USA. Man verbannt einfach Wörter wie female, sex und gender, inequality und discrimination aus den offiziellen Verlautbarungen staatlicher Institutionen und schon lässt sich gar nicht mehr über Ungerechtigkeiten und fehlende Gleichstellung reden. Es gibt die Worte nicht mehr dafür. Als hätten die Architekten der Regierung Trump2, und das Gendern ist hier nicht nötig, „Handmails Tale“ von Margarete Atwood als Gebrauchsanweisung benutzt und es gleichzeitig aus den öffentlichen Bibliotheken verbannt.

Angehörige meiner Generation sind in Ost wie West aufgewachsen mit der Idee, dass die Menschheit sich immer in Richtung Fortschritt entwickelt und nun müssen wir konstatieren, dass wir alle auf einem Pendel sitzen und dass sich das in Richtung Vergangenheit bewegt. Wir haben kaum noch Zeit, es aufzuhalten. Etwas kaputt zu machen, geht ganz schnell, etwas aufzubauen, dauert Jahrzehnte.

Einer der billigsten Zaubertricks des Faschismus ist: Sprich einer Gruppe die Menschlichkeit ab und schon gelten die Menschenrechte nicht mehr für sie.

Wir müssen da gar nicht nach Russland oder in die USA schauen, die Gefahr, mit autokratischer Politik bei den Rechten zu punkten, gibt es auch bei Parteien, die sich als demokratisch verstehen.

Christina Clemm, die Anwältin für Frauenrechte, schrieb heute auf Instagram und sie meinte damit Deutschland: Man kann das individuelle Asylrecht abschaffen, man kann friedliche Proteste kriminalisieren, man kann kritische Stimmen verbieten. Aber dann ist man eben zumindest ein autoritärer Staat. Und man möchte ergänzen: Die Kriminalisierung von Armut und die Abschaffung des Informationsfreiheitsgesetzes gehört dazu. Auch dass Kindern und Jugendlichen aus unterprivilegierten Verhältnissen durch Kürzungen in der Bildungsarbeit der Zugang zu Kultur erschwert wird und im zynischen Gegenzug Kultur dann als zu privilegiert, um mit Hilfe von Steuergeldern gefördert zu werden, angeprangert wird.

Die leider früh verstorbene ostdeutsche Feministin und Malerin Annemirl Bauer hat es Ende der 1980er auf den Punkt gebracht und der Regisseur Torsten Körner hat es in seinen beiden Filmen „Die Unbeugsamen“ 1 und 2 über Frauen in Ost und West als gesamtdeutsches Motto vorangestellt: Frauen, wenn wir heute nichts tun, leben wir morgen wie vorgestern. Aber, um mit Brecht zu reden, das soll uns nicht entmutigen. Wir sollten vorbereitet sein, auf das, was uns auch hier erwartet, wenn wir nicht aufpassen. Wir haben keine Zeit mehr. Und hüten wir uns vor vorauseilendem Gehorsam. Wie der geht, können Sie uns Diktaturgeschädigte fragen, nicht nur die ostdeutschen, auch die osteuropäischen, türkischen, syrischen Menschen, die hier leben.

Auf dem Fischtorplatz am Rhein in Mainz steht das Mahnmal der deutschen Einheit. Ein gespaltener Steinblock mit der Aufschrift: Deutschland ist unteilbar. Mal abgesehen davon, dass damals, 1961, als es errichtet wurde, ein anderes Deutschland gemeint war, das aus der ersten Strophe des Deutschlandliedes, müssen wir konstatieren. Deutschland ist nach wie vor geteilt, in Ost und West, in arm und reich, in Zugezogene und Sesshafte, Frau und Mann.

Aber die Differenz muss ja per se nichts Schlimmes sein, wenn alles in Bewegung und in der Diskussion bleibt und nicht das eine gegen das andere ausgespielt wird.

Das Differenzmonster in mir sagt: Mensch, Annett, das ist doch hier alles viel zu holzschnittartig, mach doch mal Kupferstich. Ja, gern, sage ich, aber ich bin ja keine Rednerin, sondern Schriftstellerin und da durchaus in Dialektik bewandert. Und in Gummitwist, aber das ist jetzt eher wieder intern.

Kurzbiografie Annett Gröschner

Annett Gröschner, geboren 1964 in Magdeburg, lebt seit 1983 in Berlin, zunächst als Germanistik-Studentin, später als Publizistin bei verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen. 1993 erschien ihr erster Gedichtband "Herzdame Knochensammler", es folgten unter anderem die Romane "Moskauer Eis" (2000) und "Walpurgistag" (2011) sowie mehrere Essay- und Erzählungsbände. 2024 veröffentlichte sie das Sachbuch "Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat", in dem sie zusammen mit Peggy Mädler und Wenke Seemann Klartext redet und eine große Gesellschaftsdiskussion entfacht. Das Buch wurde ein Bestseller. Zuletzt schrieb sie an ihrem Roman "Schwebende Lasten" (Erscheinungstermin: 20. März 2025), in dessen Mittelpunkt die Kranfahrerin Hanna Krause steht, deren wechselvolle Lebensgeschichte beispielhaft ist für ein Frauenleben im Osten Deutschlands im 20. Jahrhundert.

Gröschner wurde vielfach ausgezeichnet. So erhielt sie 1989 den Anna Seghers-Preis sowie 2021 den Großen Kunstpreis Berlin (Fontane-Preis) und für ihr Gesamtwerk den Klopstock-Preis des Landes Sachsen-Anhalt.

Antrittslesung der Mainzer Stadtschreiberin 2025

Die Antrittslesung findet am Freitag, 4. April 2025, um 19.00 Uhr im Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA) in Mainz statt.  

 

LEIZA
Ludwig-Lindenschmit-Forum 1
55516 Mainz

kostenfreie Eintrittskarte erhältlich über https://mainzplus-kostenfrei.reservix.de/p/reservix/event/2380044

Die Jury

Der Jury für den Mainzer Stadtschreiber Literaturpreis 2025 gehören an: Dörte Hansen, Eva Menasse, Peter Stamm, Feridun Zaimoglu, ZDF-Programmdirektorin Dr. Nadine Bilke, ZDF-Kulturchefin Anne Reidt, 3sat-Koordinatorin Natalie Müller-Elmau, 3sat-Literaturkritiker Dr. Michael Schmitt, ZDF-Kulturredakteurin Dr. Susanne Becker (Jury-Vorsitzende), die Mainzer Kulturdezernentin Marianne Grosse sowie die Mainzer Stadtschreiberin 2024 Julia Schoch.

Fotohinweis

Fotos sind erhältlich über ZDF Presse und Information, Telefon: 06131 – 70-16100, und über https://presseportal.zdf.de/presse/mainzerstadtschreiberin2025

Weitere Informationen

Der Mainzer Stadtschreiber-Literaturpreis in Web und App des ZDF.

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