Neuland

sechsteilige Dramaserie

Die alleinerziehende Mutter Alexandra Brandt verschwindet spurlos. Ihre Schwester Karen, Berufssoldatin, wird von ihrem Auslandseinsatz in Mali nach Hause gerufen, um sich ihrer Nichten anzunehmen. Doch Karen ist seit einem traumatischen Einsatz in Afghanistan schwer suchtkrank. Wie eine Außerirdische landet sie in der Kleinstadtidylle, die sich jedoch als trügerisch entpuppt. In vielen Familien brodelt es, an der Grundschule kommt es zu Gewalt zwischen den Kindern, ein Flüchtlingsjunge wird zum Sündenbock erklärt. Als das Rätsel um Alexandras Verschwinden aufgeklärt wird, lebt eine dunkle Lüge weiter.

  • ZDF Mediathek, ab Montag, 14. November 2022, alle Folgen, ein Jahr lang
  • ZDF, Dienstag, 27. Dezember 2022, ab 22.15 Uhr (Folgen 1 – 3) und Mittwoch, 28. Dezember 2022, ab 22.15 Uhr (Folgen 4 - 6)

Texte

"Eine besondere Serie"

Wir freuen uns, mit "Neuland" eine Serie von Orkun Ertener zu präsentieren. Er entwirft eine Serienwelt, in der es um optimierte Mittelstandskinder geht, um hilflose Eltern und um Gewalt an Schulen. Er schafft es, dieses gesellschaftlich aktuelle Thema mit einer packenden und komplexen Spannungserzählung zu verbinden. Darin und in der Bereitschaft, zu überraschen und Figuren zu erzählen, die wir so im deutschen Fernsehen noch nicht gesehen haben, besteht die Meisterschaft von Orkun Ertener. Das macht aus "Neuland" eine besondere Serie über unsere Zeit.

Heike Hempel, Hauptredaktionsleiterin Fernsehfilm/Serie II

"Ein feines Sittengemälde"

"Neuland" nimmt uns mit in eine schöne, perfekte Welt: Das beschauliche Städtchen Sünnfleth an der Elbe, in dem es allen gut geht – den Reichen in ihren schicken Villen und malerischen Gärten, den weniger gut Betuchten in gemütlichen Altbauwohnungen. Die Kinder gehen alle gemeinsam in eine freundliche Grundschule. An pädagogisch Wertvollem herrscht kein Mangel. Die Eltern ziehen im Förderverein an einem Strang, um ihre und die Welt ihrer Kinder noch besser, schöner, heiler zu machen und von ihrem Glück ein Stückchen abzugeben: Man hilft geflüchteten Kindern und deren Familien. 

Doch es braucht nicht viel, um tiefe Ängste und Abgründe in dieser Gemeinschaft freizulegen. Das geheimnisvolle Verschwinden von Alexandra – Frau, Mutter, Freundin – und Gewaltausbrüche unter den Grundschulkindern treten eine unheilvolle Spirale los. Es zeigt sich aber auch, dass die Gewalt längst im Leben aller ihren Platz hat: Karen, die Soldatin auf Urlaub, oder Rami und seine Mutter, geflüchtet aus Syrien, bringen sie als allzu lebendige Erinnerung mit in den Kleinstadtalltag. Sarah, Marie, Anke und auch deren Kinder ringen in einem zermürbenden Kampf um Respekt und Anerkennung mit ihren Männern und Vätern. Ignoranz oder Kontrollwahn sind noch die harmloseren Mittel, mit denen Erik, Hauke, Daniel, Martin und Marek die Seelen, Körper und Autonomie ihrer Partnerinnen und Kinder verletzen. Die Männer in dieser Geschichte sind dennoch nicht die schlechteren Menschen. Sie sind, genauso wie die Frauen, Gefangene der ihnen zugewiesenen Rollen. 

Die Wohlstandsfamilien stecken zudem fest zwischen dem Streben nach Mehr und der irrationalen Angst vor dem sozialen Abstieg. Das alles wird auf dem Rücken der Kinder ausgetragen. Die Eltern setzen sich nur scheinbar für das Wohl ihrer Kinder ein. In der Krise sind sie sich letztlich fast alle selbst am nächsten: Droht ein geflüchteter syrischer Junge vermeintlich, den Klassenfrieden und damit die Gymnasialempfehlung der eigenen Sprösslinge zu gefährden, oder die Missetat des eigenen Kindes ein schlechtes Licht auf die Eltern zu werfen, kommen Güte, Toleranz und Nächstenliebe schnell und radikal an ihr Ende. 

"Neuland" ist ein feines Sittengemälde, das seine Figuren nicht verurteilt und das Publikum nicht belehrt. Vielmehr spielt diese emotionale, spannende Geschichte wichtige Fragen an uns zurück: Wie stark ist unsere Gemeinschaft in der Krise? Wie lange hält unsere Solidarität mit Schwächeren unseren Ängsten stand? Wann kippen wir in rücksichtslosen Selbsterhaltungsmodus? Wie tolerant sind wir – als Individuen und Gesellschaft?

"Neuland" gibt uns bei aller Schonungslosigkeit schließlich eine wesentliche Hoffnung mit auf den Weg: Die Menschen, die sich ihre Versehrungen eingestehen, haben eine Chance auf Heilung. Und es sind die Kinder, die – trotz aller Konflikte und Verletzungen untereinander – Loyalität und Verbundenheit vorleben, die füreinander einstehen, füreinander schweigen, sich gegen die Gewalt der Erwachsenen verbünden – die Erwachsenen, die in Freiheit gefangen sind.

Axel Laustroer und Kristl Philippi, Hauptredaktion Fernsehfilm/Serie II

Stab und Besetzung

Stab

Buch                                  Orkun Ertener

Regie                                 Jens Wischnewski

Kamera                              Jakob Wiessner             

Schnitt                               Falk Peplinski

Musik                                 Christoph M. Kaiser und Julian Maas

Ton                                    Joern Martens, Patrick Dadaczynski

Szenenbild                         Andreas Rudolph

Kostüme                            Astrid Möldner

Casting                              Nessie Nesslauer, Dorothee Weyers, Inga Helfrich

Produktionsleitung             Moritz Hansen

Herstellungsleitung            Andrea Wetzel, Jörg Trentmann

Creative Producer              Orkun Ertener

Producerin                         Kathrin Tabler               

Produktion                         Odeon Fiction GmbH, Berlin

Produzentin                       Katja Herzog

Redaktion                          Axel Laustroer, Kristl Philippi

Länge                                6 x 44 Minuten

 

Die Rollen und ihre Darsteller*innen

Karen Holt                          Franziska Hartmann

Marie Klein                         Peri Baumeister

Sarah Reimers                   Mina Tander

Anke Ritter                         Anneke Kim Sarnau

Daniel Ritter                       Christian Erdmann

Hauke Klein                       Godehard Giese

Erik Stein                           Steve Windolf

Sophie Petzold                   Angelina Häntsch

Erhan Yilmaz                      Serkan Kaya

Lea Brandt                         Lene Oderich

Zoe Brandt                         Aennie Lade

Rami Aziz                           Omran Saleh

Christian Grawert               André M. Hennicke

Marek Leitner                     Lucas Prisor

Naida Gilani                       Siir Eloglu

Jost Habeck                       Albrecht Ganskopf

Martin Brandt                     Janek Rieke

Greta Reimers-Stein          Emilia Kowalski

Lukas Ritter                       Cooper Dillon

Jasper Klein                       Leopold Mühlbauer

Sahar Aziz                         Sonja Hurani

Ben Stein                           Samuel Benito

und andere

Allgemeiner Inhalt

Die alleinerziehende Mutter Alexandra Brandt verschwindet spurlos. Ihre Schwester Karen, Berufssoldatin, wird von einem Auslandseinsatz in Mali nach Hause gerufen, um sich ihrer Nichten anzunehmen. Was niemand weiß: Karen ist seit einem traumatischen Einsatz in Afghanistan suchtkrank. Wie eine Außerirdische landet sie in der Kleinstadtidylle, die sich jedoch als trügerisch entpuppt. In vielen Familien brodelt es, an der Grundschule kommt es zu Gewalt zwischen den Kindern, ein Flüchtlingsjunge wird zum Sündenbock erklärt. Inmitten der Eskalationen ringt Karen mit dem Druck, sich ihrem Trauma zu stellen, um langfristig für ihre Nichten da sein zu können. Als das Rätsel um Alexandras Verschwinden aufgeklärt wird, lebt jedoch eine dunkle Lüge weiter

Folgenübersicht und Sendetermine

Folge 1, "Heimat 2.0": Dienstag, 27. Dezember 2022, 22.15 Uhr

Berufssoldatin Karen wird widerstrebend aus Mali in ihre Heimat, das schmucke Sünnfleth, geholt, um sich nach dem Verschwinden ihrer Schwester Alexandra um deren Töchter zu kümmern. Zoe und Lea hoffen, bei ihrer Tante etwas Halt zu finden. Doch Karens wortkarges, schroffes Auftreten schreckt die beiden ab. Obwohl Sarah und Marie, die besten Freundinnen von Alex, selbst unter Schock stehen, versuchen sie, Karen und die Mädchen zu unterstützen. Karen fühlt sich in ihrer alten Heimat, der Wohnung ihrer Kindheit und der Mutterersatzrolle sehr unwohl. Und die Begegnungen mit Menschen aus der Vergangenheit lassen alte Wunden aufbrechen: Gegen Christian Grawert, den Miteigentümer der Buchhandlung, hegt Karen eine tiefe Abneigung und großes Misstrauen. Grawert war der heimliche Geliebte und spätere Lebensgefährte von Karens und Alex‘ Vater. Und nun behauptet er, Alexandra habe vor ihrem Verschwinden ihr Einverständnis gegeben, die Buchhandlung zu verkaufen. Das sei auch dringend nötig, um das Haus, das Zuhause der Kinder, vor der Pfändung zu retten. Kann Karen ihm glauben? Auch Marek, mit dem Karen als Teenagerin zusammen war, setzt sie unter Druck. Er hat ihr nie verziehen, dass sie damals einfach abgehauen ist. Karen stabilisiert sich mit Alkohol und Tabletten, was Lea nicht entgeht. Als Karen Zeugin einer Schulhofschlägerei zwischen dem Flüchtlingsjungen Rami und Wohlstandssöhnchen Lukas wird, sieht sie in Rami den Aggressor und reißt ihn sehr brutal zu Boden. Wenig später entdeckt Lea heftige Würgemale an Zoes Hals. Sie alarmiert Karen.

 

Folge 2, "Mach sie fertig": Dienstag, 27. Dezember 2022, 23.00 Uhr

Die Konflikte zwischen den Kindern ziehen Karen gegen ihren Willen in Machtkämpfe der Wohlstandseltern von Sünnfleth hinein. Vergeblich versucht sie, Zoe zu schützen, für sie da zu sein. Karen beschuldigt Rami, Zoe misshandelt zu haben. Doch Maries Tochter Greta bricht das Schweigen. Lukas ist der Täter – der Sohn von Anke, der Vorstandsvorsitzenden eines Medienkonzerns. Nun fürchten Anke und ihr Mann Daniel um ihren Ruf als perfekte Eltern. Nachdem Karen Rami in Gegenwart von dessen verstörter Mutter zu Unrecht aggressiv Vorwürfe wegen des Übergriffs auf Zoe gemacht hat, schämt sie sich sehr. Ihr wird klar, dass nicht nur ihre Suchtkrankheit, sondern auch ihr unverarbeitetes Trauma ihr Urteilsvermögen trüben. Wie soll jemand wie sie Verantwortung für zwei junge Menschen übernehmen? Das versucht sie auch Erhan Yilmaz vom Jugendamt klarzumachen. Doch der hofft, genauso wie Zoe und Lea, trotz allem auf Karen als Vormund. Als Karen gemeinsam mit Sarah und Marie den Eltern von Lukas, dem tatsächlichen Angreifer Zoes, gegenübersitzt, um den Vorfall zu besprechen, ignorieren Anke und Daniel den Gewaltakt ihres Sohnes und stellen ihn als Opfer dar. Karen, Sarah und Marie sind fassungslos über so viel Kaltschnäuzigkeit. Sarah beruft daraufhin eine Elternversammlung ein. Solch ein Gewaltakt von Jungs gegen Mädchen – das muss aufgearbeitet werden. Immerhin haben alle Jungen in der Klasse, auch Maries Sohn Jasper, Lukas angefeuert, Zoe zu würgen. Alle bis auf Rami. Doch auch Zoe schweigt weiterhin beharrlich zu dem brutalen Vorfall. Dabei ist der Druck von Eltern, Lehrerin und Mitschülern auf Zoe immens. Als Karen spätabends nach Hause kommt, ist Lea in Panik. Zoe ist verschwunden.

 

Folge 3, "Tut mir leid": Dienstag, 27. Dezember 2022, 23.45 Uhr

Zoes und Leas Vater Martin bemüht sich um das Sorgerecht für seine Töchter. Eine gute Nachricht für Karen, schließlich will sie weg. Doch warum scheint Lea ihren Vater regelrecht zu hassen? Zoe dagegen ist in ihrer Not zu ihm geflüchtet. Das stärkt seine Position gegenüber dem Jugendamt. Karen blockt Leas Hoffnung, sie möge die Vormundschaft für sie und Zoe übernehmen, weiter ab. Sie will zum Ende ihres Sonderurlaubs zurück nach Mali. Auch gegenüber Rami fühlt Karen sich weiterhin schuldig. Doch der Kontakt zu ihm und seiner Mutter löst bei Karen heftige Trauma-Flashbacks aus. Nur ihre üblichen Helfer, Alkohol und Tabletten, bringen Karen wieder halbwegs ins Lot. Als die Schulleiterin dem Druck von Lukas‘ Eltern nachgibt und Rami von der Schule ausschließt, ist er vollkommen vor den Kopf gestoßen. Karen mischt sich nun doch ein und bittet Erhan Yilmaz um Unterstützung für Rami. Der setzt sich beherzt für Rami ein und bringt ihn persönlich zurück zur Schule. Tatsächlich ist die Situation für Rami aber kompliziert. Er zeigt auffälliges Verhalten, ist impulsiv und unruhig. Die Klassenlehrerin Frau Petzold ist sehr bemüht, aber ihr beginnen die Konflikte der Kinder, die Erwartungen der Eltern und der Druck der Schulleiterin, über den Kopf zu wachsen. Bei einer Elternversammlung zeigt sich, dass Schulleiterin Gilani und die Mehrheit der Eltern kein Interesse daran haben, Lukas und die anderen Jungs zur Verantwortung zu ziehen. Sarah wird als Elternvertreterin abgewählt. Nach dem ersten Schock steigt Sarah in den Ring für die nächste Runde. Sie veröffentlicht auf der Titelseite ihres Online-Magazins einen Artikel über den Gewaltvorfall und dessen Vertuschung an der Schule – eine Abrechnung. Als Karen, ernüchtert von den Vorgängen beim Elternabend, nach Hause kommt, wird sie von Lea erwartet. Lea zeigt Karen einen positiven Schwangerschaftstest – von Alexandra.

 

Folge 4, "#hetoo": Mittwoch, 28. Dezember 2022, 22.15 Uhr

Karen und Lea hoffen, dass die Information zu Alex' Schwangerschaft die Suche nach ihr voranbringt. Gleichzeitig fühlt sich Karen von Schmerz und Nöten der Kinder zunehmend überfordert. Doch dann offenbart Herr Yilmaz vom Jugendamt, warum er die Kinder auf keinen Fall dem Vater anvertrauen möchte. Als auch Lea klar macht, dass sie Karen trotz Suchtproblem mehr vertraut als ihrem Vater, stürzt Karen in ein heftiges Dilemma. Was soll sie tun? Dabei bekommt sie den Sturm, den Sarah mit ihrem Artikel über Lukas Ritters Gewaltausbruch und die Untätigkeit der Schulleitung ausgelöst hat, gar nicht mit. Als Reaktion droht Schulleiterin Gilani Sarah den Schulverweis ihrer Tochter Greta an. Anke Ritter nutzt ihre Medienmacht und lässt einen Artikel zu einem alten #MeToo-Verdacht gegen Erik veröffentlichen. Daraufhin wird er aus laufenden Projekten gefeuert und zur Persona non grata in der TV-Branche. Erik fühlt sich zu Unrecht verfolgt und macht allein Sarah und ihre Verbissenheit dafür verantwortlich. Sarah ist zutiefst enttäuscht, dass ihr Mann bereit ist, die Misshandlungen an Zoe zugunsten seiner Karriere unter den Teppich zu kehren. Auch in der Ehe von Marie und Hauke kriselt es zunehmend. Hauke verlangt wegen Jaspers schlechter Noten von Marie, all ihre beruflichen Ambitionen aufzugeben, um sich ausschließlich um die Kinder zu kümmern. Er sorgt sogar dafür, dass Marie eine schwere berufliche Niederlage erleidet. Zwischen den Kindern in Zoes Klasse wachsen indessen die Spannungen und Lehrerin Petzold weiß sich nicht mehr anders zu helfen, als Rami in eine Sandweste zu zwingen. Ein streitbares Hilfsmittel im Umgang mit ADHS-Kindern. Die Weste stigmatisiert Rami noch mehr. Doch auch über Lukas braut sich Unheil zusammen. Seine Mutter Anke entdeckt ein erschreckendes Video auf seinem Handy.

 

Folge 5, "Spiele": Mittwoch, 28. Dezember 2022, 23.00 Uhr

Lea und Zoe verlieren zunehmend die Hoffnung auf eine Wiederkehr ihrer Mutter. Auch Karen fühlt sich unendlich verloren. Sie offenbart Sarah und Marie, warum sie die Verantwortung für Lea und Zoe fürchtet: Sie musste in Afghanistan in Notwehr einen 10-jährigen Selbstmordattentäter erschießen. Seither kämpft sie mit einer posttraumatischen Belastungsstörung und ihrer Suchtkrankheit. Zu Karens Überraschung haben Sarah und Marie Verständnis. Sie bitten Karen, trotz allem zu bleiben und versprechen ihr, sie auf ihrem steinigen Weg ins neue Leben zu unterstützen. Unterstützung ist auch gleich gefragt, denn Zoe ist in ein Handgemenge zwischen Rami und Lehrerin Petzold verwickelt. Zoe kommt mit einer Entschuldigung davon, doch Rami fliegt nicht nur endgültig von der Schule, sondern wird getrennt von seiner Mutter in einem Heim untergebracht. Karen ist empört über diese Ungerechtigkeit. Sie setzt sich für Rami ein, und ihr wird klar: Sie ist doch bereit, Verantwortung zu übernehmen. Marie gibt sich nach Haukes Verrat erschreckend gefasst und lässt nicht einmal mehr ihre Freundinnen an sich heran. Sarah kämpft nach der Enttäuschung über Eriks Verhalten und ihrer Niederlage bei der Schulversammlung mit Symptomen ihrer Essstörung. Indessen entdeckt Daniel Ritter das verstörende Video auf Lukas' Handy. Er dreht gegenüber Anke und Lukas durch. Wenig später bekommt Sarah anonym das Video zugespielt, auf dem zu sehen ist, wie ihre Tochter Greta widerwillig den nackten Penis von Lukas anfasst. Greta beichtet, dass in ihrer Klasse ein ziemlich heftiges Mädchen-gegen-Jungen-Spiel gespielt wird. Zoe wurde von Lukas gewürgt, weil sie nicht mitspielen wollte. Erik will sofort etwas unternehmen, aber Sarah hat andere Pläne.

 

Folge 6, "Spatenstich": Mittwoch, 28. Dezember 2022, 23.45 Uhr

Karen entschließt sich, bei Zoe und Lea zu bleiben und die Vormundschaft zu beantragen. Doch damit sie gegen den Vater der Mädchen eine Chance hat, muss sie unbedingt trocken bleiben. Als Karen sich nach nur einem abstinenten Tag schwer betrinkt, steht ihr ausgerechnet Christian Grawert, Miteigentümer der Buchhandlung, einfühlsam zur Seite. Zum ersten Mal können die beiden über die Wunden der Vergangenheit sprechen und sich einander annähern. Karen macht einen neuen Anlauf, trocken zu bleiben und bemüht sich, Lea und Zoe eine bessere Vertraute zu werden. Sie unterstützt auch Sarah bei ihrem Feldzug gegen fast alle: Sarah will dafür sorgen, dass Daniel Ritter als gewalttätiger Ehemann und Vater auffliegt. In einem nächsten Schritt benutzt sie erfolgreich das verstörende Video von Greta und Lukas, um gegenüber Schulleiterin Gilani wieder die Oberhand zu bekommen. Von Erik verlangt Sarah, zu seinem #MeToo-Fehlverhalten zu stehen und es wiedergutzumachen. Er scheint einverstanden. Doch Sarah kann nicht mehr übersehen, dass ihr Mann Erik Anteile toxischer Männlichkeit in sich trägt. Marie beschließt, Hauke und die Kinder zu verlassen. Die Spannungen in den Familien spitzen sich immer weiter zu. So weit, dass in einer Eskalation das tragische Rätsel um Alexandras Verschwinden gelöst wird. Doch eine Lüge lebt weiter.

Interview mit Autor Orkun Ertener

Was hat Sie dazu bewogen, ein Gesellschaftsdrama wie "Neuland" zu schreiben?

Es gibt, jedenfalls bei mir, nie nur einen einzigen Anlass oder Grund, eine Geschichte zu erzählen. Die Idee zu "Neuland" ist über lange Zeit aus vielen kleinen Beobachtungen und Fragen gewachsen: Wie hat sich das, was wir in Deutschland die Mitte der Gesellschaft nennen, über die letzten Jahre und Jahrzehnte verändert? Welche "neuen Milieus" sind entstanden und welche neuen Rollen für Frauen und für Männer? Welche Folgen haben die Anforderungen, die bei vielen ins Unermessliche wachsen, vor allem die Wünsche nach Optimierung und Selbstoptimierung, dieser Zwang nach Perfektion? Was bedeutet dies alles, auch privat, wenn man oft unter den Augen einer manchmal erbarmungslosen Social Media-Öffentlichkeit steht? Fehler machen und zugeben wird schwieriger. Einerseits ist es tatsächlich eine schönere, nachhaltigere, gleichberechtigtere neue Welt, andererseits steigt der Druck im Kessel. Und da kommt die Frage ins Spiel, was passiert, wenn der Kessel irgendwann nicht mehr hält. Viel Stoff also für ein Drama.

Die Serie erzählt von Missbrauch, Gewalt, Umgang mit Sucht und Manipulation in einer vermeintlich heilen Vorstadtwelt. Wo fängt man da an mit der Recherche? Gibt es eine reale Vorlage?

Die richtige Antwort lautet vermutlich: Es gibt keine – oder es gibt viele kleine Vorlagen. Figuren und Geschichte sind frei erfunden, aber natürlich schöpfe ich als Autor, gerade bei einer solchen "alltagsnahen" Geschichte, aus Erfahrungen. Da wäre zum Beispiel ein Vorfall, der sich vor vielen Jahren an der Schule ereignet hat, die eines meiner Kinder damals besuchte, ein Gewaltvorfall, eine Mobbingsituation. Ich war sehr erstaunt, aber als Autor auch sofort fasziniert davon, wie schnell sich die Reihen der Eltern geschlossen haben, wie rasch und wirksam die Opferseite kollektiv ausgegrenzt werden konnte, um Schuld abzuwehren und das Gesamtbiotop vermeintlich sauber zu halten. So etwas ist manchmal wie eine Initialzündung, die zu Fragen führt. Eine meiner Fragen war: Wie viel Horror steckt eigentlich im Hipster? Also: wie viel Angst, auch und vor allem Zukunftsangst, wie viel Druck, wie viel Gewaltpotenzial? Da lohnt es sich, wie immer beim Schreiben, so genau wie möglich auch in sich selbst hineinzuhorchen.

Was war Ihnen beim Schreiben der Geschichte besonders wichtig?

Wichtig war mir – und ich hoffe, das lässt sich beim Sehen der Serie auch wahrnehmen –, keine der Figuren zu denunzieren, auch nicht die, deren Verhalten wir in der Realität mit Nachdruck verurteilen müssten. Lohnender scheint mir den Beweggründen der Figuren nachzugehen, auch und besonders dort, wo es wehtut, weil man vielleicht Ähnlichkeiten entdeckt, die man gar nicht entdecken möchte. Besonders wichtig war mir die Perspektive der Kinder: Wir setzen uns selbst vielfältigen, widersprüchlichen, oft unerfüllbaren Anforderungen und Erwartungen aus. Nicht selten erweitern wir diese Anforderungen an uns Selbst auch auf unsere Kinder. "Neuland" versucht auch der Frage nachzugehen, welche Folgen dies für Kinder haben kann.

Der Plot erinnert zunächst an einen Krimi: Eine Frau verschwindet spurlos und lässt Familie, Freundinnen und Freunde ratlos zurück. Doch dann wird die Perspektive gewechselt. Krimi oder Gesellschaftsdrama? Oder beides?

Das Gesellschaftsdrama, das definitiv im Fokus steht, ist eingebettet in den Rahmen einer Spannungsgeschichte. Das ist in meinen Arbeiten oft so, und es ist meiner Ansicht nach kein echter Gegensatz und auch kein rein handwerklicher Kniff, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu bekommen und zu halten. Im Verbrechen oder vermeintlichen Verbrechen, im Aufbrechen der Normalität, entsteht und entwickelt sich das Drama. Wenn, wie in "Neuland", plötzlich eine Person verschwindet, wenn sie fehlt in dem Beziehungsnetz, in das sie verwoben war, dann ändern sich die Dinge, werden sichtbarer, schwieriger, kommt das Drama in Gang. Und dann stellen sich Fragen, die über "Was ist dieser Person geschehen?" weit hinausgehen und oft wesentlich interessanter sind.

Die Geschichte wird aus der Perspektive der Frauen erzählt. Warum?

Diese Frage lässt sich vielleicht am besten mit ein paar anderen Fragen beantworten: Wer trägt eigentlich die Hauptkosten für die Erneuerung und ständige Verbesserung unserer Lebenswelt? Funktionieren unsere "neuen" Vorstellungen von Augenhöhe und Partnerschaft tatsächlich? Wer bleibt zu Hause, um sich um die Kinder zu kümmern, wenn die Familie es sich leisten kann? Bei wem ist der Druck am größten, ein guter Elternteil zu sein und sich dennoch selbst zu verwirklichen, im beruflichen oder ersatzweise gesellschaftlichen Engagement, und wer muss dabei immer gut und fit aussehen? Wer spürt die größten Anforderungen an sich selbst, wen belasten die neuen Rollen am meisten? Bei den Themen, die in "Neuland" aufgegriffen werden, ist es nahezu zwangsläufig, dass überwiegend – aber nicht ausschließlich – die Perspektive der Frauen eingenommen wird. Eine Frau sticht heraus: Karen, die Bundeswehrsoldatin, die aus dem Auslandseinsatz zurückkommt, um sich um die Kinder ihrer verschwundenen Schwester zu kümmern. Sie kennt Aggression und Gewalt nicht nur als untergründiges Beben, als Befürchtung, die verdrängt werden kann, sondern als furchtbare Realität, die es fraglich macht, ob sie in der schönen neuen Welt heimisch werden kann. Auch das ist eine eher neue Rolle für Frauen in unserer Gesellschaft.

Unter den Kindern sticht auch eine Figur heraus: Rami, der geflüchtete Junge aus Syrien. Welche Bedeutung hat Rami für "Neuland"?

Rami sticht nicht nur heraus, er fällt auch heraus: aus seiner sozialen Umgebung, irgendwann im Grunde auch, mit einer verstörenden Zwangsläufigkeit, aus der Geschichte. Toleranz und Hilfsbereitschaft zeichnen das Milieu, in dem "Neuland" angesiedelt ist, ganz besonders aus, aber für manche stellt sich irgendwann doch die Frage, in welcher Distanz oder Nähe man noch tolerant und hilfsbereit sein kann. Um es mit den Worten von Yilmaz, der Figur des Jugendamtsmitarbeiters in der Serie zu sagen: "Sie spenden großzügig für die Seenotrettung im Mittelmeer, sie packen Riesenpäckchen mit Teddybären und vergammeltem Spielzeug, sie fluchen im Internet über die Scheiß-Faschos. Aber neben ihrem eigenen Kind, da soll einer wie Rami nicht sitzen." Auch hier lohnt es sich wahrscheinlich, hin und wieder in sich selbst hineinzuhorchen.

Bei diesem Projekt sind Sie Drehbuchautor und Creative Producer. Was bedeutet das genau?

Um genau zu sein, ich bin Creator, Autor und Creative Producer, worunter gleich zwei in Deutschland relativ neue Begriffe sind, die aber in unserer Branche, im Serienbereich, immer mehr zur Normalität werden. Ich hatte die Idee zu dieser Serie und habe ihren Ton gesetzt. Ich habe alle Bücher geschrieben, im kreativen und sehr produktiven Austausch mit Redaktion, Produktion und Regie. Und ich habe die gesamte Umsetzung begleitet, war dabei in sämtlichen Bereichen und Stadien an allen Entscheidungsprozessen beteiligt – von der Auswahl der Regie, der Besetzung und der Motive über die Leseproben und den "Bereitschaftsdienst" für Fragen und Buchanpassungen beim Dreh bis hin zu Schnitt und Musik. Das ist eine Arbeitsweise, die in anderen Ländern schon lange Tradition hat und sich auch bei uns allmählich etabliert. Dass sich damit die Qualität der Ergebnisse potenziell erhöhen lässt, nicht nur der Stellenwert des Autors, davon sind die Kollegen und Kolleginnen etwa in den USA seit vielen Jahren überzeugt. Wir müssen die neuen Berufsrollen sicher noch eine Weile einüben, bis sie fest verankert sind, aber ich denke, dass es sich lohnt und in der neuen Serienlandschaft unvermeidlich ist.

Warum heißt die Serie "Neuland"? Was verbinden Sie mit dem Titel?

Die gesellschaftlichen Situationen, die in "Neuland" beschrieben werden, die Lebensweise der Figuren und die Probleme, die damit einhergehen, das alles entwickelt sich natürlich schon seit Jahren. Dennoch haben die heute etwa Vierzigjährigen, um die es in der Serie geht, dafür keine verlässlichen Rollenmodelle, wie etwa die eigenen Eltern. In gewisser Weise betreten sie tatsächlich Neuland, müssen die Rollen von Männern und Frauen neu verhandeln und viele Widersprüche aushalten: zwischen Selbstverwirklichung und Verantwortung, heutigem Wohlstand und Zukunftsangst, der Illusion der Optimierbarkeit aller Lebensbereiche und der realen Ohnmacht gegenüber der Realität des Lebens. Das führt zu den Verwerfungen und Fragen, die "Neuland" zu behandeln versucht. Doch angesichts der Krisen, in die wir in den letzten zwei, drei Jahren seit Beginn der Arbeit an der Serie geraten sind, angesichts eines Krieges mitten in Europa und seiner Folgen sind dies zwar legitime, aber vielleicht luxuriöse Fragen, weil das eigentliche Neuland, das wir alle betreten müssen, noch vor uns liegt.

Die Fragen stellte Veronika Heinloth.

Zwei Fragen an Regisseur Jens Wischnewski

Was hat Sie an dem Drehbuch "Neuland" interessiert?

Als ich die Drehbücher zum ersten Mal lesen durfte, war ich gerade im Urlaub und hatte nur mein Handy zur Hand. Trotzdem konnte ich nicht anders, als sie in einem Rutsch zu lesen. Das Verschwinden einer alleinerziehenden Mutter von zwei Kindern bringt die Geschichte in Gang, doch nach wenigen Minuten ist klar, dass der Kriminalfall nur am Rande beleuchtet wird und der erzählerische Fokus auf vier Familien liegt, die mit einem Gewaltvorfall an der Grundschule konfrontiert werden. Mich begeistert dabei vor allem, wie nah mich der Autor Orkun Ertener den Figuren beim Lesen kommen lässt und mit welcher Genauigkeit und Ambivalenz er die vielen unterschiedlichen Figuren zeichnet. Besonders berührt haben mich dabei die vier Protagonistinnen, aber Orkun hat es in meinen Augen ebenfalls geschafft, allen Nebenfiguren und auch den vielen Jugendlichen und deren Problemen eine beeindruckende Tiefe zu verleihen. So entsteht ein sehr emotionales Drama, das von persönlichen Konflikten getragen wird, gleichzeitig aber auch von gesellschaftlichen Konflikten erzählt. Thematisiert werden sehr unterschiedliche Aspekte von Gewalt. Angefangen bei alltäglichen Machtkämpfen an der Schule, zwischen Kindern, Eltern und Lehrern bis hin zu psychischer und auch körperlicher Gewalt in der Familie. Das Buch verwebt die Ebenen geschickt miteinander, ohne dabei den moralischen Zeigefinger zu heben. Ich hatte von Anfang an wahnsinnig große Lust, diese komplexe Geschichte mit ihren vielschichtigen Figuren zum Leben zu erwecken.

Das Gesellschaftsdrama erzählt von Manipulation, Missbrauch und Gewalt in einer vermeintlich heilen Vorstadtwelt und zeigt die unterschiedlichsten Rollenbilder. Was war Ihnen besonders wichtig bei der Verfilmung?

Zu den vier Protagonistinnen kommen jeweils mindestens drei weitere Familienmitglieder. Außerdem ein geflüchteter Junge mit seiner Mutter und der ganze Kosmos der Schule mit Lehrerin, Rektorin und weiteren Eltern. So entsteht ein großes Ensemble. Jede Rolle hat ihren ganz eigenen Blick auf die Geschichte. Mein oberstes Ziel war von Anfang an, niemanden aus den Augen zu verlieren. Dass auch alle Nebenfiguren von wundervollen Charakterschauspieler*innen gespielt wurden, hat mir extrem dabei geholfen, jede Perspektive glaubwürdig zu erzählen. Das war notwendig, um die Strukturen und Machtverhältnisse nachvollziehen zu können. Ich wollte möglichst nah an jede Figur herankommen und vermeiden, dass die Geschichte von außen mit distanzierter Draufsicht erlebt wird. Der Zuschauer soll die Möglichkeit haben, in die Familien einzutauchen und mit allen Figuren mitzufühlen. Jeder Bereich der Inszenierung sollte sich deshalb möglichst wahrhaftig anfühlen. Ich bin unendlich glücklich, dass mit Franziska Hartmann, Peri Baumeister, Mina Tander und Anneke Kim Sarnau vier Schauspielerinnen die Hauptrollen übernommen haben, die den Kern von "Neuland" sehr unterschiedlich, aber extrem eindringlich und mit viel Gespür für ihre Figuren zum Leben erweckt haben.

Die Fragen stellte Veronika Heinloth.

Statements von Franziska Hartmann, Peri Baumeister, Mina Tander und Anneke Kim Sarnau

Franziska Hartmann

Es war für mich ein großes Geschenk, diese Rolle zu spielen. Karen Holt, eine herrlich unangepasste Frau, verschlossen und spröde und doch – wie ich finde – extrem herzerwärmend und beeindruckend. Ihre raue, authentische, direkte Art, ihr Schmerz und ihr unermüdlicher Kampf gegen ihre Dämonen machen Karen für mich zu einer unvergesslichen Figur. Durch das plötzliche Verschwinden ihrer Schwester wird sie zurückgespült an den Ort ihrer Kindheit und konfrontiert mit ihrer vermeintlich hinter sich gelassenen Vergangenheit. Als Bundeswehrsoldatin in Mali stationiert, hatte sie sich weit distanziert von den familiären Problemen, die sie als Heranwachsende belasteten. Während ihre Schwester in einer anderen Stadt studierte, ihr Vater sich für eine neue Beziehung von der Familie abkehrte und ihre Mutter im Sterben lag, blieb die komplette Verantwortung und aufreibende Pflege allein an Karen hängen. Nach dem Tod ihrer Mutter wendete sie sich von ihrer Familie ab und verbringt ihr Leben seit Jahren fernab ihrer Heimat als Soldatin auf Auslandseinsätzen. Tief traumatisiert vom Leid und der Gewalt des Krieges flüchtet sie sich in Alkohol- und Tablettenkonsum.

Wie eine Außerirdische landet Karen zu Beginn des Films auf dem Planeten Sünnfleth, dem Ort ihrer Kindheit – fühlt sich fremd und überfordert von der Aufgabe, sich um ihre beiden Nichten zu kümmern. Sie will möglichst bald wieder weg, keine Beziehungen eingehen und in ihrer Kapsel bleiben. Auf den ersten Blick gibt es für Karen keine Verbindung zu den Bewohnern der heilen Vorstadt mit ihren Wohlstandsproblemen. Doch dann sieht sie, dass auch in dieser vermeintlich glücklichen Welt Machtmissbrauch, Gewalt und Manipulation unter der Oberfläche brodeln. Karen ist es, die eine Kettenreaktion in Gang setzt, welche die Fassaden der nach außen perfekt wirkenden Familien zum Einstürzen bringt. Nach und nach stellt sie sich ihrem unverarbeiteten Trauma und erkennt, dass sie in ihrer alten Heimat Neuland betreten kann.

 

Peri Baumeister

Marie ist eine komplexe und sehr ambivalente Frauenfigur. Sie hat eine fast sphärische und fragile Aura, die einer enormen innerlichen und äußerlichen Kraft gegenübersteht. Das erzeugt eine spannende Unvorhersehbarkeit. Zusätzlich hat sie eine sehr sinnliche und ästhetische Komponente.  

Sie fühlt sich in ihrem Leben gefangen. Als Ehefrau, Mutter und Freundin ist sie immer da, selbstlos und verständnisvoll. Eine gewisse Bedürftigkeit nach Sicherheit scheint für sie wichtig zu sein, dennoch ist der Teil ihres Freigeistes und ihrer schöpferischen Kraft als herausragende Architektin immer zu kurz gekommen. Nach und nach merkt sie, dass sie ihr Potential nicht erreicht und sie sich auch in der Beziehung mit Hauke verloren hat. Sie schält sich langsam aus dieser unbefriedigenden Beziehungsdynamik heraus und bricht schließlich aus – um eine Chance auf Heilung zu haben und weitermachen zu können. 

In der Regel nähere ich mich meinen Figuren gerne visuell an. Das Bild eines Komodowarans war hier ein Teil des Schlüssels. Das schwerfällige Tier, das aus dem Nichts blitzschnell angreifen kann, wenn es bedroht wird. Und das Bild der Siebenkämpferin, mit einer enormen körperlichen Kraft. Sich dieser Art von Wesen zur Verfügung zu stellen, hat mich sehr gereizt.

 

Mina Tander

Sarah ist eine Frau, der Gerechtigkeit über alles geht. Sie hat das Gefühl, für eine gerechtere Welt zu kämpfen, übersieht dabei aber, wie klein ihre Welt eigentlich ist und wie sehr sie die Dinge durch ihre privilegierte Brille sieht. Und dennoch meint sie es durchaus gut. Sarah ist aber auch ein Mensch der Extreme, alles oder nichts, gut oder böse. Sie ist emotional, möchte gestalten, brillieren, wichtig sein. Ein Mensch der lauten Töne, Zwischentöne sind ihr fremd. Sie liebt ihre Familie, ihre Tochter, ihren schönen Mann, ihr bequemes Leben. Sarah ist aber auch ein Mensch, der in Wirklichkeit Angst hat, dass alles entgleitet und nichts von dem, wie sie lebt, wahrhaftig ist. Am Ende greift sie aus einer ambivalenten Mischung aus Rache und dem aufrichtigen Wunsch zu helfen zu destruktiven Mitteln.

Ich denke, es gibt sicher all das, was wir erzählen – und noch viel schlimmer –  auch in der Realität, nur dass ausgerechnet ein relativ kleiner Kreis von Menschen all das auf einmal erlebt, ist sicherlich der fiktionalen Verdichtung zuzuschreiben. Aber vielleicht bin ich auch naiv und deshalb immer wieder aufrichtig entsetzt darüber, was hinter vielen biederen Fassaden so alles wabert. Die Welt wird derzeit von Gier, Macht und dem Recht des Stärkeren bestimmt, wahrscheinlich muss man sich darum auch nicht darüber wundern, dass dem so ist. Aber ich habe die Hoffnung, dass manche Menschen ihre dunklen Seiten, die wir alle fraglos haben, bewusst reflektieren und dadurch weniger rücksichtslos handeln. Und dass wir alle ein wenig mehr Rücksicht und Empathie an den Tag legen.

 

Anneke Kim Sarnau

Anke Ritter ist eine Verlagsleiterin und auf dem gesellschaftlichen Parkett angesehen und erfolgreich. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder, ein sehr gut situiertes Leben, und nach außen wirkt sie integer und stark. Nichts kann sie so leicht umhauen und Konkurrenz oder andere Formen der "Bedrohung" weiß sie in ihre Schranken zu weisen. Sie weiß ihren Platz zu verteidigen und wirkt auf den ersten Blick knallhart, gar unempathisch. Dass es hinter dieser Fassade schmerzhaft brodelt und alles auseinanderzubrechen droht, merkt man ihr lange nicht an. Sie steht wie eine Löwin hinter ihrer Familie und ihrem Job. Wie viele Frauen mit einem ähnlich emotional fordernden Schicksal scheint sie unfassbare Kräfte zu besitzen und ist bereit, alles mitzutragen, bis eines Tages die Risse in der Familie spürbarer und sichtbar werden. Da scheinen auch ihre Kräfte langsam nachzugeben beziehungsweise ihr wird klar, dass sie anders kämpfen muss: für ihre Kinder und auch für sich.

Die "heile Welt" gibt es meines Erachtens nicht, beziehungsweise sie muss/müsste hart erarbeitet werden. Die Statistiken und Zahlen von innerfamiliärer Gewalt und Missbrauch in Deutschland sowohl psychisch als auch körperlich sprechen eine traurige und beschämende Sprache. Es kann nicht oft genug gesagt werden, dass jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Opfer physischer oder psychischer Gewalt wird, jede vierte Frau mindestens einmal Opfer durch einen aktuellen oder früheren Partner! Diese Fakten machen vor keiner Gesellschaftsschicht halt. Es ist kaum zu glauben, aber vor wenigen Jahren gaben in Umfragen 40 Prozent der Befragten zu, ihre Kinder zu Hause körperlich zu bestrafen. Dies ist das 21. Jahrhundert – so viel zu den Fakten, die einer fiktiven Familie Ritter Futter gaben.

Statements von Christian Erdmann, Godehard Giese, Steve Windolf und  Lucas Prisor

Christian Erdmann

Der Mensch Daniel Ritter ist die Summe all seiner Erlebnisse, Begegnungen, Erfahrungen – und mir war relativ schnell klar, dass das in erster Linie nicht nur gute gewesen sein können. Von ihm geht eine ungeheure Gewalt aus – verbal, emotional und auch körperlich. Irgendwo auf seinem Lebensweg ging ihm der Glaube an das Gute verloren, und er kämpft mit den falschen Mitteln der Gewalt um Wiedererlangung an diesen Glauben. Er kämpft um Liebe und Anerkennung, um seine verloren gegangene Illusion – scheint aber weder zu wissen, wie dieser Kampf ohne Schmerzen zu führen ist, noch wie sich die Liebe ohne Schmerzen anfühlt. Und so zerstört er eher das, was er bewahren oder schaffen möchte – sowohl im Gegenüber als auch in sich selbst. Er ist ein im Grunde trauriger Mensch voller Wut und Angst. Beides zu beherrschen hat er nie gelernt. Er ist ein Mensch, der sich hauptsächlich über das Außen wahrnimmt – was besitze ich, wie wirke ich, was denken die Leute? Beruflich erfolglos geblieben, richtet sich seine ganze Aufmerksamkeit und Kraft auf die Erziehung der Kinder, mit fragwürdigem Erfolg. Denn auch der Sohn hat seinerseits mit emotionalen Defiziten zu kämpfen.

Die Serie erzählt von Menschen, die in ihrer Heile-Welt-Blase die Orientierung verloren haben. Die es gewohnt sind, ihr seelisches Vakuum mit High-End-Architektur, Elektroautos, Diäten und Seitensprüngen unspürbar zu machen. Sie sind von ihrer grenzenlosen Langeweile, die sich natürlich nie als solche anfühlt, derart überfordert, dass sie auf den Spielplätzen und Klassenzimmern ihrer Kinder Stellvertreterkriege führen. Es fehlt schlicht der Mut zur eigentlichen Auseinandersetzung am richtigen Ort. Es wird manipuliert, gelogen, verletzt, Gewalt angetan – ein sehr realistischer Ansatz also für ein aktuelles Gesellschaftsdrama.

 

Godehard Giese

Hauke Klein möchte gerne ein Vater sein, der seine Kinder unterstützt. Er glaubt fest daran, dass man sich im Leben anstrengen muss, um weiter voranzukommen. Und gleichzeitig scheint alles Erreichte für ihn nicht genug. Als wir anfingen, uns Überlegungen zu seiner Lebensgeschichte zu machen, kamen wir auf den Gedanken, dass Hauke aus eher prekären Verhältnissen stammt, womöglich ohne Eltern in einem Heim aufgewachsen ist. Er hat nicht den familiären Rückhalt, den seine Frau genießt und steht nicht auf sicherem Grund. Seine Existenz scheint permanent in Gefahr. Die große Angst vor sozialem Abstieg, dass er den erreichten Wohlstand für sich und seine Kinder verlieren könnte, lässt ihn eng werden. Er gibt den Druck, den er selbst spürt, an seine Frau und vor allem seinen Sohn weiter. Er selbst ist bereit, alles zu geben, um das so hart erreichte Gefühl von Sicherheit, das vielleicht seit langem schon eine Illusion ist, nicht zu verlieren.

 

Steve Windolf

Erik liebt seine Familie. Er liebt es, zu Hause zu sein, für gute Laune zu sorgen. Genauso liebt er es aber auch, wieder abzureisen, die Familienprobleme Sarah zu überlassen und einfach nur Schauspieler zu sein. Frei, geliebt, ungebunden. Dass ihn seine Vergangenheit, in der er es mit seiner geschätzten Freiheit zu weit getrieben hat, wieder einholen würde, hätte er im Leben nicht geglaubt. Mit aller Kraft stemmt er sich gegen die vermeintlichen Verleumdungen, um seinen Beruf, seine Familie und sich selbst zu schützen. Doch die Wahrheit kommt immer ans Licht, früher oder später. Für mich erzählt Orkun Familiengeschichten abseits der Wiederholung der Wiederholung. Seine Charaktere haben Schwächen und Abgründe, was sie vielschichtig macht – was mir wiederum viel Gestaltungsfreiheit gibt. Zusammen mit Jens und diesem wirklichen ausgezeichneten und wunderbaren Cast hatte ich auch in meiner Arbeit die Möglichkeit, nicht in die Wiederholung der Wiederholung zu verfallen, sondern Neuland zu betreten. Dafür bin ich allen sehr dankbar.

 

 Lucas Prisor

Marek wirkt wie ein Eigenbrötler mit psychisch komplexen Tendenzen. Er ist ein einfacher, wenig auffallender Typ, den man gerne auch mal übersieht. Da er nicht sehr viele Freunde hat, klammert er sich an denen fest, die ihm einmal nahe waren. Seine verzweifelte Suche nach Liebe, Geborgenheit und Anerkennung macht aus ihm einen tragisch verlorenen, melancholischen Mann, der im Umgang mit seinen Mitmenschen und vor allem mit seinen Frauengeschichten das Feingefühl verliert. Einige seiner Entscheidungen sind nicht zu rechtfertigen, aber man kann sie erklären. Wenn auch mit vielen Ecken und Kanten und teilweise moralisch verwerflich, kann diese Rolle berühren. Es gibt keine heile Welt und keine perfekten Menschen. Und deswegen ist nicht alles, was er sagt, tut oder fühlt falsch, sondern, wie ich finde, ein reales Abbild unserer Gesellschaft und ihrer Nöte.

Statement der Produzentin Katja Herzog

Als ich einer glücklichen Fügung zur Folge Orkun Erteners Konzept zur Dramaserie "Neuland" in die Hände bekam, war ich sofort begeistert von der Erzählung – zunächst aus zwei Gründen. Da war einmal der Ton, den der Autor/Creator anschlägt: genau beobachtend, jenseits schematischer Figurenpsychologie, Lebenslügen und unangenehme Gefühle und Gedanken sezierend, dabei aber nie ohne Wärme und Empathie. Und mit Sinn für feinen Humor. Der zweite Grund für meine Begeisterung für den Stoff liegt in der Tatsache, dass ich den Eindruck hatte, hier geht es wirklich einmal um meine Generation. Die Probleme und Krisen haben hier nicht die "Anderen", sondern Charaktere, die mir selbst und meinem sozialen Umfeld durchaus ähneln. Das tut manchmal weh, darin liegt aber auch die Chance auf Selbsterkenntnis.

Die Zusammenarbeit mit Orkun in seiner Rolle als Creative Producer über seine Autorenschaft hinaus war von Beginn an organisch. Bei einer Stoffvorlage mit originärer Handschrift aus einer Feder ist es nur folgerichtig, wenn der Creator dieser Erzählwelt die Umsetzung ins Filmische mitkreiert und mitentscheidet. In diesem Zusammenhang bin ich auch sehr froh und dankbar über die Zusammenarbeit mit Regisseur Jens Wischnewski und den Redakteuren Kristl Philippi und Axel Laustroer sowie Producerin Kathrin Tabler. Sie und alle anderen Kreativen haben auf sehr respektvolle und konstruktive Weise viel dafür getan, um den Geist der Buchvorlagen behutsam und mit großer Sorgfalt umzusetzen. Es war eine gemeinsame Anstrengung für eine gemeinsam geteilte Vision. Eine gute Erfahrung!

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