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Ein Tag in Auschwitz

Film von Winfried Laasch und Friedrich Scherer

Vor 75 Jahren, am 27. Januar 1945, befreite die Rote Armee Auschwitz. Bis heute gilt der Ort als Synonym für den Holocaust. Der Film erzählt aus der Sicht der Opfer und einiger Täter von einem typischen Tag in Auschwitz im Mai 1944 – auch an diesem Tag war der Massenmord Routine.
Die 90-minütige Dokumentation stützt sich auf Interviews mit überlebenden Opfern und auf Fotos aus dem "Auschwitz-Album". Es wurde 1944 von der SS angefertigt und liegt heute in der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel.

  • ZDF, Dienstag, 28. Januar 2020, 20.15 Uhr

Texte

Stab und Inhalt

Dienstag, 28. Januar 2020, 20.15 Uhr
Ein Tag in Auschwitz
Film von Winfried Laasch und Friedrich Scherer

Buch und Regie_____Winfried Laasch, Friedrich Scherer
Schnitt_____Christoph Schuhmacher
Sprecher_____Philipp Moog
Kamera_____Anthony R. Miller, Christian Baumann
Historische Fachberatung_____Dr. Stefan Hördler
Animationen_____Kawom
Produktion_____Philipp Müller
Produktionsleitung_____Carola Ulrich
Redaktion_____Alexander Berkel
Leitung_____Stefan Brauburger
Sendelänge_____90 Minuten

Inhalt
Im Jahr 1944 sollte die Todesfabrik Auschwitz ihre "Effizienz" noch steigern. Täglich kamen Tausende Juden an, täglich ermordete die SS die ankommenden Menschen. Was die Opfer erlebten und die Täter antrieb, zeigen erschütternde Zeugnisse. Ausgangspunkt für den Film ist ein einzigartiges Dokument, das sich in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem befindet: ein Fotoalbum von Auschwitz, angelegt von den SS-Tätern selbst. Fast alle Fotos darin entstanden Ende Mai 1944 an nur wenigen Tagen. Sie zeigen die grausame Routine im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau: die Ankunft der jüdischen Opfer in vollgepackten Viehwaggons, ihre "Selektion" auf der Rampe in Arbeitsfähige und Todgeweihte, den Raub ihres Eigentums und die Verwandlung all derer, die nicht gleich getötet wurden, in kahl rasierte, uniformierte Arbeitssklaven.

Die Fotos sind authentische Momentaufnahmen des Verbrechens. Sicher ist: Die meisten Menschen auf den Bildern sind wenige Stunden nach der Aufnahme tot, ermordet. Doch von denen, die Ende Mai 1944 in Auschwitz eintrafen, überlebten einige wenige. Eine von ihnen ist die heute 89-jährige Irene Weiss, die sich im Interview erinnert, wie sie als 13-Jährige auf der Rampe von Auschwitz stand und ihrer kleinen Schwester hinterherblickte, die – von ihr getrennt – in den Tod geschickt wurde. Auf einem Foto erkennt Irene Weiss ihre kleinen Brüder und ihre Mutter ahnungslos wartend, in der Nähe des Krematoriums, in dem sie kurz darauf umgebracht wurden. Die SS-Fotografen hielten all dies fest. Hatten sie kein Mitleid, wenigstens mit den Kindern? War es für sie ganz normale "Arbeit"?

So dreht sich der Film auch um das Psychogramm der Täter, zu denen die Fotografen des Auschwitz-Albums zählen. Ihre Identität ist heute bekannt: Einer von ihnen war Bernhard Walter, ein Stabsscharführer der SS, der mit Frau und drei Kindern in der Nähe des Vernichtungslagers wohnte. Die Film-Autoren Winfried Laasch und Friedrich Scherer suchen nach Antworten auf die immer noch beklemmende Frage, was scheinbar "ganz normale Männer" zu willigen Helfern einer Mordmaschinerie macht.

Die Dokumentation fokussiert einen "typischen" Tag in Auschwitz, Ende Mai 1944. Doch sie beleuchtet auch verschiedene Wege, die Opfer, aber auch Täter genommen hatten, bevor sie in das Konzentrations- und Vernichtungslager kamen. Authentische Fotos, Zeichnungen von KZ-Häftlingen, aber auch Selbstzeugnisse der Lager-SS wurden filmisch und grafisch in die 90-minütige Dokumentation eingefügt. Schauplätze auf den Fotografien werden mit Orten der Gedenk-Anlage heute abgeglichen, der Weg durch den Tag vor Ort wird rekonstruiert, in den geschichtlichen Kontext gestellt und durch Zeitzeugen und Historiker gedeutet.

Routine einer Todesfabrik –
Autor Friedrich Scherer über das Konzept der Dokumentation

Auschwitz, 75 Jahre nach der Befreiung. Ein Anlass der Erinnerung, der einmal mehr die Frage aufwirft, wie man die Geschichte des Todeslagers erzählt, das zum Synonym für fabrikmäßigen Massenmord wurde. Und wie führt man nach sieben Jahrzehnten jüngeren Zuschauern vor Augen, was damals geschah? So entstand der Gedanke, einen anderen Zugang zu wählen, als man ihn aus früheren Filmen kennt: Die Rekonstruktion eines "typischen" Tagesablaufs an dem Ort der Vernichtung, aus der Perspektive der Opfer und einiger Täter.

Ein solcher "typischer Tag" ist nirgendwo dokumentiert. Ihn zu rekonstruieren gleicht der Zusammensetzung eines Puzzles. Weder von Tätern noch von Opfern sind Aufzeichnungen, die sich auf ein Datum konzentrieren, überliefert. Die Häftlinge der Todesfabrik Auschwitz waren dazu nicht in der Lage, ihre Peiniger versuchten am Ende, alle Spuren ihrer Taten zu verwischen. Und doch gibt es zahlreiche Quellen und Indizien, aus denen sich ein ungefährer Tagesablauf im Kontext konkreter Vorgänge rekonstruieren lässt. Eine Hauptquelle sind die Interviews mit drei jüdischen Überlebenden, eine andere das berühmte Fotoalbum von Auschwitz-Birkenau, das der SS-Hauptscharführer und Fotograf Bernhard Walter im Frühjahr/Sommer 1944 im Auftrag seiner Vorgesetzten anfertigte.

Das Auschwitz-Album, das heute in der Gedenkstätte Yad Vashem liegt, zeigt die Alltagsroutine im Vernichtungslager Birkenau – auf dem Höhepunkt seiner mörderischen Existenz, während des sogenannten "Ungarn-Programms" im Jahr 1944. Bei dieser "Aktion" wurden innerhalb von nur acht Wochen rund 350.000 ungarische Juden ermordet. Die SS-Fotografen – neben Bernhard Walter auch der ihm unterstellte Ernst Hofmann – haben die meisten der Fotos Ende Mai 1944 gefertigt und dafür einzelne Häftlings-Transporte durchgängig begleitet: von der Ankunft der jüdischen Opfer in Viehwaggons über ihre "Selektion" auf der Rampe in Arbeitsfähige und Todgeweihte bis hin zum Raub ihres Eigentums. Und sie dokumentieren das Schicksal derer, die zwar der sofortigen Ermordung in den Gaskammern entgingen, aber zu kahl rasierten Arbeitssklaven in Häftlingskleidung erniedrigt wurden. Unter schlimmsten Bedingungen kamen sie zum Arbeitseinsatz in Fabriken im gesamten Reich.

Unbeabsichtigt haben die Fotografen damit auch zeitliche Abläufe dieser Tage dokumentiert, die Schatten auf manchen Fotos lassen auf die ungefähre Uhrzeit schließen. Vier bis fünf Stunden benötigte die SS demnach für die sogenannte "Abfertigung" eines Transportes.

Schon die Datierung der meisten Fotos auf Ende Mai 1944 spricht dafür, im Film einen Tag in diesem Zeitraum darzustellen. Dies legte auch die Geschichte der Auschwitz-Überlebenden Irene Weiss nahe, die heute in den USA, in der Nähe von Washington D.C., lebt. Die mittlerweile 89-Jährige meint sich auf einem Foto des Auschwitz-Albums wiederzuerkennen. Historiker datieren es auf den 26. Mai 1944, den Tag, an dem das damals 13-jährige Mädchen in Auschwitz-Birkenau eintraf. Im Interview erinnert Irene Weiss sich, wie sie mit Kopftuch und dickem Mantel auf der Rampe von Auschwitz stand und ihrer kleinen Schwester hinterherblickte, die – von ihr getrennt – in den Tod geschickt wurde. Mit ihren Eltern und fünf Geschwistern war Irene am frühen Morgen mit einem Transport aus dem Ghetto Munkács in Auschwitz-Birkenau eingetroffen. Sie kann noch genau beschreiben, wie ihr erster Tag dort ablief. Schon kurz nach der Ankunft starb der Großteil ihrer Familie in der Gaskammer, sie selbst wurde mit ihrer älteren Schwester als künftige Arbeitssklavin in eine Baracke gepfercht.

Die Fotos sagen über die SS-Fotografen mehr aus als ihnen offenbar bewusst war. Sie begleiteten viele der neuen Häftlinge auf ihrem Weg in den Tod. Bei einem Foto lässt sich genau bestimmen, dass es aus der Eingangstür des Krematoriums aufgenommen wurde, in dem die abgebildeten Opfer vermutlich kurz darauf vergast wurden. Vom Hauptfotografen Bernhard Walter sind dazu seine SS-Akte und verschiedene Verhöre überliefert, da er als Zeuge bei den Ausschwitz-Prozessen der 60er-Jahre vernommen wurde. Der ehemalige Stuckateur aus Fürth trat 1933 in die NS-Partei und die SS ein und kam über Stationen in den Konzentrationslagern Dachau und Sachsenhausen schon Ende 1940 nach Auschwitz, wo er bis kurz vor der Befreiung des Lagers im Januar 1945 blieb. Der Hauptscharführer der SS lebte mit Frau und drei Kindern in der Nähe der Todesfabrik. In Kameradenkreisen war Bernhard Walter offenbar beliebt: "ausgezeichneter Gesellschafter und Grimassenschneider" steht unter einer Karikatur, die von ihm im November 1944 in Auschwitz angefertigt wurde.

Bernhard Walter tat seine "Arbeit" so bereitwillig wie Tausende andere SS-Männer, die im Vernichtungslager ihren Dienst verrichteten. Für ihn war der Tag im Mai 1944, an dem seine Fotos in Auschwitz-Birkenau entstanden, ein Tag von vielen: Routine. Nach dem Krieg und einigen Jahren Gefangenschaft kehrte Bernhard Walter 1950 in seine Heimatstadt Fürth zurück, wo er als Kino-Vorführer arbeitete und 1979 verstarb.

Ende Mai 1944 standen der SS-Fotograf Walter und Irene Weiss offenbar nur einige Meter voneinander entfernt. Das legt ein Foto nahe, auf dem die Auschwitz-Überlebende sich wiederzuerkennen glaubt. Ganz in ihrer Nähe, im Krematorium 3 am Ende der Rampe, war zur gleichen Zeit Dario Gabbai untergebracht. Der griechische Jude arbeitete im sogenannten Sonderkommando, das eine der schrecklichsten Aufgaben in Auschwitz-Birkenau auszuführen hatte: Gabbai musste mit weiteren Häftlingen die Leichen der ermordeten Opfer aus der Gaskammer in die Öfen schaffen, wo sie verbrannt wurden. Der heute über 97-Jährige, der in Kalifornien lebt, erinnert sich im Interview noch lebhaft an den Mai 1944, als jeden Tag 10.000 bis 15.000 Juden aus Ungarn eintrafen, von denen zwei Drittel wenige Stunden später starben: "Was hätte ich tun sollen? Ich hätte mich umbringen können, aber welchen Sinn hätte das gehabt? Alles, an was ich denke konnte, war: 'Wie kann ich hier lebendig herauskommen, um diese Geschichte zu erzählen?'"

Fliehen, um von diesem "verfluchten Ort" zu berichten, dieser Gedanke trieb auch einen weiteren Protagonisten an, dessen Geschichte der Film darstellt. Der polnische Jude Czeslaw Mordowicz wurde 1943 nach Auschwitz deportiert. Am 27. Mai 1944, einen Tag nach der Ankunft von Irene Weiss, setzte er seinen Fluchtplan in die Tat um. Mordowicz, der einem Arbeitskommando, das außerhalb des Lagers im Einsatz war, angehörte, versteckte sich in einem selbstgebauten Erdbunker, aus dem er nachts entfloh. Er gelangte in die Slowakei, verfasste dort einen Bericht über seine Erfahrungen in Auschwitz, der noch 1944 an die Regierungen in London und Washington weitergeleitet wurde. Nach dem Krieg lebte Mordowicz zunächst in der Tschechoslowakei, dann in Israel. Später wanderte er nach Kanada aus, wo er seinen Lebensabend verbrachte und 2001 starb. Kurz vor seinem Tod hatte er dem Holocaust-Museum in Washington ein ausführliches Interview gegeben – Ausschnitte davon sind im Film zu sehen.

Der Film verwebt die Handlungen, Gedanken und Erinnerungen der vier Protagonisten, Bernhard Walter, Irene Weiss, Dario Gabbai und Czeslaw Mordowicz, in den Ablauf eines "typischen" Tages in Auschwitz. Dabei werden die Ereignisse des 26. Mai (Ankunft Irene Weiss) und des 27. Mai (Flucht Czeslaw Mordowicz) zusammengefasst. So haben die Ereignisse zwar nicht an demselben, aber an sich gleichenden Tagen stattgefunden. Der "Tag in Auschwitz" erhält im Film kein konkretes Datum, bezieht sich aber auf das tägliche Geschehen "Ende Mai 1944".

"Ein Tag in Auschwitz" soll somit aus verschiedenen Perspektiven zeigen, was Menschen in der täglichen "Routine" des Vernichtungslagers erlebten, ob als Opfer, die jederzeit damit rechnen mussten, ermordet zu werden, oder als Täter, die sich als Herren über Leben und Tod betrachteten und danach handelten.

Die Mörder fotografieren ihre Taten –
Autor Winfried Laasch über die Geschichte des "Auschwitz-Albums"

Der Film "Ein Tag in Auschwitz" basiert auch auf einem einzigartigen Dokument, das im Mai 1944 entstand: Das Fotoalbum von Auschwitz wurde von den SS-Tätern selbst angefertigt – heute liegt es in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem.

Im Konzentrationslager Auschwitz war fotografieren generell verboten – doch ausgenommen davon waren zwei Männer: Der SS-Hauptscharführer Bernhard Walter arbeitete als offizieller Lagerfotograf, sein Assistent war der SS-Unterscharführer Ernst Hofmann. Beide hielten immer wieder mit ihren Kameras besondere Ereignisse im Lager fest. Im Mai 1944 erhielt Bernhard Walter den Auftrag, ein Album herzustellen, in dem er das sogenannte "Ungarn-Programm" dokumentieren sollte: Es ging um die Deportation von mehr als 430.000 ungarischen Juden zwischen Mai und Juli 1944, die als besondere "logistische Leistung" der SS galt. Der Begriff "Ungarn-Programm" verschleierte Schreckliches: 80 Prozent der Ankommenden wurden sofort "selektiert" und starben kurz nach ihrer Ankunft qualvoll in den Gaskammern. Dazu gehörten in der Regel alle Kinder mit ihren Müttern sowie Alte und Schwache. Wer als "noch einsatzfähig" zunächst überlebte, musste fortan Zwangsarbeit vor allem in deutschen Rüstungsbetrieben leisten.

Die "Abfertigung" derart vieler Menschen in so kurzer Zeit hatte es in Auschwitz zuvor noch nicht gegeben. Die SS-Führung befand offenbar, dass die Erfüllung dieser Aufgabe es wert war, in einem Fotoalbum dargestellt zu werden. Es ist thematisch in Kapitel gegliedert und visualisiert fast den gesamten Ablauf nach Ankunft eines Transports. Ausgenommen wurde jedoch die Tötung selbst. Vielleicht befürchteten die Verantwortlichen, dass es in unbefugte Hände geraten könnte. Der zynische Titel des Albums lautet "Umsiedlung der Juden aus Ungarn". Auch dadurch wird verschleiert, was den Abgebildeten unmittelbar bevorstand. Zudem zeigen die Bilder in dem Album fast keine Gewaltanwendung oder in ihrer Verzweiflung aufgebrachte Menschen, obwohl derartige Vorkommnisse von Zeitzeugen überliefert wurden. Stattdessen scheinen die SS-Fotografen Bernhard Walter und Ernst Hofmann das Ziel zu verfolgen, den Eindruck größter Ordnung während des gesamten Vorgangs zu vermitteln. Der letzte Gang der Opfer zu den Krematorien, der Weg der zur Zwangsarbeit Bestimmten zur Entlausung – all dies scheint problemlos, ruhig und organisiert zu verlaufen.

Häftlinge, die unter der direkten Aufsicht Bernhard Walters das Album zum "Ungarn-Programm" gestalten und herstellen mussten, erinnerten sich später, dass insgesamt 15 Kopien angefertigt wurden. Wahrscheinlich gingen diese Exemplare als Leistungsnachweis an Entscheidungsträger der SS-Führung und des Rüstungsministeriums. Doch nur ein einziges dieser 15 Alben ist heute erhalten, es fiel 1945 der ungarischen Jüdin Lili Jacob in die Hände. Nach ihrer Befreiung im KZ Dora-Mittelbau fand sie es in einer SS-Baracke. Es könnte sich bei diesem Fundstück um das private Exemplar des Fotografen selbst handeln – so die Einschätzung des Göttinger Historikers Stefan Hördler, der als Fachberater an diesem Film mitgewirkt hat.

Bernhard Walter war nach Räumung von Auschwitz in das KZ Dora in Thüringen versetzt worden, bei Kriegsende geriet er in Gefangenschaft. Fernab von Auschwitz entdeckte Lili Jacob in dem Album nun auch die Fotos des Transports, mit dem sie selbst fast ein Jahr zuvor dorthin gebracht worden war. Einige Bilder zeigen zudem ihre nächsten Angehörigen kurz vor deren Ermordung. Später identifizierten auch weitere Auschwitzüberlebende ihre Verwandten und in mehreren Fällen sogar sich selbst. Daher wissen wir heute, aus welchen Herkunftsorten einige der Transporte kamen. Immer wieder suchten Überlebende Lili Jacob auf, um nach Verwandten auf den Fotos zu suchen.

1965 sagte sie im Frankfurter Auschwitz-Prozess aus. Das Album hatte sie als Beweismaterial dabei, dem Gericht überlassen wollte sie das Original aber nicht. Sie erklärte, es sei das Einzige, was ihr von ihrer Familie geblieben sei und sie würde es niemals aus der Hand geben. Dem Angeklagten Stefan Baretzki wurde ein Foto des Albums im Frankfurter Prozess zum Verhängnis. Er war deutlich bei der Selektion auf der Rampe zu erkennen und wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach dem Auschwitz-Prozess verschwanden das Album wie auch Lili Jacob über viele Jahre aus der Öffentlichkeit. Erst 1980 spürte der französische Historiker und Nazi-Jäger Serge Klarsfeld das Album und seine Besitzerin in Florida auf. Er sah in dem Album "eines der wichtigsten Dokumente der Shoah". Schließlich konnte er Lili Jacob überzeugen, das Album der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem zu übergeben.

1999 wurde das Album gescannt. Seitdem lassen sich durch digitale Vergrößerungen der Fotos zahlreiche Details entdecken. Für diesen Film haben wir sie eingehend analysiert. So wurde es möglich, Beschriftungen auf den Waggons zu entziffern. Damit ließ sich die Reihenfolge der Aufnahmen sortieren, und wir konnten Bildserien rekonstruieren sowie die damaligen Abläufe genauer nachvollziehen. Sofern sich Schatten abzeichnen, kann man die Uhrzeit der jeweiligen Aufnahme ermitteln. Wie lange hatten die Menschen noch zu leben, als die Fotos entstanden? 

Bis alle zur Ermordung bestimmten Opfer verschwunden sind und die Rampe von Personen geleert scheint, vergehen in einer Bildserie etwa knapp drei Stunden. Bernhard Walter und sein Assistent begleiteten im Mai 1944 auch Personen, die nicht sofort getötet wurden, sondern für die Zwangsarbeit bestimmt waren. Von der Ankunft bis zur Einkleidung als Häftling dauerte die erniedrigende "Abfertigung" etwa vier bis fünf Stunden.

Das Album umfasst 56 Seiten und über 190 Fotos. Einige der Originalaufnahmen fehlen, wahrscheinlich jene, die Lili Jacob anderen Auschwitzüberlebenden übergab, die Verwandte auf den Fotos identifiziert hatten. Dennoch ist das Auschwitz-Album, jener zynische "Leistungsnachweis" der SS, ein einzigartiger Beweis für den Massenmord an den europäischen Juden. Es waren die Täter selbst, die ihr Verbrechen dokumentierten: Vom Ablauf der "Selektion" bis hin zum Weg in die Gaskammer des Vernichtungslagers Auschwitz.

Biografien und Zitate von drei jüdischen Zeitzeugen / Zitate des Fachberaters

IRENE WEISS

Irene Weiss wurde als Iren Fogel am 21. November 1930 in dem Karpatendorf Bótrágy geboren. Im April 1944 kam sie mit ihrer gesamten Familie in das Ghetto Munkács und von dort Ende Mai 1944 nach Auschwitz. Hier ermordete die SS ihre Eltern und vier Geschwister. Nur ihre ältere Schwester Serena und sie überlebten. 1947 wanderten beide in die USA aus. Irene heiratete 1949 Martin Weiss, mit dem sie drei Kinder hat. Sie studierte und wurde Kunstlehrerin. Sie lebt heute in der Nähe von Washington und hält dort Vorträge im United States Holocaust Memorial Museum.

Über den Transport nach Auschwitz am 26. Mai 1944:
"Meinen jüngeren Geschwistern hat man nichts gesagt. Sie saßen ganz nah bei meiner Mutter auf dem Boden, wir anderen etwas weiter weg. Uns war allen klar, dass wir in einer hoffnungslosen Situation waren, und das machte uns große Angst. Und doch dachten wir, es könne nicht so schlimm sein wie es aussieht. Es bleibt immer auch ein Stück Hoffnung."

Über die Ankunft in Auschwitz am 26. Mai 1944:
"Mein Vater schaute raus, als der Zug hielt, und er sagte: Das ist kein Wald. Ich sehe Baracken, Häftlinge in Uniform und Soldaten. Es sieht aus wie ein Arbeitslager. Das ist ein Arbeitslager. Alle waren plötzlich entspannt. Okay, wenn es ein Arbeitslager ist, hörte ich die Erwachsenen sagen, dann arbeiten wir halt. Wir arbeiten bis der Krieg vorbei ist und sich alles wieder ändert. Wer hätte sich vorstellen können, was folgt. Unmöglich, unmöglich!"

Über ein Fotos des Auschwitz-Albums, auf dem sie ihre Familie wiedererkannt hat:
"Sie sind in der Nähe der Gaskammern in einem kleinen Wäldchen und warten darauf, an die Reihe zu kommen. Es ist das Traurigste, was man sich vorstellen kann, dass sie nichts ahnen. Sie sitzen dort und ruhen sich aus."

Über die SS-Männer in Auschwitz:
"Wir waren keine Menschen für sie. Sie waren die Bewacher. Sie allein bestimmen. Sie entscheiden, wer sterben und wer leben wird. Sie waren Barbaren, aber sie waren nicht dumm. Sie hatten einen Plan."

Über den Fortgang der Vernichtung nachts:
"Und sie schrien und weinten und beteten. Es waren unglaubliche, schauerliche Schreie. Es dauerte eine halbe Stunde, dann war Ruhe. Und die Feuer brannten und stießen Flammen und Rauch aus. Und der nächste Zug pfiff schon auf den Gleisen. Und der nächste und der nächste, die ganze Nacht lang."

Über ihre emotionale Reaktion:
"Ich habe nie geweint, ich konnte nicht weinen. Man bewegt sich, man sieht es und kann es doch nicht begreifen. Wie kann das wahr sein?"

Über ihr Leben nach Auschwitz:
"Die Leute wollen, dass ich meine Erlebnisse aufschreibe, aber das möchte ich nicht. Meine Worte wären sehr, sehr dunkel. Ich könnte der menschlichen Rasse keinen Respekt zollen und doch – ich muss das einschränken – gehe ich nicht umher und hasse jeden, den ich treffe. Ich habe Freunde und Vertrauen im Allgemeinen, aber die Menschheit als Ganzes, nein, sie ist ein Tier, ein grausames Tier."

 

CZESLAW MORDOWICZ

Czeslaw Mordowicz, geboren am 2. August 1919, war ein polnischer Jude, dem zusammen mit Arnost Rosin am 27. Mai 1944 die Flucht aus Auschwitz-Birkenau gelang. Beide verfassten einen detaillierten Bericht über den Massenmord in Auschwitz, der auch den Alliierten zuging. Nach dem Krieg lebte Mordowicz zunächst in Prag, später in Israel und Kanada. Dort starb er am 28. Oktober 2001.

Über seine Fluchtgedanken:
"Seit meiner Ankunft im Lager, noch in den schlimmsten Momenten, als ich nur noch vierzig, dreiundvierzig Kilo wog, als ich an Hunger und Kälte litt, war in mir immer dieser Gedanke, der zur fixen Idee wurde: Ich muss aus diesem Ort fliehen."

Über sein Leben nach Auschwitz:
"In mein Heimatland, meine Heimatstadt zurückzukehren, gab es keinen Grund, denn ich wusste genau, dass meine gesamte Familie tot war. Es war sehr schwierig, in das sogenannte Leben zurückzukehren. Es war keine leichte Aufgabe, weil ich mich völlig zerbrochen fühlte, körperlich und geistig."

 

DARIO GABBAI

Dario Gabbai, geboren am 2. September 1922, wurde als griechisch-sephardischer Jude im März 1944 von den Deutschen von Saloniki nach Auschwitz deportiert. Nach zehntägiger Fahrt im Viehwaggon teilte die SS ihn dem jüdischen Sonderkommando in den Krematorien zu. Gabbai wurde gezwungen, die Ermordeten zu den Verbrennungsöfen zu schaffen und die Gaskammer zu reinigen. Er wurde im Mai 1945 im KZ Ebensee von der US-Armee befreit und wanderte in die USA aus. Nach dem Krieg arbeitete er als Direktor eines Textilgroßhandels-Unternehmen in Kalifornien. Mit seinen heute 97 Jahren ist Dario Gabbai wahrscheinlich das letzte noch lebende Mitglied des jüdischen Sonderkommandos in Auschwitz-Birkenau.

Über die Zwangsarbeit als Mitglied des Sonderkommandos im Krematorium:
"Es dauerte 30 Minuten, dann öffnete der Kapo die Tür. Das ist etwas, was jeden, der ein menschliches Wesen ist, tief berührt. Man sieht Menschen, die 30 Minuten zuvor noch lebendig und alles waren, und auf einmal liegen sie auf dem Boden, schwarz-blau vom Gas und ineinander verknäult. Wir hatten große Mühe, sie herauszuholen und nach oben in die Öfen zu schaffen."

Über den Vorwurf gegen Männer des Sonderkommandos, sie hätten bei der Ermordung mitgeholfen:
"Das einzige, was man hätte tun können, war, sich umzubringen. Aber welchen Sinn hätte das gehabt? Alles, an was ich dort denken konnte, war: 'Wie komme ich hier lebend raus, um diese Geschichte zu erzählen?' Es gibt nicht mehr viele, die sie erzählen können. Ich bin einer von wenigen."

 

FACHBERATER DR. STEFAN HÖRDLER

Dr. Stefan Hördler (Jahrgang 1977) ist Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Georg-August-Universität Göttingen. Sein derzeitiger Forschungsschwerpunkt ist die Bildanalyse von Fotografien der SS in Auschwitz. Als Gutachter trat er in Gerichtsprozessen gegen ehemalige KZ-Bewacher auf.

Über den Fotografen des Auschwitz-Albums Bernhard Walter:
"Bernhard Walter ist bereits 1934 als SS-Mann im KZ-System tätig. Es ist nicht das erste Mal, dass dieser Mann Gewalt oder Mord sieht, das ist etwas, was er seit Jahren im KZ-System erfahren hat. Das ist schwer vorstellbar in der heutigen Zeit, aber es ist etwas, was für diese SS-Männer zum Alltag gehörte."

Über die SS-Täter:
"So etwas wie ein offenes Bekenntnis zur Reue haben nach 1945 wenige geliefert. Die Mehrheit ist scheinbar nahtlos zurückgekehrt und hat sich relativ problemlos – wenn sie nicht juristisch verfolgt worden sind – wieder in die Nachkriegszeit eingefunden."

Audio-O-Töne

Info: Längere biografische Notizen zu Irene Weiss und Dario Gabbai finden Sie im vorherigen Kapitel.

Audio-Zitat 1 finden Sie <<HIER>>

Irene Weiss, geb. Fogel, Jüdin aus Ungarn, über den Transport nach Auschwitz am 26. Mai 1944:
"My father looked out there and when the train stopped he looked out and he said this is not the forest. This is … I see barracks and I see prisoners in striped uniforms and some soldiers, but a lot of barracks and it looks like a labor camp. It's a work camp. And people were suddenly relaxed, everybody said: Okay, if it is a labour camp, I heard the grown-ups say, so we can work, you know, if that what it is. Again we work until the war is over we'll work until this changes. And again: Who would ever imagine what followed? No way, no way!"
(Mein Vater schaute raus, als der Zug hielt und er sagte: Das ist kein Wald. Ich sehe Baracken, Häftlinge in Uniform und Soldaten. Es sieht aus wie ein Arbeitslager. Das ist ein Arbeitslager. Alle waren plötzlich entspannt. Okay, wenn es ein Arbeitslager ist, hörte ich die Erwachsenen sagen, dann arbeiten wir halt. Wir arbeiten bis der Krieg vorbei ist und sich alles wieder ändert. Wer hätte sich vorstellen können, was folgt. Unmöglich, unmöglich!)

 

Audio-Zitat 2 finden Sie <<HIER>>

Irene Weiss, Auschwitz-Überlebende, über die SS-Männer in Auschwitz:
"We were not humans to them. They are the guards. They are in charge. They decide who will die and who will live. They were barbaric, but they were not stupid. They had a plan."
(Wir waren keine Menschen für sie. Sie waren die Bewacher. Sie allein bestimmen. Sie entscheiden, wer sterben und wer leben wird. Sie waren Barbaren, aber sie waren nicht dumm. Sie hatten einen Plan.)

 

Audio-Zitat 3 finden Sie <<HIER>>

Irene Weiss, Auschwitz-Überlebende aus Ungarn, die heute in den USA lebt:
"People ask me to write, I don't want to write. My writing would be very, very dark. I would not be very happy to identify the human race with any kind of respect, and yet I am not, well, I mean I have to modify that, I don't go around hating everybody I meet – and I have friends and I do trust in general, but mankind as a whole, ah, ah, it's quite an animal, a cruel animal."
(Die Leute wollen, dass ich meine Erlebnisse aufschreibe, aber das möchte ich nicht. Meine Worte wären sehr, sehr dunkel. Ich könnte der menschlichen Rasse keinen Respekt zollen und doch, ich muss das einschränken, gehe ich nicht umher und hasse jeden, den ich treffe. Ich habe Freunde und Vertrauen im Allgemeinen, aber die Menschheit als Ganzes, nein, sie ist ein Tier, ein grausames Tier.)

 

Audio-Zitat 4 finden Sie <<HIER>>

Dario Gabbai, Jude aus Griechenland, Mitglied des Sonderkommandos, der im Krematorium 3 in Auschwitz arbeitete und die Vergasungen miterlebte:
"Who opened the door? The Kapo at the end, you know. It took thirty minutes. And then, it opened up the door. This is where everybody, if you are a human being, is where something starts working on you. You see, people you saw about thirty minutes ago alive and everything else, all of a sudden, they're all down, you know, with black and blue from the gas and they're all tangled up. We had a hard time to start taking them out, to put them to the ovens to go upstairs."
(Es dauerte 30 Minuten, dann öffnete der Kapo die Tür. Das ist etwas, das jeden, der ein menschliches Wesen ist, tief berührt. Man sieht Menschen, die 30 Minuten zuvor noch lebendig und alles waren und auf einmal liegen sie auf dem Boden, schwarz-blau vom Gas und ineinander verknäult. Wir hatten große Mühe, sie herauszuholen und nach oben in die Öfen zu schaffen.)

 

Audio-Zitat 5 finden Sie <<HIER>>

Dario Gabbai, Jude aus Griechenland, Mitglied des Sonderkommandos über den Vorwurf gegen Männer des Sonderkommandos, sie hätten bei der Ermordung mitgeholfen:
"They say things they shouldn't say, because they don't know themselves. Is not that you could… the only thing you could do, is kill yourself, you know, but what is the use of it? Everything that I was thinking, when I was there, was: 'How can I get out of it alive so I can tell the story?' There are not many people today alive like me, I am one of the few."
(Sie sagen Dinge, die sie nicht sagen sollten, denn sie wissen nichts darüber. Das einzige, was man hätte tun können, war, sich umzubringen. Aber welchen Sinn hätte das gehabt? Alles, an was ich dort denken konnte, war: Wie komme ich hier lebend raus, um diese Geschichte zu erzählen? Es gibt nicht mehr viele, die sie erzählen können, ich bin einer von wenigen.)

Die Unbegreiflichkeit von Auschwitz
Von Stefan Brauburger, Leiter der Redaktion Zeitgeschichte

Etwa 1.700 Tage dauerte der mörderische Betrieb von "Auschwitz". Laut Schätzungen starben dort mehr als 1,1 Millionen Menschen. In manchen Monaten erreichte das fabrikmäßige Töten mit mehr als 6.000 Ermordeten pro Tag seine extremste Dimension. Die Opfer waren vor allem Juden, so wie im Mai und Juni 1944. Der SS-Kommandant selbst, Rudolf Höß, sprach von der "größten Menschen-Vernichtungsanlage aller Zeiten". Auf den Luftaufnahmen der Alliierten ist neben dem Stammlager Auschwitz die eigentliche Vernichtungsanlage "Birkenau" zu sehen: vordergründig ein riesiges, strikt geometrisch angeordnetes Barackenlager, das durch ein Bahngleis mit der Außenwelt verbunden ist. Nur aufsteigender Rauch deutet auf manchen der Aufklärungsfotos auf die eigentliche Bestimmung hin.

Von Deutschland gingen während des Zweiten Weltkriegs Tag für Tag Verbrechen gegen die Menschlichkeit aus. Der vom Nazi-Regime entfesselte Krieg zielte nicht nur auf Raub und Eroberung, sondern auch auf die Vernichtung anderer Völker. Millionenfache Morde wurden an Bürgern Polens und der Sowjetunion verübt, an Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern, Hunderttausende Sinti und Roma starben in den NS-Lagern. Und doch wurde die planmäßige Vernichtung von sechs Millionen europäischen Juden, der Holocaust, zum Synonym für das Unbegreifliche, was Menschen anderen Menschen zufügen können – Auschwitz geriet dafür zum Sinnbild.

Kaum ein Ort des Verbrechens in der Geschichte der Menschheit lässt so viele Fragen offen. Die Suche nach Erklärungen, die begreiflich machen, was in jenen Jahren in der Todesfabrik geschah, und warum, wird weitergehen.

Völkermorde zählen zu den dunkelsten Kapiteln des 20. Jahrhunderts. Auch im Gulag Stalins, im kommunistischen Kambodscha oder Maos China kam es zu millionenfachem Sterben. Und doch hebt der Holocaust sich davon ab. Die kategorische Vernichtung einer Gruppe von Menschen, nicht um irgendeiner politischen oder materiellen Macht willen, sondern in Folge eines radikalen Rassenwahns, der Leben in "wert" und "unwert" teilt, ist ohne Beispiel. Vor allem aber überschritt die fabrikmäßige, geradezu industrielle Dimension der Tat jede Grenze des bis dahin Vorstellbaren. Hinzu kam die bürokratische Systematik und Planung, die aufwändige, nahezu reibungslose Logistik, die mechanisierte Durchführung des Verbrechens. Alles war einem Planziel untergeordnet, der sogenannten "Endlösung": Die Auslöschung von mehr als elf Millionen Menschenleben.

Artur Koestler, ein ungarisch-britischer Schriftsteller jüdischer Herkunft, schrieb Anfang der 1950er-Jahre, dass die volle Wahrheit wohl immer noch "zu furchtbar" sei, "als dass man ihr offen ins Antlitz blicken könnte", sie werde deshalb womöglich nie wirklich in das Bewusstsein der Nation eindringen – gemeint waren die Deutschen. "Davon haben wir nichts gewusst", lautete deren Standardantwort auf die Frage nach dem Holocaust nach Kriegsende. Mag sein, dass die meisten genügend wussten, um zu wissen, dass sie nicht mehr wissen wollten. Doch gab es in der Bevölkerung – laut Studien – durchaus weit verbreitete Kenntnisse über die Deportationen nach Osten, über Verbrechen hinter der Front, auch Massenmorde. Zudem hatten sich Hunderttausende Helfershelfer ganz in den Dienst des Regimes gestellt. Der NS-Staat fand Stützen in allen Schichten der Bevölkerung, bei vielen kleinen "Hitlers", denen es nicht schwer fiel, Menschen zu denunzieren, zu verfolgen, die Vernichtung ihrer Existenz in Kauf zu nehmen oder gar zu betreiben, denn sie teilten und verfochten das nationalsozialistische Welt- und Menschenbild.

Die Nürnberger Prozesse führten den Deutschen erstmals vor Augen, welche Verbrechen in ihrem Namen begangen worden waren. Doch viele taten die dort gefällten Urteile als Willkür sogenannter "Siegerjustiz" ab. Dass es dann in den 60er-Jahren in der Bundesrepublik überhaupt zu den Auschwitz-Prozessen kam, war dem unermüdlichen Drängen weniger mutiger Juristen zu verdanken, die sich – Anfeindungen ihrer Kollegen zum Trotz – am Ende doch mit ihrer Forderung durchsetzen konnten, allen voran Fritz Bauer. Zwei Mal bahnte sich die Vergangenheit ganz unerwartet ihren Weg in das öffentliche Bewusstsein. Das Tagebuch der Anne Frank weckte Mitte der 50er-Jahre spürbar Betroffenheit und Interesse. Doch erst als im Jahr 1979 der mehrteilige amerikanische Fernsehfilm "Holocaust" in der Bundesrepublik gesendet wurde, änderte sich die kollektive Wahrnehmung maßgeblich. Auch das Thema Auschwitz fand künftig mehr Beachtung und rückte mehr und mehr ins Zentrum der Erinnerung.

Doch in dem Maße, wie dies geschah, formierte sich auch die Phalanx der Leugner, die von einer "Auschwitz-Lüge" sprachen. Der dunkle Schatten der Vergangenheit sollte aus der Sicht der Alt- und Neonazis nicht dauerhaft den Blick auf die deutsche Geschichte trüben. Holocaust-Verneiner erhoben Zweifel an den Todeszahlen, erklärten den angeblichen Massenmord für technisch gar nicht durchführbar, die Gaskammern für reine Erfindung. Einen Plan oder Befehl für einen Genozid an den Juden habe es ebenfalls nicht gegeben.

Doch ist all das längst widerlegt. Kaum ein Kapitel der jüngeren deutschen Geschichte ist so gut erforscht und dokumentiert wie die Zeit von 1933 bis 1945. Und doch lassen sich immer mehr Menschen durch rechtsextreme Parolen, die heute mehr denn je im Internet kursieren, verunsichern oder blenden.

Niemand kann der Generation derer, die nach dem Krieg geboren wurden, irgendeine Schuld zuweisen, für Verbrechen, die vor über 75 Jahren stattfanden. Und doch gibt es eine Schuldigkeit gegenüber den Opfern und der Geschichte, daran zu erinnern, was damals geschah und was in die Abgründe geführt hat.

Dem soll auch dieser Film dienen.

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Der Verband der Geschichtslehrer Deutschlands erstellt Unterrichtsmaterialien zu dieser Dokumentation, die vor Ausstrahlung auf zdf.de abrufbar sein werden.

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