Mittagsstunde
Der Fernsehfilm der Woche
Ingwer Feddersen, 47 Jahre alt und Dozent an der Kieler Uni, fragt sich schon länger, wo eigentlich sein Platz im Leben sein könnte. Als seine "Olen" nicht mehr allein klarkommen, beschließt er, dem Leben in der Stadt den Rücken zuzukehren, um in seinem Heimatdorf Brinkebüll im nordfriesischen Nirgendwo ein Sabbatical zu verbringen. Doch im Dorf ist nichts mehr, wie es einmal war.
- ZDF Mediathek, ad ut ab Samstag, 24. August 2024, 20.15 Uhr, 30 Tage lang (auch in plattdeutscher Fassung)
- ZDF, ad ut Montag, 26. August 2024, 20.15 Uhr
Texte
Stab und Besetzung
Stab
Regie Lars Jessen
Drehbuch Catharina Junk nach dem gleichnamigen Roman von Dörte Hansen
Bildgestaltung Kristian Leschner
Musik Jakob Ilja
Montage Sebastian Thümler
Ton Matthias Wolf
Szenenbild Dorle Bahlburg
Kostümbild Anette Schröder
Produktion Eine Produktion der Florida Film GmbH in Koproduktion mit dem ZDF, gefördert mit Mitteln von MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, Medienboard Berlin-Brandenburg, Nordmedia, MV Filmförderung, MFG Baden-Württemberg, der FFA und dem Deutschen Filmförderfonds
Produzenten Lars Jessen, Klaas Heufer-Umlauf
Producer Cecile Heisler-Zigulla
Herstellungsleitung Jörn Kasbohm
Produktionsleitung Rico Krahnert
Redaktion Daniel Blum
Länge 90 Minuten
Die Rollen und ihre Darsteller*innen
Ingwer Feddersen Charly Hübner
Ingwer Feddersen (1965‒1976) Lennard Conrad
Sönke Feddersen Peter Franke
Sönke Feddersen (1965‒1984) Rainer Bock
Ella Feddersen Hildegard Schmahl
Ella Feddersen (1965‒1976) Gabriela Maria Schmeide
Marret (1965‒1976) Gro Swantje Kohlhof
Ragnhild Julika Jenkins
Claudius Nicki von Tempelhoff
Heiko Ketelsen Jan Georg Schütte
und andere
Inhalt
Ingwer, 47 Jahre alt und Dozent an der Kieler Uni, fragt sich schon länger, wo eigentlich sein Platz im Leben sein könnte. Als seine "Olen" nicht mehr allein klarkommen, beschließt er, dem Leben in der Stadt den Rücken zuzukehren, um in seinem Heimatdorf Brinkebüll im nordfriesischen Nirgendwo ein Sabbatical zu verbringen. Doch den Ort seiner Kindheit erkennt er kaum wieder: auf den Straßen kaum Menschen, denn das Zusammenleben findet woanders statt, keine Dorfschule, kein Tante-Emma-Laden, keine alte Kastanie auf dem Dorfplatz, keine Störche, auf den Feldern wächst nur noch Mais, aus gewundenen Landstraßen wurden begradigte Schnellstraßen. Als wäre eine ganze Welt versunken.
Wann hat dieser Niedergang begonnen? In den 1970ern, als nach der Flurbereinigung erst die Knicks und dann die Vögel verschwanden? Als die großen Höfe wuchsen und die kleinen starben? Als Ingwer zum Studium nach Kiel ging und seine Eltern mit dem Gasthof sitzen ließ? Wann verschwand die Mittagsruhe mit all ihren Herrlichkeiten und Heimlichkeiten?
Sönke Feddersen, "de Ole", hält immer noch stur hinter seinem Tresen im alten Dorfkrug die Stellung, während Ella, seine Frau, mehr und mehr ihren Verstand verliert. Beide lassen Ingwer spüren, dass er sich schon viel zu lange nicht um sie gekümmert hat. Und nur in kleinen Schritten erkennt er, dass er noch längst nicht alle Geheimnisse gelüftet hat.
Statement von Lars Jessen
"Mittagsstunde" hat mich kalt erwischt. Als mir der Roman vorgeschlagen wurde, weil darin ein Thema behandelt wird, mit dem ich mich schon seit Jahren beschäftige – das Aussterben der Landgasthöfe in Schleswig-Holstein – ahnte ich nicht, wie viel mehr darin steckt und wie sehr ich mich persönlich in dem Buch wiederfinden würde. Für mich ist "Mittagsstunde" in der Genauigkeit der Milieuschilderung und der Zugewandtheit zu den Figuren ein großes Stück deutscher Literatur. Dörte Hansen hat es geschafft, eine Kultur zu definieren, die von den Menschen, die diese Kultur gelebt haben, wahrscheinlich nicht einmal selbst als solche empfunden wird oder besser wurde. Das so präzise auf den Punkt zu bringen, ist mir in meiner Arbeit bisher nicht gelungen. Die Latte lag also hoch, und die Verfilmung war eine gigantische Aufgabe. Nicht nur weil der Roman keine klassische Dramaturgie anbietet, sondern auch durch die Fülle an Figuren, die verschiedenen Zeitebenen und die großen Themen, die diesen Stoff ausmachen.
Die langsame Entwicklung des Protagonisten Ingwer Feddersen wollten wir in all ihrer Zartheit nicht künstlich zuspitzen. Auch den Sprung zwischen den Zeitebenen und den einzelnen Erzählsträngen wollten wir unbedingt beibehalten. Ein Fest wie auch eine große Herausforderung zugleich für alle am Set, vor allem für das Szenen-, Kostüm- und Maskenbild. Anders als der Roman erzählt der Film aber deutlich stärker aus einer klaren Erzählperspektive heraus, in der 1. Person Singular sozusagen. Mit einer zentralen Hauptfigur, deren Blick durch die Zeitebenen und Perspektiven der Geschichte führt. Sehr klar war für mich, dass diese Aufgabe nur Charly Hübner bewältigen könnte. Einen über eine weite Strecke passiven beobachtenden Helden zu verkörpern, der mit seinen Blicken und Körperhaltungen all die Spannung liefern muss, die unter der Oberfläche der komplexen familiären Verstrickung gärt, ist gigantisch schwer. Dieses feine magnetische Spiel beherrscht Hübner wie kein Zweiter. Er und Ingwer sind in "Mittagsstunde" buchstäblich verschmolzen.
Die Dreharbeiten waren ein echter Ritt. Nicht nur wegen der komplexen Anforderung, aus sechs verschiedenen, teilweise über 50 Kilometer voneinander entfernten Drehorten ein Dorf zusammen zu bauen, das in den Jahren 1965, 1976 und 2020 funktioniert. Natürlich hatten wir den Anspruch, die besondere Werktreue auch im Dialog zum Ausdruck zu bringen und haben jeden einzelnen Take nicht nur auf Hochdeutsch, sondern auch in nordfriesischem Platt gedreht. Es gibt also zwei sprachliche Fassungen des Films. Eine große Leistung der Schauspieler*nnen, die sich vor jedem Take die von Dörte Hansen aufgenommenen Dialogzeilen einprägen und entsprechend ein sehr sensibles Sprachvermögen mitbringen mussten.
Besonders hängen geblieben sind bei mir auch die Begegnungen mit den Anwohner*innen der Dörfer, in denen wir stark befahrene Straßen sperren und wieder in den Zustand von 1965 versetzen konnten. Die Menschen fühlten sich wie wir zurückversetzt in eine Zeit, in der Kinder gefahrlos auf der Straße spielen konnten, sich das dörfliche Leben vor der Haustür abspielte und das Dorf buchstäblich wieder auflebte. Und das ist es ja, was Dörte Hansens Roman so spürbar macht: Den Verlust dieser Kultur, dieser Art zu leben, die vom zwischenmenschlichen direkten Austausch geprägt war: vom Schnack beim Bäcker, auf dem Feld, in der Kneipe. Ich vermute, in diesen Momenten spürten die Menschen, die uns bei der Arbeit zugeschaut haben, ebenso wie wir, was da verloren gegangen ist und was sie dafür bekommen haben: Neubaugebiete, große Fernseher, gesichtslose Discountermärkte und LKWs, die den täglichen Spaziergang zur lebensgefährlichen Angelegenheit machen.
Natürlich erklingen, wie im Roman, zahlreiche Schlager der 60er-Jahre, in denen das 17. Lebensjahr ein wiederkehrendes Thema ist. Sie sind Ausdruck der Verlorenheit der Figuren in "Mittagsstunde", die sich nur zaghaft trauen, ihre Träume und Sehnsüchte zu formulieren. Kaum sind sie sich halbwegs bewusst, was sie vom Leben wollen, neigt es sich schon wieder dem Ende zu. Wenn wir mit dem Film etwas richtig gemacht haben sollten, dann spüren die Zuschauer*innen diesen Verlust und Schmerz. Sie gewinnen aber zugleich die Zuversicht, dass vieles, was unwiederbringlich verloren zu sein scheint, auch wieder neu erfunden werden kann. Im günstigen Fall liefert "Mittagsstunde" einen kleinen Beitrag zur Beantwortung der großen gesellschaftlichen Frage, die uns die zahllosen Krisen unserer Zeit abverlangt: Wie wollen wir leben?
(Auszug aus dem Presseheft "Mittagsstunde" zum Kinostart 2022)
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