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Auf dünnem Eis

Der Fernsehfilm der Woche

Winter in Berlin. Mitten in der Nacht fährt die Köchin Ira (Julia Koschitz) auf ihrem Stellplatz einen Obdachlosen (Carlo Ljubek) an. Obwohl sie müde und erschöpft ist von ihrer Arbeit in einem Hotel-Restaurant  ist, bringt sie den nur leicht verletzten Konrad in das nächstgelegene Krankenhaus. Damit beginnt der gemeinsame Weg von Ira und Konrad.

  • ZDF, Montag, 20. September 2021, 20.15 Uhr
  • ZDF Mediathek, Montag, 13. September 2021 - Montag, 12. September 2022

Texte

Stab und Besetzung

Regie   Sabine Bernardi
Buch Silke Zertz
KameraBernhard Keller
MusikDaniel Sus & Matthias Klein
Music SupervisionKai Schoormann
TonAndreas Walther
TonmischungChristoph Metke
SzenenbildPetra Albert
KostümbildNicole Stoll
SchnittRenata Ivancan
CastingAnja Dihrberg, Jaqueline Rietz
AufnahmeleitungIsabell Brandenburg
ProduktionsleitungNorbert Ranft
ProducerinAnne Büttner
Produzentin/ProduzentBeatrice Kramm, Christoph Bicker
ProduktionPolyphon GmbH
RedaktionPit Rampelt
Länge

89 Minuten

Die Rollen und ihre Darsteller*innen
Ira RosenthalJulia Koschitz
Markus KonradCarlo Ljubek
LukasBruno Grüner
Bernhard Markus Gertken
KarenGudrun Gabriel
Lutz Hans Klima
Dennis KonradPaul Michael Stiehler
Rainer SimmeringKristian Nekrasov
Luise SchaffhausAntonia Holfelder
Ralph UhligIvo Kortlang
und andere

Inhalt

Winter in Berlin. Mitten in der Nacht fährt die Köchin Ira auf ihrem Stellplatz vor ihrer Wohnung einen Obdachlosen an. Konrad hat sich dort mit seinem Hund ein Lager errichtet. Obwohl müde und erschöpft von ihrer Arbeit in einem Hotel-Restaurant, bringt sie den nur leicht verletzten Konrad in das nächstgelegene Krankenhaus. Damit beginnt der gemeinsame Weg von Ira und Konrad.

Im Spannungsfeld zwischen Mitgefühl und Abwehr beginnt Ira sich mit der Frage nach ihrem Platz im Leben auseinanderzusetzen. Erst kürzlich ist ihre Ehe zerbrochen und sie lebt nun mit ihrem 9-jährigen Sohn Lukas allein. Ihr Job als Köchin bringt sie nicht nur wegen der extremen Arbeitszeiten an ihre Grenzen. Konrad dringt immer weiter in Iras Alltag ein. Um ihn loszuwerden, versucht sie, ihm seinen Platz im Leben zurückzugeben. Sie lässt ihn bei sich übernachten, leiht ihm Klamotten und begleitet ihn bei Behördengängen.

Iras Ex–Mann Bernhard sucht wieder reumütig den familiären Anschluss, fühlt sich aber von Konrad gestört und bedroht. Als Ira ihren Job verliert, wird ihr bewusst, wie fragil die eigene bürgerliche Existenz ist, und ihr entgleitet zunehmend ihr Leben.

Die Fragilität bürgerlicher Existenz - Ein Gesellschaftsdrama

Das Sozialdrama "Auf dünnem Eis" ist auf Initiative der Produzentin Beatrice Kramm entstanden. Ihre aus einer persönlichen Erfahrung gewonnene Grundidee griff die ausgezeichnete Autorin Silke Zertz auf. Die Regisseurin Sabine Bernardi und Julia Koschitz als Protagonistin Ira haben dann das starke Frauen-Quartett im kreativen Zentrum dieses Projektes komplettiert. Mit dem Kameramann Bernhard Keller und vor allem den Schauspielern Carlo Ljubek in der Rolle des wohnsitzlosen Konrad und Markus Gertken als Iras Ex-Mann Bernhard sind auch männliche Mitglieder aus dem Filmteam hervorzuheben.

Sie alle erzählen die Geschichte einer Köchin, die nach einer Trennung gerade versucht, ihren 9-jährigen Sohn alleine zu erziehen und einem alkoholkranken Obdachlosen zu helfen, den Weg zurück in ein "normales" Leben zu finden. Mit dem konfliktreichen Kontrast von Arm und Reich, von (vermeintlicher) Sicherheit im Beruf und Arbeitslosigkeit beleuchtet dieses lebensnahe Drama die Fragilität der bürgerlichen Existenz.

"Man erkennt den Wert einer Gesellschaft daran, wie sie mit den Schwächsten ihrer Glieder verfährt." Dieses bedenkenswerte Wort des früheren Bundespräsidenten Gustav Heinemann verdeutlicht, dass sich die Humanität einer Gesellschaft am Umgang mit ihren Minderheiten misst. Wer die Fähigkeit zur Empathie nicht hat, verliert den moralisch-ethischen Kompass. Aber Mitgefühl kann auch nicht vor Unbill des Lebens und vor Schicksal schützen, wie das berührende Scheitern von Ira und Konrad zeigt.

Der Fernsehfilm der Woche "Auf dünnem Eis" wurde im Pandemie-Jahr 2020 bei den 42. Biberacher Filmfestspielen als bester Fernsehfilm mit dem Fernsehbiber ausgezeichnet und ist in diesem Jahr zum Festival des deutschen Films in Ludwigshafen eingeladen.

Pit Rampelt, Redaktion Fernsehfilm I

Producer's Note von Beatrice Kramm

Dieser Film beruht auf einem persönlichen Erlebnis von mir im Jahr 2012. Es war ein besonders kalter Winter in Berlin. Ein Obdachloser suchte sich auf unserem Stellplatz einen geschützten Ort und lebte dort für einige Wochen. Wir haben vergeblich versucht, mit ihm in Kontakt zu treten und ihm Hilfe angeboten – er wollte in Ruhe gelassen werden. Bei einer Temperatur um die -15° C und Frost verstarb der Mann – bis heute wissen wir nichts von ihm. Mit diesem Film möchte ich ihm eine Geschichte geben.

"Auf dünnem Eis" erzählt von dem Obdachlosen Konrad und von Ira, die sich stellvertretend für uns alle durch die Begegnung mit ihm mit schwierigen Fragen konfrontiert:  Was geht mich fremdes Elend an? Was hat das mit mir zu tun? Was kann ich als "ganz normaler Mensch" denn schon tun? Oft ist das, was wir für uns selbst am meisten fürchten, näher an uns dran, als wir es wahrhaben wollen. Beim Versuch, Konrad einen Weg aus der Obdachlosigkeit und Abhängigkeit zu bereiten, verliert Ira immer mehr die Kontrolle über ihr Leben, bis hin zur Existenzbedrohung.

 "Auf dünnem Eis" ist eine Geschichte der Kontraste. Der Kontrast zwischen Arm und Reich, zwischen klirrender Kälte in Berliner Winternächten und flirrender Hitze brodelnder Sterneküche. Aber auch zwischen Mitgefühl und Selbstschutz. Kontraste können ohne einander nicht existieren und so ist "Auf dünnem Eis" auch eine Geschichte der fließenden Übergänge. Wir erfahren, wie schnell der Übergang von der einen in die andere Welt geht und wie schnell man mit völlig neuen Lebensumständen konfrontiert ist.

"Auf dünnem Eis" ist auch ein Film über das Leben. Das Leben besteht aus Kontrasten, aus Schicksalsschlägen, Schmerz und Herausforderungen, genau wie aus Glück, Lachen und Liebe. Ein Film, der die Härten schonungslos zeigt, aber gleichzeitig auch die Hoffnung in sich trägt, dass das Leben lebenswert und schön ist. Die komischen und liebevollen Momente haben ihren Platz genauso wie die tragischen. In der Gestaltung wollten wir dieses herausstellen – nicht grau und dunkel ist unser Film, sondern voller Farben.

Interview mit Julia Koschitz

In Iras Leben häufen sich die Probleme. Wie geht sie mit der Situation um?

Ira befindet sich in einer Lebenssituation, in der es an vielen Stellen zu bröckeln beginnt. Sie kämpft mit der frischen Trennung von ihrem Partner. Ihre Eltern werden immer gebrechlicher, trotzdem ist sie als Köchin mit Nachtschichten auf ihre Mutter als Babysitterin angewiesen und lebt in einem Dauerspagat mit schlechtem Gewissen der Mutter und ihrem Sohn gegenüber. Geld ist knapp, es reicht kaum für die Miete, und schließlich verliert sie auch noch ihren Job. Existenzängste treffen auf Liebeskummer, treffen auf Sorge um die Eltern. Sie ist verletzt, allein gelassen, vollkommen überfordert und versucht, irgendwie nicht die Nerven zu verlieren und zu funktionieren. Als alleinerziehende Mutter mit einem 8-Jährigen hat sie auch gar keine andere Wahl. Ein Zustand, den viele kennen werden. Sie hat in dieser Überforderungsschleife nicht die Kapazitäten, sich wirklich mit ihrer Trennung auseinander zu setzen und einzusehen, dass sie um diese Beziehung kämpfen sollte. Genauso vertagt sie die dringende Aufgabe, einen neuen Job zu finden, den sie mit ihrem Kind vereinbaren kann. Stattdessen konzentriert sie sich erstmal auf einen anderen Menschen, der noch viel existentiellere Probleme hat als sie.

Iras Leben verläuft nicht gerade in geregelten Bahnen, als sie Konrad kennenlernt. Warum setzt sie sich so für Konrad ein?

Aus Verantwortungsgefühl, weil sie ihm schließlich über den Fuß gefahren ist, aus Mitgefühl, weil sie erkennt, dass er nicht schuld ist an seiner Situation und außerdem durch die Eiseskälte in diesem Winter existentiell bedroht ist, aber auch aus Flucht vor ihren eigenen Problemen. Es erscheint ihr dringender, aber auch vielleicht machbarer, erstmal sein Leben auf die Reihe zu kriegen, als ihr eigenes. Außerdem gibt es ihr an einem Tiefpunkt ihres Lebens eine klare Aufgabenstellung und eine Bestätigung, dass sie etwas Sinnvolles tut. Konrads Situation ist viel problematischer, als ihre, deswegen kann sie ihn im Endeffekt auch nicht retten. Trotzdem fühlt sie sich an diesem Punkt ihres Lebens mit ihm verwandt. Sie haben beide viel verloren. Indem sie ihm hilft, hilft sie sich ein Stück weit auch selbst.

Obdachlosigkeit ist in Deutschland kein unbekanntes Problem. Wird diesem Thema in der Öffentlichkeit genug Aufmerksamkeit geschenkt?

Nein, sicher nicht. Irgendwie gibt es immer noch das Denken, dass das nur bestimmten Menschen passieren kann. Auf jeden Fall nicht "mir". Das halte ich für ein schweres Missverständnis. Die Ursachen für Obdachlosigkeit können jeden treffen, ob Arbeitslosigkeit oder Altersarmut, Schulden, zerrüttete Familienverhältnisse, Suchtprobleme, eine Lebenskrise, die einen komplett aus der Bahn wirft, die vielleicht zu psychischen Problemen führt. Wohnraum ist immer teurer geworden, so dass viele Menschen sich die Mieten nicht mehr leisten können. Das Thema ist komplex und nicht in einem Satz zusammen zu fassen, aber ich glaube, dass man sich mehr damit auseinandersetzen muss, wie man zum einen Obdachlosen Wohnraum und gesundheitliche Versorgung zusichern kann und wie man zum anderen Obdachlosigkeit überhaupt vermeiden könnte.

Viele begegnen Obdachlosen mit Vorurteilen. Hat sich durch die Arbeit für diesen Film Ihr Blick auf Obdachlosigkeit verändert?

Ganz neu war die Auseinandersetzung mit dem Thema nicht. Vor dem Dreh habe ich mit jemandem zusammen gearbeitet, der selbst für zwei Jahre auf der Straße gelebt hat. Durch ihn habe ich begriffen, dass es unterschiedliche Formen von Obdachlosigkeit gibt. In seinem Fall zum Beispiel war es eine bewusste Entscheidung, die er erst revidiert hat, als er gesundheitliche Probleme bekommen hat. Wir haben viel über Freiheit und Angepasstheit geredet, über Vorurteile und den Druck in unserer kapitalistisch geprägten Gesellschaft und darüber, wie gut und wichtig es ist, wenn man jemanden zum Reden hat. Aber natürlich genau so über Vereinsamung, Hunger, Kriminalität, über den Winter und die Ausweglosigkeit, wenn man krank wird. Er hatte das Glück, zurück zu können. Er hatte Eltern, die ihn wieder aufgenommen haben. Ein funktionierendes soziales Netzwerk ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Faktor. Wenn man keine Familie oder Freunde hat, die einen auffangen würden, ist der Weg auf die Straße kürzer als man denkt.

Bei akuten Katastrophen, wie aktuell der Flutkatastrophe, zeigen sich die Menschen sehr hilfsbereit. Wieso blenden viele das Problem der Obdachlosigkeit aus, obwohl wir es täglich vor Augen haben?

Weil wir Berührungsängste und Vorurteile haben, weil wir uns selbst leider oft am nächsten sind und uns nur ungern aus unserer Komfortzone heraus bewegen, weil wir bequem sind und uns tragischerweise an gesellschaftliche Missstände gewöhnen, obwohl wir sie untragbar finden. Ob es sich dabei um Obdachlose handelt, oder um den Klimawandel. Je mehr wir über die Menschen erfahren, denen ein solches Schicksal widerfährt, desto weniger können wir wegschauen. Ich glaube, dass es da Aufklärungspotential gibt und wir uns mehr in die Verantwortung nehmen müssen. 

Interview mit Carlo Ljubek

Wie würden Sie die Beziehung zwischen Ira und Konrad beschreiben? Warum kann Konrad Iras Hilfe nicht gänzlich annehmen?

Wir alle stoßen in unseren Leben an Grenzen. Wie gehen wir damit um? Welche halten uns, und welche treiben uns voran in unseren Bahnen? Welche werfen uns da raus? Ira und Konrad werden durch einen zufälligen Anstoß, Unfall, Schicksalsschlag, wie man auch immer diese Wechselbeziehungen zwischen Raum und Zeit nennen will, aus ihrer eigenen in eine gemeinsame Bahn gestoßen. In der einfachsten Form begegnen wir Menschen uns auf der persönlichen Ebene. Sehr schnell aber entsteht eine Gleichzeitigkeit, in der wir uns auf der persönlichen, der sozialen, der ökonomischen und kulturellen Ebene bewegen müssen. Dann kommen noch die Einflüsse der Menschen von außen dazu. Wer bringt welche Erfahrung mit? Wenn dann eine zwischenmenschliche Begegnung aber auf so vielen Ebenen passiert wie bei den beiden, dann kann sie beängstigend sein, weil sie so viele Grenzen gleichzeitig berührt und überschreiten will. Können wir unsere vorherigen Erfahrungen überwinden oder nicht?

Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet?

Ich habe viel gelesen und mir diverse Filme zum Thema angeschaut. Der Film "Nomadland" von Chloe Zhao, den ich kürzlich gesehen habe, zeigt durch Frances McDormand, dass es Menschen gibt, die sich nur als Mensch fühlen können, wenn sie sich außerhalb eines gesellschaftlichen Systems frei bewegen können. Warum können wir Menschen uns nicht in Arten denken, wie zum Beispiel Vögel? Es gibt welche die bleiben das ganze Jahr über am gleichen Platz, und es gibt Zugvögel. Ich maße mir nicht an, obdachlose Menschen über einen Kamm zu scheren. Ich versuche eher zu verstehen, welche Gründe es dafür gibt, ob sie ökonomisch oder persönlich sind. Und welche Hilfe braucht der einzelne Mensch dann konkret  stationäre oder bewegliche?

Obdachlosigkeit ist in Deutschland kein unbekanntes Problem. Wird diesem Thema in der Öffentlichkeit genug Aufmerksamkeit geschenkt?

Ich bin da kein Experte. Ich kann mich nur fragen, warum Grundbedürfnisse von Menschen, wie Nahrungsmittel und Obdach, ökonomisch verhandelbare Werte und nicht gegebene Konstanten in unserer Gesellschaft sind. 

Viele begegnen Obdachlosen mit Vorurteilen. Hat sich Ihr Blick darauf verändert?

Menschen immer mit Respekt zu begegnen, ist eine mir sehr wichtige Haltung. Wie gesagt, ich weiß nie, ob jemand auf diesen Weg gestoßen wurde oder ihn für sich gewählt hat. Ich denke, wir müssen den Wanderern in unserer Gesellschaft mit beweglichen Angeboten zur Verfügung stehen. Es ist die Aufgabe einer Demokratie, vor allem Minderheiten zu schützen. Und unser aller Aufgabe ist, diese Menschen in ihrer eigenen Art wahrzunehmen, die konkrete Bedürfnisse haben, die wir nur nicht immer nachvollziehen können.

Bei akuten Katastrophen zeigen sich die Menschen sehr hilfsbereit. Wieso blenden viele das alltägliche Problem der Obdachlosigkeit aus, obwohl wir es täglich vor Augen haben?

Wir blenden es nicht aus, wir Menschen reagieren auf Frequenzen. Es gibt Impulse, die ständig auf uns einwirken: Arbeit, Kinder, Alltag und vieles mehr. Der Mensch selektiert, um zu überleben. Obdachlosigkeit ist so eine immer anwesende Frequenz. Eine akute Frequenz wie die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz durchbricht die ständig anwesenden Frequenzen. Deshalb bin ich allen Menschen mehr als dankbar, die sich dauerhaft um Obdachlose und ihre Bedürfnisse kümmern. Das müssen wir alle als "der Staat" mittragen.

 

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