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Die Kinder von Windermere

Fernsehfilm und Begleit-Dokumentation

Anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz, des Internationalen Tages des Gedenkens an die Opfer des Holocausts und des deutschen Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus, zeigt das ZDF den Fernsehfilm "Die Kinder von Windermere", eine Koproduktion mit der BBC. Im Anschluss folgt "Die Kinder von Windermere – die Dokumentation".

  • ZDF, Montag, 27. Januar 2020, 22.15 Uhr
  • ZDF Mediathek, Fernsehfilm: Ab Montag, 27. Januar 2020, 22.00 Uhr; Dokumentation: Ab Sonntag, 26. Januar 2020

Texte

Windermere war der Grundstein für eine Zukunft in Freiheit

Nach ihrer Befreiung aus den Konzentrationslagern wurden 1945, am Ende des Zweiten Weltkrieges, 300 jüdische Kinder an den Lake Windermere gebracht. Der deutsche Psychologe Oscar Friedmann betreute die Kinder dort einen Sommer lang, und sie lernten, mit ihren grauenhaften Erfahrungen umzugehen. Dort wurde ihnen Hoffnung auf ein neues Leben gegeben.

"Die Kinder von Windermere" ist ein packendes Drama nach dieser wahren Begebenheit und wurde von BBC und ZDF anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau produziert. Der Film wird am Montag, 27. Januar 2020, zeitgleich in beiden Sendern ausgestrahlt. Außerdem wird an diesem Tag ein Screening des Films in der Bayrischen Vertretung in Brüssel vor Abgeordneten des Europäischen Parlaments stattfinden.

Der Film ist ein Zeichen der Hoffnung nach dem finstersten Kapitel deutscher Geschichte. Im Mittelpunkt stehen die Jugendlichen Arek Hershlikovicz, Ben Helfgott, Ike Alterman, Sala Feiermann, Salek Falinower und Sam Laskier. Die jungen Darsteller wurden in ganz Europa gecastet und hatten keine Schauspielerfahrung. Sala und Arek sind auch im wahren Leben ein Paar. Vor dem Dreh erhielten die Jugendlichen eine geballte Ladung Geschichtsunterricht, um sie so besser an ihre Rollen heranzuführen. Fußball ist eine tragende Storyline im Film. Leider konnten alle Jungen zu gut Fußball spielen. Das war ein Problem, denn vor der Kamera sollten sie bewusst schlecht performen, um dem englischen Gegner eine Chance zu geben. Am Set hat das für viele Lacher gesorgt.

Die Stärke dieser Kinder, ihr Mut und ihr Lebenswille zeichnen diesen Film aus und lassen ihn zum Erlebnis werden. In einer geschützten Umgebung wird den traumatisierten Kindern nach Jahren unmenschlicher Gräuel und permanenter Todesangst wieder ein angstfreier und lebensbejahender Alltag ermöglicht. Die Kinder lernen, was es heißt, genug zu essen zu haben und allein in einem Zimmer zu schlafen. Außerdem lernen sie Englisch und bereiten sich mithilfe des einfühlsamen Trainers Jock Lawrence (gespielt von Iain Glen) auf ein Fußballspiel mit den Einwohnern des Dorfes vor. Doch die Vergangenheit bleibt präsent, und viele bekommen erst in England Gewissheit, dass ihre Familien ausgelöscht wurden. Doch in Windermere werden sie in ihrem Schmerz und Kummer nicht alleingelassen.

Zentrale Figur und Ansprechpartner für die Kinder ist der Psychologe Oscar Friedmann, im Film gespielt von Thomas Kretschmann, der eine Art Vaterfigur für viele der Jugendlichen wird und dessen Ziel es ist, den jungen Heranwachsenden beim Bewältigen ihrer Erfahrungen zu helfen.

Das hoch emotionale Drehbuch von Simon Block beleuchtet ein bisher noch nicht erzähltes Kapitel aus dem Umfeld des Holocausts. Die Freundschaft der Kinder von Windermere war der Grundstein für eine Zukunft in Freiheit, und der Zusammenhalt ihrer Nachkommen ist ihr Vermächtnis.

Der Film erzählt die Geschichte eines Neuanfangs voller Hoffnung und Zuversicht, und er zeigt, was es bedarf, damit ein Neuanfang nach dem Grauen überhaupt möglich ist.

Claus Wunn, ZDF-Hauptredaktion Internationale Fiktion

Die Kinder von Windermere
Stab, Besetzung, Inhalt

Montag, 27. Januar 2020, 22.15 Uhr, ZDF
Ab Montag, 27. Januar 2020, 22.00 Uhr, bis Samstag, 25. Juli 2020, ZDFmediathek

Die Kinder von Windermere
Drama, Großbritannien 2019

Montagskino im ZDF

Free-TV-Premiere

Stab

Buch Simon Block
Regie Michael Samuels
Kamera Wojciech Szepel
Musik Alex Baranowski
Schnitt Victoria Boydell
Szenenbild Ashleigh Jeffers
Produzent Warner Bros.
Redaktion Claus Wunn, Wolfgang Feindt
Länge ca. 90 Minuten

 

Die Rollen und ihre Darstellerinnen und Darsteller

Oscar Friedmann Thomas Kretschmann
Marie Paneth Romola Garai
Jock Lawrence Iain Glen
Leonard Montefiore Tim McInnerny
Rabbi Weiss Konstantin Frank
Berish Lerner Marcel Sabat
George Lauer Philipp Christopher
Edith Lauer Anna Schumacher
Ben Helfgott Pascal Fischer
Sam Laskier Marek Wroblewski
Sala Feiermann Anna Maciejewska
Arek Hershlikovicz Tomasz Studzinski
Ike Alterman Jakub Sprenger
Chaim Olmer Kacper Swietek
Salek Falinower Jakub Jankiewicz
Juliusz Lukasz Zieba
und andere  

 

Inhalt

In dem Drama "Die Kinder von Windermere" wird die berührende Geschichte von rund 300 Kindern und Jugendlichen erzählt, die nach ihrer Befreiung aus den Konzentrationslagern während der Endphase des Zweiten Weltkrieges nach England gebracht werden. In der geschützten Umgebung am Lake Windermere sollen sie einen Sommer lang unter der Betreuung des deutschen Psychologen Oscar Friedmann lernen, mit ihren grausamen Erlebnissen während des Holocausts umzugehen.

Der Film rückt eine kleine Gruppe traumatisierter 13- bis 17-Jähriger in den Mittelpunkt, die, nach Jahren des Schreckens, wieder einen normalen, angstfreien und lebensbejahenden Alltag erleben können. Am Lake Windermere lernen sie wieder, was es heißt, zu leben. Hier legen sie den Grundstein für eine bessere Zukunft – auch, wenn viele der Kinder erst dort erfahren, dass es keine Hoffnung auf ein Wiedersehen mit ihren Familien gibt.

Interview mit Thomas Kretschmann

Herr Kretschmann, was hat Sie gereizt, die Figur des Psychologen Oscar Friedmann in "Die Kinder von Windermere" zu spielen?

Mich hat die Geschichte sehr berührt. Schon in der Vorbereitung auf den Film haben mich die überlebenden Kinder und Jugendlichen, die aus den Konzentrationslagern nach England gebracht wurden, fast mehr interessiert als die Rolle des Oscar Friedmann, den ich in dem Film spiele. Ich verstand meine Figur als Beobachter, als jemand, der nur eines tun kann: reagieren auf diese jungen Leute in einer fremden Umgebung, in der sie nun ein neues Leben beginnen sollten. Im Konzentrationslager hatten sie Dinge gesehen und erlebt, die man sich gar nicht vorstellen kann, und die sie nun, angekommen am Lake Windermere, nicht nur nachts in ihren Träumen verfolgten. Oscar Friedmanns Aufgabe bestand darin, diese jungen Menschen zu stärken, damit sie sich wieder dem Leben zuwenden konnten.

Beim Lesen des Drehbuchs fühlte ich mich ein bisschen an das Gefühl erinnert, das ich bei "Der Pianist" von Roman Polanski hatte, in dem ich auch mitwirkte. Ich habe schon viele Figuren verkörpert, die es wirklich gab, und weiß um meine Verantwortung diesen Personen gegenüber. Mein Ziel als Schauspieler ist es, den Figuren, die ich spiele, möglichst gerecht zu werden.

Wie haben Sie sich Ihrer Figur angenähert, wie haben Sie sie interpretiert?

Da es relativ wenig Material zu Oscar Friedmann gibt, konnte ich ihn für mich neu erfinden. Ich habe mich bemüht, ihm eine sozusagen ehrliche Haut zu geben. Mir war es wichtig, die Figur zu unterspielen, sie nicht wortgewaltig, sondern zurückhaltend und so nebensächlich wie möglich darzustellen. Die meiste Zeit während des Films lässt Friedmann die Dinge laufen; er lässt sie sich entwickeln, er schaut zu und reagiert nur, wo es wirklich notwendig ist, wie etwa, als sich die britischen Jungen im Dorf über eine Gruppe dieser Jugendlichen lustig machen. Da setzt sich Friedmann als aktiver Beschützer ein: nicht laut, nicht mit erhobenem Zeigefinger, aber so entschieden, dass die Botschaft bei den britischen Jugendlichen ankommt.

Inwieweit halten Sie diesen Film für wichtig?

Das Bewegende an diesem Film ist, dass er dem Horror des Naziregimes menschliches Handeln entgegensetzt. Für die Kinder, die dank der Initiative des Central British Fund, einer privaten Wohltätigkeitsorganisation, in Windermere aufgenommen und betreut wurden, bedeutete es einen Neuanfang, die Aussicht auf ein nahezu normales Leben, obwohl sie alle ihre Familien verloren hatten. Die Inszenierung des Films wird dem Thema, meiner Meinung nach, absolut gerecht. Das Ensemble war großartig besetzt, vor allem die jungen Darsteller haben stark gespielt. Sie haben mich sehr beeindruckt.

Mit Thomas Kretschmann sprach Gitta Deutz

Statements der Schauspieler

Konstantin Frank (Rabbi Weiss)

Für mich geht es in diesem Film um den absoluten menschlichen Kern, der durch keine Grausamkeit auf der Welt endgültig vernichtet werden kann. Auch fünf Jahre im Konzentrationslager können das Menschliche in uns nicht auslöschen, und es ist nie jemand für immer verloren.

Schon das Drehbuch von Simon Block hat mich sehr beeindruckt – es war präzise und sehr einfühlsam geschrieben. Man begreift sofort, dass jedes dieser Kinder einzigartig ist – trotz ihrer großen gemeinsamen tragischen Erfahrung. Das war für mich das Wichtige an dem Projekt: wie es funktionieren kann, wenn jeder Mensch in seiner Besonderheit und auf Augenhöhe begleitet wird. Michael Samuels hat das sehr klug und liebevoll umgesetzt.

Ich spiele den jungen Rabbi Weiss, der die Kinder mit einer undogmatischen Selbstverständlichkeit begleitet und unterrichtet. Man muss verstehen, dass die meisten dieser Kinder aus Familien mit einem religiösen Weltbild kamen und dieses zusammen mit ihren Familien vernichtet wurde. Der Rabbi unterstützt die Kinder am besten gerade durch seine einfache und verständnisvolle Art. Das ist ein wunderbares Konzept: sich nicht über jemanden stellen, belehren oder irgendwohin führen, sondern einfach da sein, verlässlich und als einer von ihnen. Das hat mich an der Rolle sehr gereizt.

Die Arbeit an dem Film war sehr besonders, weil neben großartigen erwachsenen Kolleginnen und Kollegen, vor allem die jugendlichen Schauspieler und Schauspielerinnen den Film getragen haben. Mit ihnen zu arbeiten, war absolut beeindruckend, wobei man sagen muss, dass es sie verständlicherweise auch emotional sehr mitgenommen hat. Sowohl Michael Samuels als auch Alison Sterling, unsere Produzentin, und wir als Ensemble haben sie bei der Arbeit sehr liebevoll und gewissenhaft unterstützt. Sie konnten richtig aufblühen, und es war eine große Freude, mit ihnen zu arbeiten.

Philipp Christopher (George Lauer)

Bei so einem Projekt fällt es einem Schauspieler leicht, zuzusagen, denn es spricht Themen wie Hilfe und Menschlichkeit sowie das Überwinden von furchtbaren Erfahrungen an. Der Film erzählt von einer Seite des Krieges und des Terrors, die so oft unerwähnt bleibt: die Heilung. Ich war mir über diese "Rettungsaktion" des Central British Fund nicht bewusst und sehr von der Geschichte angetan. Die Rolle des George Lauer basiert auf einer wahren Person, jedoch wies unser Regisseur ausdrücklich darauf hin, niemanden imitieren zu wollen, sondern einen eigenen Charakter zu schaffen. Ich habe mir trotzdem ein Interview mit George Lauer aus den 90er Jahren angeschaut, um einfach mehr über seine Geschichte zu erfahren. Dabei habe ich mir dann doch die ein oder andere Körperlichkeit oder Gestik abgeschaut. Auch habe ich das Buch "The Boys" gelesen, das Grundlage für den Film war.

Die emotionale Bindung zu den Kindern entstand ganz automatisch, da ich selbst einen Sohn habe. Wenn man um die Zerbrechlichkeit, die Abhängigkeit und auch das Bedürfnis nach Liebe eines Kindes weiß, dann ist dieses Thema umso greifbarer. Die Produktion war international besetzt, da neben den deutschen auch Schauspieler aus Polen und Großbritannien dabei waren. Alle zogen am selben Strang, denn sie wollten diese Geschichte erzählen und waren sich insofern ihrer Bedeutung bewusst. Es ist ein Geschenk, ein solches Thema mit so einem grandiosen, respektvollen und internationalen Cast und Produktionsteam filmisch umzusetzen.

Anna Schumacher (Edith Lauer)

In "Die Kinder von Windermere" spiele ich Edith Lauer, eine historische Persönlichkeit. Zusammen mit ihrem Mann, George Lauer, hat sie die Schrecken des Holocausts überlebt. Beide helfen, 300 Waisenkinder nach der Befreiung aus den Konzentrationslagern nach Calgarth Estate in Lake Windermere/England zu bringen, wo diese die Möglichkeit haben, zu genesen. Die ersten drei Monate verbringen sie dort, um den Kindern die schwierige Eingewöhnungszeit zu erleichtern. Edith wird zu einer wichtigen Bezugsperson für die Waisen, denn sie vertrauen ihr. Zudem vermittelt sie zwischen ihnen und den englischen Pädagogen, die sich um die Genesung der Überlebenden kümmern. 

Edith ist selbstlos in ihrem Versuch, den Kindern zu helfen, ein normales Leben zu beginnen. Diese Aufgabe gibt ihrem eigenen Leben Hoffnung und einen neuen Sinn. Als die Waisenkinder Fortschritte machen und sich langsam zwischen ihnen Freundschaften bilden, ist es für Edith und George Zeit, für einen eigenen persönlichen Neuanfang. Später werden sie nach Amerika auswandern und dort eine Familie gründen.

Einen bleibenden Eindruck hat bei mir das Spiel der jungen Schauspieler hinterlassen: wie sie ihre Rollen verinnerlicht und mit welcher Intensität sie gespielt haben. Selten fiel es mir so schwer, Abschied von einer Figur zu nehmen, von der atemberaubend schönen Landschaft in Nordirland, wo wir drehten, und den wundervollen Menschen, mit denen wir gemeinsam an diesem sehr besonderen Film gearbeitet haben. Ich bin sehr dankbar, ein Teil davon gewesen sein zu dürfen. 

"Ein Gefühl von Hoffnung vermitteln"
Interview mit dem Regisseur Michael Samuels 

Was hat Sie dazu bewogen, diesen Film zu inszenieren?

Obwohl ich in der Vergangenheit viel über den Holocaust gelesen hatte und schon lange etwas zu diesem Thema machen wollte, hatte ich von dem Windermere-Projekt noch nie gehört. Es war mir sofort klar, dass dies eine außergewöhnliche Geschichte ist. An Simon Blocks Drehbuch fand ich besonders spannend, dass es um die Nachwirkungen der KZ's auf die Überlebenden sehr bald nach ihrer Befreiung ging, und nicht um eine Führung durch die Lager, von denen ich das Gefühl hatte, sie schon oft gesehen zu haben. Außerdem wird die Geschichte ohne Rückblenden auf die Lager erzählt. Besonders gefiel mir das kluge und nuancierte Drehbuch, das die überlebenden Kinder nicht als zweidimensionale Opfer behandelt. Die Kinder sprechen wie echte Kinder, sie sind oft sehr lustig, obwohl sie Unvorstellbares erlebt haben.

Es ging darum, einen Film zu machen, der psychologisch komplex und emotional sehr kraftvoll ist. Entscheidend war für mich, dass wir, ohne zu pathetisch oder vereinfachend zu sein, dem Publikum am Ende des Films ein Gefühl von Hoffnung  vermitteln, dass diese Kinder eine Zukunft haben.

Spürten Sie bei der Arbeit an diesem Film eine besondere Verantwortung, weil die Geschichte auf gelebten Erfahrungen und authentischen Zeugenaussagen basiert?

Ich hatte schon vorher Regie bei einer Reihe von auf Fakten basierenden Dramen geführt. Es gibt immer eine große Verantwortung gegenüber den realen Menschen, über die man einen Film macht, weil sie eben real und keine fiktiven Erfindungen sind. Ich denke, dass wir das in diesem Fall alle angesichts der Erfahrungen der Überlebenden noch stärker empfunden haben. Aber das ist die Herausforderung bei jedem Sachdrama: Man will einen präzisen Film machen, der aber gleichzeitig in seiner Dramatik funktioniert. Das Publikum wird keine Zugeständnisse an die Dramaturgie machen, weil es auf einer wahren Geschichte basiert. Der Film funktioniert entweder als Drama oder nicht – darin liegt die Herausforderung.

Können Sie uns etwas über das Gesamterlebnis während der Dreharbeiten zu "Die Kinder von Windermere" erzählen? Wie war die Atmosphäre?

Es war eine wunderbare Atmosphäre, obwohl es ein intensiver Dreh über eine äußerst schmerzhafte Geschichte war. Es mag vielleicht bizarr erscheinen, dies angesichts des Themas zu sagen, aber es gab eine unbeschwerte Kommunikation  zwischen Cast und Crew, die den Dreh positiv beeinflusste. Es war klar, dass alle an Bord gekommen waren, weil sie von der Geschichte wirklich berührt waren. In diesem Sinne fühlte es sich also nicht wie ein normaler Dreh an. Manchmal konnte ich es einfach nicht glauben: Ich drehte einen Film über etwas, das mir sehr am Herzen lag, und ich arbeitete mit einer wunderbar engagierten Crew – mit einigen hatte ich schon vorher gearbeitet – und mit einer tollen Besetzung. Was konnte ich mehr verlangen?

Gab es beim Dreh besondere Herausforderungen?

Mit einem Wort: Ja. Wir waren sehr ehrgeizig. Es gab die üblichen Herausforderungen, wie etwa das Drehen an mehreren Orten. Das Anwesen in Calgarth zum Beispiel ist eigentlich ein Verbund von drei Drehorten. Wir drehten im Wald und unter Wasser, und natürlich gab es aufwändige Drehs wie etwa das Fußballspiel.

Aber es gab bei diesem Film spezifische Herausforderungen. Die meisten der jungen Schauspieler waren wegen ihres Alters in der Zahl der Stunden, die sie täglich arbeiten durften, eingeschränkt. Außerdem hatten wir es oft mit buchstäblich Hunderten von Statisten (meist Kinder) zu tun, die alle geschminkt und kostümiert werden mussten (die Kostüm- und Maskenabteilungen waren großartig!). Entscheidend aber waren die schauspielerischen Herausforderungen, weil unser Film von traumatisierten Kindern handelt. Insofern standen unsere jungen und unerfahrenen Darsteller im Fokus des Films, von denen die meisten noch nie zuvor vor einer Kamera gestanden hatten. Die Schauspieler waren sehr sorgfältig ausgewählt worden, ich wusste vorab, dass wir ein kluges und talentiertes Ensemble zusammengestellt hatten. Aber ich war trotzdem von ihren guten Leistungen absolut begeistert.

Gab es persönliche Highlights?

Es waren so viele! Ich war begeistert von den Auftritten der jungen Darsteller. Sie sind der emotionale Kern des Films, also mussten ihre Auftritte funktionieren. Es war fantastisch zu sehen, wie sie gegenüber den wunderbaren erwachsenen Schauspielern wie Thomas, Iain, Tim und Romola auftraten. Ich liebe die Szene, in der Oscar die einheimischen Jungen angeht, die einen Nazi-Gruß machen. Und es war faszinierend, mit Thomas Kretschmann zu diskutieren, wie Oscar reagiert hat, ich denke, Thomas macht etwas wunderbar Intuitives und Unerwartetes. Und natürlich war die Ankunft der echten Holocaust-Überlebenden für die Verfilmung der letzten Szene ein ganz besonderes Ereignis!

Wann kamen diese ans Filmset? Und hat der Besuch das Gefühl am Set beeinflusst?

Die "echten" Überlebenden kamen am vorletzten Drehtag zum Set. Das hatte eine große Wirkung auf alle. Wir waren fast am Ende eines ziemlich vollen Drehs, wir hatten die Geschichte der Überlebenden gefilmt, als sie Kinder in Windermere waren, und dann tauchten die wirklichen Überlebenden selbst auf – jetzt in ihren späten 80ern und 90ern Jahren. Es ist schwer zu erklären, wie bewegend das war. Ich dachte: "Mein Gott, wir haben gerade ihre Geschichten gefilmt, und da sind sie." Ich schaute mich um und sah unter Tränen die "Grizzly-Crew", die Veteranen, die bei den zermürbenden Kampfszenen von "Game of Thrones" spielten …

Erzählen Sie uns bitte etwas über die Dreharbeiten mit den jungen Schauspielern und über deren Kommunikation untereinander.

Viele der jungen Schauspieler hatten wenig oder keine Erfahrung vor der Kamera. Deshalb waren Proben wichtig, um sie auf die Dreharbeiten vorzubereiten. Ich hatte eine Auswahl von Holocaust-Filmen und schriftlichem Material vorbereitet, um sie mental darauf einzustimmen, dann folgten intensive Proben der Szenen, wobei ihnen die Grundlagen einer Filmproduktion erklärt wurden. Das Außergewöhnliche war, dass alle klug und aufmerksam und von einer schnellen Aufnahmefähigkeit waren, und als sie zum Drehen auftauchten, war es, als hätte ich es mit Schauspielern zu tun, die auf eine große Dreherfahrung zurückgreifen konnten. Ich war verblüfft, ich musste die Dinge nicht mehrfach erklären. Es gab einen denkwürdigen Moment, als einer der jungen Schauspieler, Tomasz, der Arek spielt, auf mich zukam und fragte, wie er in der Szene auftreten sollte, als Arek die Nachricht erhält, dass seine Familie in den Lagern gestorben sei. Es ist schwierig zu inszenieren, wie jemand auf die Nachricht vom Tod seiner ganzen Familie reagieren soll. Eine derartige Szene kann sich schrecklich manieriert anfühlen, wenn sie zu sehr inszeniert wird. Tomasz lächelte und sagte nur, was für mich unvergesslich ist: "Die Sache ist die: Ich bin kein Schauspieler, ich studiere Elektrotechnik." Die Leistung von Tomasz war in diesem Fall absolut perfekt.

Was brachten Thomas, Romola, Iain, Tim, Konstantin, Philipp, Anna und die anderen in jede ihrer Rollen ein?

Ich hatte den Eindruck, dass jeder von ihnen aus unterschiedlichen und oft sehr persönlichen Gründen in diesem Film mitspielen wollte. Ich glaube, man erkennt dieses Engagement in jeder ihrer Szenen. Da es sich hier um ein Ensemble-Drama handelt, bei dem wir mehrere Handlungsstränge gleichzeitig in nur 90 Minuten Leinwandzeit bedienen mussten, brauchten wir Schauspieler ihres Kalibers, die sehr prägnant viel vermitteln können. Das ist wirklich der "Weniger ist mehr"-Ansatz beim Schauspiel. Außerdem verhielten sie sich alle sehr großzügig und ermutigend unserem jungen Cast gegenüber. Iain Glen etwa war während des Fußballtrainings und der Spielszenen sehr unterstützend, um ihnen zu helfen und ihnen Selbstvertrauen zu geben.

Da wir Fortschritte bei der Genesung der Kinder sehen, führt uns der Film von der Tragödie zur Hoffnung. Wie haben Sie sich mit dem Cast durch diese Emotionen gearbeitet?

Filme werden fast immer aus einer Sequenz heraus gedreht, so dass man leicht übersehen kann, wenn eine Figur emotional in seiner eigenen Handlung feststeckt. In einem Ensemblestück mit mehreren Charakteren ist das sogar noch gefährlicher. Während der Proben nahm ich also jede Figur zur Seite. Wir gingen das gesamte Drehbuch durch und besprachen, wann sie in den Szenen als einzelner Charakter auftritt. Und dann brachten wir die Leute zusammen, um die eigentlichen Szenen zu proben.

Wie bringt man eine positive Stimmung in ein solch erschütterndes historisches Ereignis?

Wir haben versucht, in dem Film eine Balance zwischen Schmerz und Emotionen zu vermitteln, kombiniert mit Humor und Energie. So mag zum Beispiel die Figur Ike englische Mädchen, obwohl er die Sprache nicht sprechen kann. Es ist so, als wären es "normale" Kinder, die Dinge tun, die normale Kinder eben tun: sich übereinander lustig machen, scherzen, Beziehungen untereinander und mit anderen haben wollen. Aber jeder trägt einen sehr langen Schatten mit sich herum. Und oft kommt dieser hervor, wenn sie Dinge nicht kontrollieren können, wie etwa ihre Alpträume.

Aber eines, was ich an diesem Film geliebt habe, ist, dass das Windermere-Projekt ein aufklärerisches Projekt ist, bei dem die Therapeuten und Freiwilligen zwar nicht alles in nur vier Monaten erreichen konnten, denn sie kratzten nur an der Oberfläche des psychologischen Traumas, dessen Ausmaß niemand zuvor erlebt hat, aber Tatsache ist, dass die Kinder sich entwickelten und aufblühten. Dies darzustellen war eine der großen Freuden, die bei der Entstehung dieses Films eine Rolle spielten. Ich wollte visualisieren, wie die Schönheit der Landschaft von Windermere und die Freiheit, die die Kinder dort hatten, zu diesem Fortschritt beitrugen. Ich wollte zeigen, wie sie mit den anderen Überlebenden zu einer (neuen) Familie zusammen wachsen – in dem Wissen, dass, obwohl nichts in ihrem Leben einfach und geradlinig sein wird, sie eine Zukunft haben. Aber: Sie haben Hoffnung.

Mit Michael Samuels sprachen Gitta Deutz und Eliott Keene

Die Kinder von Windermere – Die Dokumentation

Montag, 27. Januar 2020, 23.45 Uhr

Die Kinder von Windermere – Die Dokumentation
Film von Nancy Bornat

Redaktion Carl-Ludwig Paeschke
Länge ca. 43 Minuten

 

Inhalt

In der Dokumentation zum Film "Die Kinder von Windermere", über Jugendliche, die bei Kriegsende aus Konzentrationslagern der NS-Zeit nach England gebracht wurden, erzählen Überlebende ihre Geschichte.

"Wir kamen aus der Hölle in den Himmel", erinnert sich Sam Laskier. Er war einer der 300 jungen Juden verschiedenster Nationalitäten, die sich nach der Befreiung der KZs durch die Alliierten im englischen Windermere erholen sollten.

In der idyllischen englischen Landschaft rund um den See von Windermere wurden die Kinder von Familien aufgenommen. Sie fanden dort eine neue Heimat. Mit psychologischer Unterstützung sollten sie lernen, ihre traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten. Einige der letzten noch Lebenden des Kindertransportes berichten in sehr persönlichen Statements von ihren Erfahrungen.

Wie andere, die sein Schicksal teilten, schildert Arek Hersh in der Dokumentation, was der Neuanfang für ihn bedeutete: "Ich begann wieder, mich als ein menschliches Wesen zu fühlen." Der therapeutische Umgang mit den traumatisierten Kindern beeinflusste die Entwicklung der Kinderpsychologie weltweit. Auch deshalb ging das "Windermere-Projekt" in die Geschichte ein.

Fotos

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