Sie sagt. Er sagt.
Von Ferdinand von Schirach
In einem Strafprozess am Berliner Landgericht wird der Vorwurf einer Vergewaltigung verhandelt. Es steht Aussage gegen Aussage – juristisch wie menschlich ein scheinbar unauflösbares Dilemma, das eine ungeheure Sprengkraft entfaltet. Denn über die berufliche und private Zukunft zweier Menschen hinaus geht es um nicht weniger als um die Werte und Vorurteile, die uns als Gesellschaft ausmachen.
- ZDF Mediathek, ad ut ab Samstag, 17. Februar 2024, 10.00 Uhr, ein Jahr lang
- ZDF, ad ut Montag, 26. Februar 2024, 20.15 Uhr
Texte
Ein Film - zwei Wahrheiten
Wie lässt sich der Vorwurf einer Vergewaltigung unvoreingenommen erfassen? Wie lässt sich über Schuld oder Unschuld urteilen, wenn Aussage gegen Aussage steht? Was ist Wahrheit, und was ist Gerechtigkeit? In Form eines spannenden Gerichts-Dramas nach einem Drehbuch von Bestsellerautor Ferdinand von Schirach, inszeniert von Erfolgsregisseur Matti Geschonneck, stellt "Sie sagt. Er sagt." diese äußerst komplexen Fragen und vermittelt dabei einen Einblick in die Regelungen der deutschen Strafprozessordnung.
Der Film will das sowohl menschliche wie juristische Dilemma unserer Protagonistinnen und Protagonisten erlebbar machen, und darüber hinaus zu einem eigenen inneren Gedankenprozess anregen, indem die Zuschauerinnen und Zuschauer zu direkten Zeugen im Gerichtssaal werden und am Ende selbst ihr eigenes Urteil fällen müssen.
Mehrere starke Wendungen werden die Gefühle immer wieder schwanken lassen und dabei unweigerlich die Bewusstmachung der eigenen Voreingenommenheit provozieren. Spannend wird es, wenn wir damit konfrontiert werden, wie selektiv unsere subjektive Wahrnehmung ist. Wie schnell wir uns von etwas lenken, mitunter auch manipulieren lassen. Welche Kraft dabei die Form des gesprochenen Wortes und die Körpersprache haben, wird greifbar, wenn die "Wahrheit" von den jeweiligen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Prozesses vorgetragen wird.
Ein Film – zwei Wahrheiten. Der große Anspruch und die Herausforderung seitens der Macherinnen und Macher bei diesem Projekt bestand darin, im Idealfall am Ende die Waage der Justitia für das Publikum im Gleichgewicht zu halten. Ob dies gelingt, werden die Zuschauenden für sich selbst entscheiden müssen. Und ebenso, wie sie oder er über die Frage von Schuld oder Unschuld des Angeklagten entscheiden würde.
Das offene Ende soll dazu einladen, sich an der durch den Film angestoßenen Diskussion zu beteiligen. Im Anschluss an die Ausstrahlung wird eine 30-minütige Dokumentation das brisante Thema weiter vertiefen und komplexe tatsächliche juristische Problemstellungen und Sachverhalte für das Publikum zugänglich machen.
Redakteurin Stefanie von Heydwolff und Hauptredaktionsleiter Frank Zervos, HR Fernsehfilm/Serie I
Stab und Besetzung
Stab
Regie Matti Geschonneck
Buch Ferdinand von Schirach
Kamera Theo Bierkens
Ton Andreas Walther
Szenenbild Silke Buhr
Kostümbild Anneke Troost
Schnitt Dirk Grau
Produktion Koproduktion des ZDF mit der MOOVIE GmbH, gefördert vom Medienboard Berlin-Brandenburg und dem Filmförderfonds Bayern
Produzentin/Produzent Sarah Kirkegaard (MOOVIE), Reinhold Elschot
Executive Producer Oliver Berben (Constantin Film AG), Jan Ehlert (Constantin Television)
Herstellungsleitung Laura Machutta
Produktionsleitung Ute Schnelting
Redaktion Frank Zervos, Stefanie von Heydwolff
Länge 105 Minuten
Die Rollen und ihre Darsteller*innen
Katharina Schlüter Ina Weisse
Christian Thiede Godehard Giese
Vorsitzende Richterin Johanna Gastdorf
Verteidigerin Breslau Henriette Confurius
Rechtsanwalt Biegler Matthias Brandt
Oberstaatsanwalt Heise Florian Bartholomäi
Psychologische Sachverständige Altstedt Maria Köstlinger
Rechtsmedizinerin Laux-Frohnau Proschat Madani
Polizistin Reuther Bettina Lamprecht
Valerie Maiburg Nicole Marischka
Bernd Marotzka Alexander Hörbe
und andere
Inhalt
In einem Strafprozess am Berliner Landgericht wird der Vorwurf einer Vergewaltigung verhandelt. Es steht Aussage gegen Aussage – juristisch wie menschlich ein scheinbar unauflösbares Dilemma, das eine ungeheure Sprengkraft entfaltet. Denn über die berufliche und private Zukunft zweier Menschen hinaus geht es um nicht weniger als um die Werte und Vorurteile, die uns als Gesellschaft ausmachen.
Es ist ein Fall von hoher öffentlicher Aufmerksamkeit: Die bekannte TV-Moderatorin Katharina Schlüter und der Industrielle Christian Thiede verbindet eine jahrelange heimliche Affäre, jetzt sitzen sie einander als feindliche Parteien im Gerichtsaal gegenüber. Im Zeugenstand schildert Schlüter, wie aus dem zunächst einvernehmlichen Sex in Thiedes Wohnung eine Vergewaltigung wurde. Doch reichen Indizien wie Spermaspuren auf dem Kleid, das sie an dem Tag trug, als Beweismittel aus? Sachverständige und Zeugen werden vernommen, und eine unerwartete Wendung der Verhandlung macht es dem Gericht nicht leichter, über Glaubwürdigkeit und Wahrheit zu entscheiden.
Statement von Ferdinand von Schirach - Voice-Over in "Sie sagt. Er sagt."
Unser Strafgesetzbuch kennt den Begriff des Bösen nicht. Es beschreibt, was Vergehen und Verbrechen sind, ein Sachverhalt wird aufgelöst in Tat, Rechtswidrigkeit und Schuld. Als Richter müssen Sie urteilen, Sie können dem nicht ausweichen. Sie müssen entscheiden, ob ein Mensch gegen das Gesetz verstoßen hat, ob er Schuld auf sich geladen hat, ob er zu bestrafen ist. Sie sind es, die über das Schicksal des Angeklagten und das Schicksal des Opfers entscheiden. Und immer entscheiden Sie dabei auch, wer Sie selbst sind.
Über die Schuld oder Unschuld eines Menschen wird in einem Rechtsstaat nicht in Zeitungen entschieden, nicht im Fernsehen, nicht in den Sozialen Medien und nicht in den Foren des Internets. In einem Strafverfahren versuchen die Richter die Wahrheit herauszufinden. Sie hören Zeugen und Sachverständige, sie sehen sich sorgfältig die vorgelegten Beweise an, sie prüfen die Argumente des Staatsanwalts, des Nebenklägers und des Verteidigers. Aber es gibt keine Wahrheit um jeden Preis.
Nur nach den Regeln der Strafprozessordnung dürfen Beweise erhoben werden. Diese Regeln sind streng, aber sie kanalisieren unsere Wut, sie ordnen unsere schwankenden Gefühle. Zorn und Rache lehnen sie als Ratgeber ab. Sie achten den Menschen und am Ende sind nur sie es, die uns vor dem "voreiligen Griff nach der Wahrheit" schützen.
Statement von Matti Geschonneck
"Sie sagt. Er sagt.": Ein polarisierender Titel, der den Zuschauer herausfordert, Recht zu sprechen, über Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu entscheiden. Der Zuschauer wird eher als das Gericht sein Urteil fällen. Vorurteile können seine Rechtsprechung steuern. Sympathie für die eine Seite, Misstrauen gegenüber der anderen – Gefühle werden schwanken.
Warum tut sich die Klägerin das an? Warum mutet sie ihrer Familie diesen Schauprozess zu? Ist die Verletzung ihrer Würde derart, dass sie eben all das riskiert – Familie, Beruf, ihr Leben? Will sie die Existenz des Angeklagten zerstören? Ist es Rache? Glauben wir ihr? Geschieht dem Angeklagten Unrecht? Der Zuschauer wird Partei nehmen.
Ein Film bleibt eine Fiktion – für die Filmemacher, den Regisseur, die Schauspieler eine außergewöhnliche Herausforderung. Wir stellen Fragen. Wie vertragen sich Recht und Moral? Was ist Wahrheit?
Statement der Produzentin Sarah Kirkegaard
Brisant, kontrovers, inspiriert von einer Vielzahl an Begebenheiten: "Sie sagt. Er sagt." von Ferdinand von Schirach ist nicht das erste Justizdrama, in dem Aussage gegen Aussage steht. Es ist auch nicht die erste fiktionale Auseinandersetzung mit einem Vergewaltigungsvorwurf. Doch es ist der erste Film zu diesem aufgeladenen Thema, der sich konsequent auf das Geschehen im Gerichtssaal konzentriert. So ermöglicht er dem Publikum eine intensive, von Kontext und subjektiven Rückblicken unbeeinflusste (An-)Teilnahme an Vorgängen, die der Öffentlichkeit in der Realität nur bedingt zugänglich sind. Dabei erfährt es nur das, was vor Gericht vorgebracht wird. Die Identifikation und Empathie mit der einen oder anderen Seite ist jeder und jedem Einzelnen überlassen. Es gibt keine Parteinahme, sondern das Publikum ist gefordert, sich selbst ein Urteil zu bilden – und wird dabei mit den eigenen emotionalen Reaktionen und unbewussten Vorurteilen konfrontiert.
"Sie sagt. Er sagt." ist in vieler Hinsicht eine Ausnahmeproduktion. Nicht zuletzt als erste Zusammenarbeit von zwei Menschen, die zu Recht als DIE Meister ihres Fachs gelten: Ferdinand von Schirach als Autor und Matti Geschonneck als Regisseur. Was sie in diesem fesselnden Courtroom-Drama durch genauestes Hinschauen und Zuhören an heiklen Fragen und blinden Flecken, an menschlichen Abgründen und scheinbar unauflösbaren Dilemmata zutage fördern, das betrifft uns alle: als Individuen in unseren intimsten Beziehungen und als Bürgerinnen und Bürger eines Rechtsstaats. Denn es geht um nicht mehr und nicht weniger als unsere geteilten Werte: Wahrheit. Gerechtigkeit. Würde.
"Da gab es keine Gewöhnung" - Interview mit Ina Weisse
SIE und ER. Es geht um den Vorwurf der Vergewaltigung. Einer von beiden sagt nicht die Wahrheit, wir wissen jedoch nicht, wer. Wie sind Sie als Schauspielerin mit dieser Situation umgegangen?
Die Gedanken, die man sich als Zuschauerin über die Figuren macht, werden beeinflussen, wen man als schuldig oder unschuldig erachtet. Dabei fließen natürlich persönliche Erfahrungen ein. Beim ersten Anschauen des Films war ich überrascht, wie sehr ich selbst hin und her gerissen war. Das eigene Vorurteil sagt wohl mehr über das Menschenbild der Zuschauenden aus als über die Schuld oder Unschuld der Prozessteilnehmer.
Was ist SIE für ein Mensch? Warum nimmt SIE die Anstrengungen des Prozesses in Kauf?
Ich empfinde die Figur als sehr stark, sehr mutig. Obwohl sie weiß, dass sie alles verliert, geht sie vor Gericht. Sie setzt sich dem Prozess aus und überwindet die Scham, ihre Intimität preiszugeben. Sie versucht, mit dem Prozess ihre Selbstbestimmung wieder zu erlangen, ihre Würde. Sie erzählt auf Fragen der Richterin den Hergang der Vergewaltigung sehr detailliert. Der Mann hätte die Möglichkeit gehabt, anders zu handeln. Das macht sie mit ihrer genauen Beschreibung deutlich. Sie schafft es, eine Sprache zu finden und sich zu wehren. Durch ihren Beruf ist sie jemand, die mit Sprache umgehen kann. Sie kann das Erlebte in Sprache umwandeln. Sie hat das Handwerkszeug dazu.
Godehard Giese als Gegenspieler hat – da chronologisch gedreht wurde – im Gerichtssaal fast bis zum Schluss kein Wort gesprochen. Wie hat das Ihr eigenes Spiel beeinflusst?
Als Figur habe ich versucht, ihn auszublenden, ihm nicht in die Augen zu sehen.
Fast die gesamte Drehzeit hat an einem Set – in einem Gerichtssaal – stattgefunden. Was waren dabei die besonderen schauspielerischen Herausforderungen?
Es herrschte die ganze Zeit über eine hohe Konzentration. Jede Entscheidung darüber, wie die Figur sitzt, ob sie die Arme auf dem Tisch hat, den Rücken durchgestreckt oder angelehnt ist, musste man über einen langen Zeitraum durchhalten. Jede noch so kleine Geste sagt etwas über den Zustand der Figur aus. Jeder Gesichtsausdruck könnte falsch gedeutet werden, jede Formulierung von Seiten der Verteidigung gegen einen verwendet werden.
Was hat Sie gereizt, was hat es Ihnen aber auch schwer gemacht, eine solche Rolle zu spielen?
Die Figur war sehr präzise geschrieben. Am Anfang erzählt sie von der Person, die sie vor der Tat war – da hatte sie noch eine Sicherheit, und dann gab es die plötzlich nicht mehr. Dieser Bruch, wie sie ihr Vertrauen, oder wie sie es nennt "ihre Welt", verliert, ging mir immer wieder nah. Da gab es keine Gewöhnung, eher eine Überwindung, sich dem immer wieder auszusetzen.
"Tatsächlich drehe ich gern so reduziert" - Interview mit Godehard Giese
SIE und ER. Einer von beiden sagt nicht die Wahrheit, wir wissen jedoch nicht, wer. Wie sind Sie als Schauspieler mit dieser Situation umgegangen?
Da das Drehbuch nicht auf einem wahren Fall beruht, gibt es ja keine Wahrheit, die am Ende herauskommen könnte. Alle Gedanken und Gefühle, die wir als Zuschauerinnen und Zuschauer haben, sagen nur etwas über uns und unser Verhältnis zu dem Thema und den unterschiedlichen Positionen und Blickwinkeln aus. Natürlich macht es für mich als Schauspieler in diesem Fall keinen Sinn, wenn ich nicht von der Unschuld meiner Figur überzeugt bin, aber Wahrhaftigkeit erscheint mir hier die wichtigere Kategorie in Bezug auf die Darstellung zu sein.
Es wurde – beim Film eher unüblich – chronologisch gedreht. Nach zwanzig Drehtagen sprachen Sie den ersten Satz. Was bedeutet es, über einen so langen Zeitraum nonverbal zu spielen?
Vor allem hat es ein großes Vertrauen in die Regie bedurft, denn ich bin noch viel mehr von den Entscheidungen im Schnitt abhängig gewesen als bei anderen Rollen. Ich habe versucht, ein möglichst großes Spektrum an zurückgehaltenen und offen ausgestellten Reaktionen durchzulassen, da mir klar war, dass die feine Abstimmung, die der Film benötigt, erst in der Schnittphase entstehen konnte. Tatsächlich stieg die Nervosität natürlich mit jeder verstreichenden Woche. Und wenn am vorletzten Drehtag dein siebenseitiger Monolog stattfindet, hast du aber auch den gesamten Prozess als Kraft in deinem Rücken.
Das Setting für die Dreharbeiten war kammerspielartig auf (fast) einen Ort, den Gerichtssaal, beschränkt. Was waren dabei die besonderen schauspielerischen Herausforderungen?
Ich hatte ja mit Matti Geschonneck schon "Die Wannseekonferenz" in den gleichen Filmstudios gedreht. Das war natürlich ein ähnlicher Prozess. Tatsächlich drehe ich gern so reduziert. Es ist ein sehr konzentriertes und fokussiertes Arbeiten und erinnert mich immer ein bisschen an meine Zeit am Theater.
Was ist ER für ein Mensch? Warum verhält er sich im Prozess auf diese Weise?
Wir erfahren ja nicht wirklich viel über ihn. Er ist vor allem natürlich ein Mensch in einer Extremsituation. Es werden intimste Details aus seinem Leben öffentlich verhandelt, und als Angeklagter steht er unter einem besonderen Druck.
Warum entschließt ER sich, entgegen der Absprache mit seiner Verteidigerin, eine Aussage zu machen?
Ich denke, am Ende ist der Druck auf ihn einfach zu groß, und er möchte die Aussagen nicht unwidersprochen stehen lassen. Aber vielleicht war das alles auch nur eine Taktik von seiner Anwaltskanzlei. Dass die Motivation der Figur offen gelassen wird, ist natürlich ebenfalls bewusst gesetzt und wird, wie alles andere auch, nicht abschließend beantwortet.
"Für jede Nuance offen und durchlässig" - Interview mit Johanna Gastdorf
Sie kommen aus einer Juristenfamilie. Inwieweit hat Ihnen das bei der Vorbereitung auf Ihre Rolle als Vorsitzende Richterin geholfen?
Sehr geholfen hat mir natürlich, dass ich meine Schwester, die Richterin war, zu Rate ziehen konnte. Was ich, auch ohne konkrete Inhalte zu verraten, ausführlich getan habe. Es war ein gutes Gefühl, auch während des Drehs jederzeit kompetente Hilfe in Anspruch nehmen zu können. Tatsächlich hatte sie mich aber schon sehr gut "aufgestellt", und es war dann gar nicht mehr nötig.
Die Zuschauerinnen und Zuschauer sehen sich mit derselben Herausforderung konfrontiert wie das Gericht: Es steht Aussage gegen Aussage, die Beweise scheinen nicht auszureichen, um ein eindeutiges Urteil zu fällen. Wie nah sind Sie als Schauspielerin diesem Dilemma gekommen?
Dem Dilemma bin ich, hoffentlich, so nah es mir möglich war gekommen. Die Richterin hat am Ende eine Entscheidung von enormer Tragweite zu treffen, muss für jede Nuance offen und durchlässig bleiben. Das bedeutet zugleich, dass ich auf keinen Fall ein Urteil für mich fällen durfte und wollte, bevor wirklich alle Aussagen gemacht wurden. Tatsächlich bin ich, so gesehen, froh, es nicht "innerlich abschließen" zu müssen.
Mediale Vorverurteilung ist auf dem Vormarsch. Der Grundsatz, dass jeder zunächst als unschuldig zu gelten hat, scheint in der Berichterstattung in den Hintergrund zu rücken. Wie denken Sie darüber?
Es ist zunächst natürlich sehr wichtig, dass Gewalt gegen Frauen, egal welcher Art, auch in der Gesellschaft als Straftat zunehmend anerkannt ist. Wie so viele Verheerungen, die die Verbreitung von Lügen und Dummheit durch das Internet über uns bringen, sind Unschuldsvermutungen, als sehr fragile Instrumente der Justiz, leider meist erst im Gerichtssaal relevant. Das ist natürlich furchtbar.
Mit welchen vielleicht unbewussten eigenen Annahmen hat der Film Sie konfrontiert?
Ganz sicher die Aussage der psychologischen Gutachterin zu den "sogenannten Vergewaltigungsmythen", speziell die viel höhere Anzahl von Vergewaltigungen und Gewalttaten im familiären, persönlichen Umfeld, als die dem Vorurteil vom "bösen Fremden in der dunklen Gasse" folgenden Mythen. Da war auch ich nicht ausreichend informiert.
"Federball spielen in den Pausen" - Interview mit Henriette Confurius
Können Sie die unterschiedlichen Facetten Ihrer Figur beschreiben?
Frau Breslau ist ruhig, weich, vernünftig, logisch, überzeugend.
Was waren beim Dreh die besonderen schauspielerischen Herausforderungen für Sie?
Auf den ersten Blick habe ich die langen Texte als Herausforderung empfunden. Aber ich hatte große Freude daran, mich mit dem Lernen der Texte zu befassen. Eine viel größere Herausforderung, die ich so nicht habe kommen sehen, waren die vielen Tage, an denen ich keinen oder wenig Text hatte und es den ganzen Tag sitzend und zuhörend schaffen musste, konzentriert und wach zu bleiben. Federball spielen in den Pausen hat geholfen. Und Kreuzworträtsel. Danke Godehard.
Ihre Figur Frau Breslau verteidigt den Angeklagten. Haben Sie als Schauspielerin vorher für sich entschieden, wer von beiden lügt, SIE oder ER?
Ich habe tatsächlich in meiner Vorbereitung und in den Gesprächen mit Matti und Godehard immer gesagt: Natürlich ist ER unschuldig, natürlich sagt ER die Wahrheit. Aber nicht, weil ich das wirklich glaube, sondern weil ich mich entschieden habe, dass es mir als seine Verteidigerin ums Gewinnen geht, nicht darum, wer Wahrheit spricht oder dass Gerechtigkeit geschieht. Mein Ziel ist es, dass dieser Mann freigesprochen wird. Tiefer wollte ich meine Rolle nicht kennenlernen.
Sie waren an allen Drehtagen anwesend, kennen also das gesamte Geschehen nicht nur aus dem Drehbuch, sondern auch vom Set. Jetzt haben Sie den fertigen Film gesehen – hat sich Ihr Blick auf das Prozessgeschehen aus Zuschauersicht verändert?
Ja. Vom ersten Lesen des Drehbuches über die Dreharbeiten bis hin zum Schauen des fertigen Films hat sich für mich die Glaubwürdigkeit der Aussagen sehr oft verändert. Ich denke, ich habe mich während der Arbeit mehr auf das gesagte Wort konzentriert und das Prozessgeschehen darum herum weniger wahrgenommen. Beim Schauen ist der Prozess für mich mehr in den Vordergrund gerückt.
Sie haben zum ersten Mal mit Regisseur Matti Geschonneck zusammengearbeitet. Wie haben Sie die Dreharbeiten erlebt?
Ich habe mich sehr gefreut, mit ihm zu arbeiten. Er hat mir diese Rolle angeboten, und ich wusste: Wenn er mir diese Rolle anbietet, dann bin ich auch die richtige Besetzung.
"Vom Geplapper nicht beeinflussen lassen" - Interview mit Matthias Brandt
Anwalt Biegler ist ein unkonventionell auftretender Strafverteidiger, als Zuschauer wird man von seinem Auftreten immer wieder überrascht. Wie haben Sie zu dieser Figur gefunden?
Es war nicht besonders schwierig, in diese Rolle zu finden, weil Ferdinand von Schirach sie so geschrieben hat. Ich musste mir das also nicht ausdenken, ein Vorteil von guten Drehbüchern. Der Mann weiß, wovon er redet, das Gefühl hat man ja sonst nicht immer. Dass ein Autor, der selbst Anwalt ist, einen Rechtsanwalt beschreibt, ist natürlich interessant.
Sie sind auch Theaterschauspieler. Hat Ihnen diese Erfahrung bei den chronologischen Dreharbeiten in einem sehr kammerspielartigen Setting geholfen?
Ich glaube schon, wobei die Chronologie beim Drehen für mich gar nicht so wichtig war. Das war halt logistisch sinnvoll. Ein Plädoyer vor Gericht unterscheidet sich nicht so sehr von einem Bühnenmonolog. Deswegen hat es nicht geschadet, dass man sowas schon mal gemacht hat.
Herr Biegler verteidigt eine Mandantin, die juristisch gesprochen, als Zeugin der Nebenklage und gleichzeitig als Geschädigte auftritt. Haben Sie als Schauspieler vorher für sich entschieden, wer von beiden lügt, SIE oder ER?
Ich musste das gar nicht entscheiden, weil der Rechtsanwalt Biegler eine klar definierte Aufgabe hat, nämlich, die Interessen seiner Mandantin möglichst wirkungsvoll zu vertreten. In dem Moment, wo er das Mandat annimmt, ist er automatisch auf ihrer Seite. Bei dieser besonderen Erzählkonstruktion geht es ja eher darum, die Zuschauerin, den Zuschauer in die Lage zu versetzen, sich entscheiden zu können, was und wem sie oder er glaubt.
Im Genre Justizdrama gibt es viele berühmte Beispiele. In "Sie sagt. Er sagt." kommt ein zeitgenössischer Faktor hinzu: Der Fall wird zwar vor Gericht verhandelt, findet aber auch in den (sozialen) Medien Widerhall. Inwiefern erschwert das eine objektive Verteidigung?
Da ich die sogenannten sozialen Medien nicht nutze, bin ich nicht kompetent. Und Sensationsblätter gab's ja früher auch schon. Das Gericht darf sich halt von dem Geplapper möglichst nicht beeinflussen lassen. Eine objektive Verteidigung aber kann und sollte es nicht geben, siehe oben. Dann hätte der Anwalt seine Aufgabe verfehlt, er ist in seiner Funktion per se parteiisch.
Was waren die besonderen schauspielerischen Herausforderungen bei diesem Dreh?
Ich hatte mir schon lange gewünscht, mal in einem klassischen Gerichtsfilm mitspielen zu können, weil ich das Genre mag. Herausforderungen? Das hört sich so nach Beschwerlichkeit an, aber so habe ich es nicht empfunden. Es waren schöne Dreharbeiten, weil lauter tolle Kolleginnen und Kollegen um mich herum waren, die inspirierend waren und denen ich immer gerne zugeschaut habe.
Sie sagt. Er sagt. Die Dokumentation.
ZDF: Montag, 26. Februar 2024, 22.00 Uhr
ZDFmediathek: ab Samstag, 17. Februar 2024
Ein Film von Sandra Hardinghaus und Jörn-Andres Gerit
Recherche Lou Matzen
Kamera Sami Karim, Jasper Engel, Oliver Gurr, Christoph Lerch
Schnitt/Montage Anja Schütze
Grafik Holger Hauff
Redaktion ZDF Katrin Müller-Walde
Produktion Christian Stöckel (ZDF),
Holger Kreit (SPIEGEL TV)
Produzent Robert Wortmann (SPIEGEL TV)
Länge 30 Minuten
Im Anschluss an den Fernsehfilm von Ferdinand von Schirach geht die Back-to-Back-Doku der Frage nach: Wie entsteht Wahrheit im Gerichtssaal?
Eigentlich soll die Strafprozessordnung Richtern helfen, der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Dafür vernehmen sie Zeugen, hören Experten an, lassen sich Beweise vorlegen. Doch reicht das? Was, wenn die Beweise kein eindeutiges Bild ergeben? Wie geht ein Richter oder eine Richterin damit um, wenn es im Fall einer vermeintlichen Vergewaltigung keine dritten Zeugen gibt? Wenn am Ende Aussage gegen Aussage steht? Ein Dilemma. Also "in dubio pro reo", im Zweifel für den Angeklagten? Fakt ist: Der Richter ist in der Beweiswürdigung frei. Es zählt nur die richterliche Überzeugung, die im Idealfall auch der "objektiven Wahrheit" entspricht. Doch wie oft ist das wirklich der Fall? Wie leicht glauben Menschen im Zweifel den eigenen Vorurteilen? Wie schnell sind Menschen manipulierbar? Und woran ist zu erkennen, dass jemand lügt? Das Wissen auch um diese weichen Faktoren macht es Menschen an der Spitze eines Gerichtes schwer, über Schuld oder Unschuld zu entscheiden. Denn mit einem Urteil, das für die Beteiligten schwerwiegende Folgen hat, müssen am Ende auch die Richter leben.
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