Herbertstraße – Geschichte einer Domina

Dreiteilige Dokuserie von Peter Dörfler

BU: Manuela Freitag ist die dienstälteste Domina auf der Herbertstraße.
Copyright: ZDF/MadeFor, [F] Mathias Schöningh, Peter Dörfler, [M] Henrik Büren
BU: Manuela Freitag ist die dienstälteste Domina auf der Herbertstraße. Copyright: ZDF/MadeFor, [F] Mathias Schöningh, Peter Dörfler, [M] Henrik Büren

Manuela Freitag ist die dienstälteste Domina auf der Hamburger Reeperbahn. Nach einer Kindheit und Jugend voller Abgründe erkämpft sie sich als erwachsene Prostituierte ein Stück Freiheit. In der dreiteiligen Dokuserie erzählt sie die Geschichte ihres bewegten Lebens und von ihrer Arbeit als Prostituierte. Ein Teil der Serie besteht aus Spielszenen, hinzu kommen Archivmaterialien. Auch Weggefährten und Experten kommen zu Wort.

Sendedatum

ut Ab Montag, 3. November 2025, im ZDF streamen, zwei Jahre lang
ut Sonntag, 9. November 2025, ab 0.30 Uhr

Fotos

Texte

"Herbertstraße": True Crime, Coming of Age und Zeitgeschichte

Vordergründig ist die Geschichte von Manuela Freitag eine Mischung aus "True Crime" und "Coming of Age". Aufgewachsen ohne leibliche Eltern, von Pflegeeltern und in Heimen großgezogen, wird Manuela früh Opfer von Missbrauch und gierigen Zuhältern. Doch am Ende siegt ihr Wille nach Unabhängigkeit: Sie schafft es, einen Platz als Domina in der berühmt-berüchtigten Herbertstraße zu erobern. Trotz Stigmatisierung ihres Berufsstandes gelingt es ihr, ihre Würde zu wahren. Dass es ihr nach Tiefschlägen immer wieder geglückt ist, auf die Füße zu kommen, schildert Manuela lebendig, oft witzig und voller Stolz, manchmal mit Wehmut.  

Neben Manuelas Biografie verhandelt die Dokuserie auch ein Stück Zeitgeschichte. Sie gibt Einblicke in den Umgang der Gesellschaft mit Prostitution und Sexarbeiter*innen, und immer schwingt die Frage mit, ob das angeblich älteste Gewerbe der Welt mit einem humanistischen Menschenbild in Einklang zu bringen ist.

Aufwändige Spielszenen und Archivmaterial machen die dramatische Geschichte von Manuela Freitag und ihrer Weggefährtinnen und Weggefährten auf der "Reeperbahn" spannend und miterlebbar.

Statement von den ZDF-Redakteurinnen Hilde Buder-Monath und Rita Stingl

Folgentitel und Sendetermine

Ab Montag, 3. November 2025, im ZDF streamen, zwei Jahre lang
ZDF: Sonntag, 9. November 2025, ab 0.30 Uhr

Herbertstraße. Geschichte einer Domina
Dreiteilige Dokuserie von Peter Dörfler

0.30 Uhr:  "Rebellion" (1/3)

1.15 Uhr:  "Rotlichtmilieu" (2/3)

2.00 Uhr:  "Reifeprüfung" (3/3)

Stab und Besetzung (Auswahl)

Buch und Regie                     Peter Dörfler
Bildgestaltung                       Mathias Schöningh
Montage                                Martin Menzel
Szenenbild                             Olga Gredig
Kostümbild                            Jessica Braun
Musik                                     Bernd Schultheis
Ausführender Produzent         Henning Wagner
Produzenten                           Nanni Erben, Gunnar Juncken
Redaktion ZDF                        Hilde Buder-Monath, Rita Stingl, Heike Schnaar
Sendelänge                             3 x circa 45 Minuten

Rollen und Besetzung
Manuela Freitag                     Lilja van der Zwaag
Manuela Freitag (12 Jahre)    Laeni Geiseler
Manuela Freitag (Kind)           Valentina Dörfler
Herr Bernd                              Matthias Lier
Stiefmutter Sandra                  Theres Eglinski
Erzieherin Kinderheim             Lisa Braun
Steffen                                    Gabriel Marrer
und viele andere

Eine Produktion von MadeFor, in Koproduktion mit dem ZDF, gefördert durch das Medienboard Berlin-Brandenburg.

Inhalt der Folgen

"Rebellion" (1/3)

Manuela Freitag verbringt ihre ersten Lebensjahre bei einer Pflegefamilie in Bremen und ahnt nicht, dass dies nicht ihre leiblichen Eltern sind. Oft seien sie überfordert gewesen: "Sie hatten wenig Zeit mir irgendwie das zu geben, was ich als Kind gebraucht hätte." Dennoch bricht für die kleine Manuela eine Welt zusammen, als sie eines Tages abgeholt und in einem Heim untergebracht wird. Warum sie damals aus ihrem Zuhause gerissen wurde, darauf hat Manuela bis heute keine Antwort.
Das Gebäude, in dem sie damals untergebracht war, steht noch. Doch alle Unterlagen über ihren früheren Aufenthalt sind verschwunden. Manuela erinnert sich, wie sich damals der Schmerz in Wut verwandelte: "Ich war ein Teufel als kleines Kind, natürlich, aber das hat mich ja alles aggressiver gemacht". Der Wunsch nach Liebe und Zugehörigkeit, versteckt in unkontrollierten Wutausbrüchen – damit sind Erzieher und Betreuer überfordert.
Statt Manuelas Verhalten als Hilfeschrei zu verstehen, reagieren sie mit Strenge und Repression. Als Manuela eingeschult wird, erlebt sie auch bei Gleichaltrigen Zurückweisung. Um schließlich akzeptiert zu werden, nimmt sie Schmerzen in Kauf, lässt sich beim Indianerspiel fesseln und mit Pfeilen beschießen. "Mir war es egal, welchen Preis ich dafür zahle – Hauptsache, sie spielen mit mir".
Als Jugendliche glaubt sie, in ihrem Betreuer die große Liebe gefunden zu haben und erlebt eine bittere Enttäuschung. Er verführt Manuela, verliert aber schon bald das Interesse an ihr. Dass er sie als Schutzbefohlene schlicht missbraucht hat, wird Manuela erst viel später klar. Immer häufiger büxt sie aus und macht zum ersten Mal Bekanntschaft mit dem Straßenstrich in Bremen, wo auch Minderjährige "anschaffen". "Da hat niemand gefragt: Wer bist du, woher kommst du", erinnert sich Manuela. Als sie selbst zu ihrem ersten Freier ins Auto steigt, denkt sie nur: "Danach kann ich eine Cola trinken, danach kann ich mir eine Hose kaufen …"
Die Furcht, erwischt zu werden, ist ihr ständiger Begleiter, denn sie ist ja noch minderjährig. Inzwischen wohnt Manuela nicht mehr im Heim, sondern in einer Wohngruppe, wo sie regelmäßig von ihrem gesetzlichen Vormund, Herrn Bernd, aufgesucht wird. Von ihm erfährt sie, dass sie von ihren vermeintlichen Eltern adoptiert wurde und ihre leibliche Mutter direkt nach der Geburt aus dem Krankenhaus verschwand. Prostituierte sei sie gewesen, auf St. Pauli: "Ich wollte wissen, woher ich komme. Ich musste meine Mutter irgendwie finden."

 

"Rotlichtmilieu" (2/3)

"Jede Prostituierte in der Herbertstraße hat eine Geschichte, die sie dahin gebracht hat", so das Resümee von Manuela Freitag heute. Ein Teil ihrer Geschichte ist die Suche nach ihrer Mutter. Immer wieder trampt sie damals von Bremen nach Hamburg, durchstreift den Kiez, fragt nach bei Prostituierten – vergeblich. Sie schläft bei Fremden und in Hauseingängen, wird mehrmals von der Polizei aufgegriffen und zurückgeschickt. Erst als sie das Telefonbuch nach ihrem Nachnamen durchforstet und tagelang alle "Freitags" abtelefoniert, wird sie fündig. Es gibt einen Großvater und endlich ein Foto ihrer Mutter. Doch die ist mittlerweile tot.
Bremen, Ende der 1970er Jahre. Manuela, noch minderjährig, geht anschaffen und glaubt sich bei einem Zuhälter sicher vor dem Zugriff von Polizei und Jugendamt. Ein fataler Fehler – der Mann sperrt sie ein, ist ein Schläger und Vergewaltiger und einer, der gestrandete Mädchen wie sie ausbeutet. Erst der 18. Geburtstag bringt Manuela scheinbar "Freiheit". Ihr Ziel: Hamburg, die Reeperbahn.
"Club Sheila" und "Club 88" sind die angesagten Diskos, hier verkehren viele Zuhälter. "Sie sahen gut aus, trugen lange Haare, waren schick angezogen, eben Hingucker", erinnert sich Esther Lindemann, damals Revierpolizistin auf St. Pauli. Die Schönlinge waren Meister im Anbaggern und Vortäuschen von Liebe. Doch wer in die Honigfalle tappte, entkam den Zuhältern kaum: "Man darf seinen Luden nicht verraten", so das Gesetz im Milieu, wer dagegen verstieß, bekam eine brutale Seite der Machos zu spüren. Nicht selten retteten sich verprügelte Frauen aufs Revier von Esther Lindemann.
Manuela dagegen konnte sich mit ihrem Zuhälter einigen. 10.000 Mark "Abstecke" war der Preis für ihre Unabhängigkeit, sie arbeitet fortan in die eigene Tasche. Bis sie einen Entschluss fasst. Ein normales Leben führen, aussteigen, nicht mehr anschaffen gehen. Sie bewirbt sich auf einen Aushang: "Putzhilfe gesucht".

 

"Reifeprüfung" (3/3)

"Ich war pflastermüde, wollte mal was anderes machen", doch Manuelas Vorsätze für ein normales Leben halten nicht lange. Den Putzjob schmeißt sie hin, landet wieder auf der Straße.
Doch der Kiez hat sich verändert: "Es kam die furchtbare Krankheit Aids, die Freier hatten Angst, sich anzustecken", erklärt die ehemalige Revierpolizistin Esther Lindemann. Das Geschäft mit dem Sexkauf bricht ein. Die Zuhälter suchen nach einem zusätzlichen Einkommen. Kokain, "die weiße Dame", erobert die Straße. Mit den Drogen eskaliert die Gewalt auf dem Kiez. "Wenn es Schwierigkeiten gab, wurde das leider nicht mehr per Boxkampf geregelt", erzählt Lindemann. Es kam zu Schießereien und Toten auf St. Pauli.
Auch Manu greift damals zum weißen Pulver, "lässt im Kopf die Lampen angehen", wie sie zurückblickend sagt. Ihre Arbeitssituation hat sich massiv verbessert: Ein eigenes Schaufenster in der Herbertstraße ist für sie ein "Sechser im Lotto". Sie legt sich ein neues Image zu, wird Domina. "Prostitution ist für mich ein Beruf wie jeder andere", sagt Manu heute, "ich arbeite freiwillig".
Doch wie freiwillig kann Prostitution sein? Das fragt Huschke Mau, Aktivistin und Befürworterin des "nordischen Modells". In Schweden ist nicht die Prostitution verboten, sondern der Sexkauf. Dieser sei ein klarer Verstoß gegen die Menschenwürde, so die Argumentation. Bestraft werden in Schweden nur die Profiteure der Prostitution: Freier, Zuhälter, Bordellbetreiber. Die Sexarbeiterinnen dagegen bleiben straffrei. In Deutschland ist Prostitution grundsätzlich legal, solange sie freiwillig von volljährigen Personen ausgeübt wird. Seit 2017 regelt das Prostituiertenschutzgesetz die Rechte und Pflichten von Prostituierten und Bordellbetreibern. Damit, so die Kritik von Huschke Mau, werden "Bordellbesuche als normaler Teil männlicher Sexualität akzeptiert, was Frauen zu käuflichen Objekten degradiert".
Im Hamburg der 1990er-Jahre kann sich Manu einen sehnlichen Wunsch erfüllen. Sie findet einen Partner, wird Mutter eines Sohns. Die Beziehung scheitert. Als das Kind vier ist, setzt sie den Vater vor die Tür, zieht den Kleinen alleine groß. Ihr Sohn ist ihr ganzer Stolz. "Meine Kindheit war ein Kampf", sagt Manu, "hätte ich Vertrauen gehabt zu jemand, der hätte mich an der Hand genommen – und ich wäre jetzt Ärztin oder Richterin oder was auch immer, dann wäre ich das! Aber ich bin nun mal eine Prostituierte."

Fragen an die Protagonistin Manuela Freitag

Die Dokuserie über Ihr Leben beruht auch auf ihrem Buch "Herbertstraße. Kein Roman", das 2021 erschien. Was war für Sie damals der Auslöser sich mit Ihrer Lebensgeschichte zu beschäftigen und warum war und ist es Ihnen wichtig, sie auch zu erzählen?

Die Idee und den Wunsch, mein Leben eines Tages aufzuschreiben, hatte ich schon seit vielen Jahren. Es ist so viel passiert, ich habe so viel erlebt. Mein Großwerden ohne ein wirkliches Zuhause in Bremen, die Suche nach meiner Mutter, die mich im Krankenhaus nach der Geburt einfach liegenließ; wie ich überhaupt zur Prostitution kam, dann mein Weg aus Bremen nach Hamburg und dort auf die Reeperbahn und schließlich als Domina in die Herbertstraße; dazu die vielen Geschichten meiner Gäste ... Und dann passierte es, wie so oft im Leben mehr oder weniger durch Zufall, dass ich meine beiden Co-Autoren Olaf Köhne und Peter Käfferlein kennenlernte, mit denen gemeinsam ich meine Lebensgeschichte auf Papier brachte. Damit war der Stein ins Rollen gebracht. Mir war es vor allem auch wichtig, anhand meiner Biografie den Lesern mal eine andere Seite der Prostitution zu zeigen. Ohne etwas zu beschönigen, aber auch ohne erhobenen Zeigefinger.

Was bedeutet es Ihnen persönlich, dass ihr Leben jetzt von Peter Dörfler verfilmt worden ist?

Damit ist nach dem Buch ein weiterer Lebenstraum in Erfüllung gegangen. Das eigene Leben auf einer Leinwand zu sehen – das macht schon ein bisschen stolz. Was jetzt nicht abgehoben klingen soll. Ich arbeite ja weiterhin in der Herbertstraße. Mein Leben dort, der Alltag, geht weiter.

Welche Hoffnungen verbinden Sie mit seinem Film "Herbertstraße. Geschichte einer Domina"?

Dass die Zuschauer sehen, wie wir, die Frauen im Milieu, wirklich sind. Dass sie anhand meiner Geschichte erfahren, was es im Alltag bedeutet, im Milieu zu arbeiten und auch, was wir Frauen für die Gesellschaft leisten. Wenn der Film dafür ein wenig mehr Bewusstsein schafft, ist vieles erreicht.

Konnten Sie Einfluss auf das Drehbuch nehmen? Wenn ja, in welcher Weise?

Im Vorfeld hat es intensive Gespräche gegeben, weil Peter Dörfler erfahren wollte, was mir wichtig ist, wenn mein Leben verfilmt wird. Ihm wiederum war es wichtig, mich kennenzulernen, wie ich ticke, was mich antreibt, wer der Mensch Manuela hinter der Domina Manuela ist. Als Domina schlüpfe ich ja in eine Rolle, ich bin für die Gäste, die zu mir kommen, eine Projektionsfläche. Darum geht es in dem Film, aber eben auch um den Menschen Manuela Freitag. Beides ist aus meiner Sicht sehr gut umgesetzt worden, auch wenn manches, was in meinem Leben geschehen ist, aus dramaturgischen Gründen vereinfacht dargestellt werden musste.

Wie haben Sie die Dreharbeiten empfunden? Wie war es für Sie zum Beispiel durch den Film an Orte Ihrer Kindheit zurückzukehren – zum Beispiel das Heim?

Die Szenen, in denen ich von drei großartigen Schauspielerinnen in drei Lebensphasen gespielt werde, habe ich erstmals wirklich bei einer Preview gesehen, und muss sagen, dass alle das toll gemacht haben. Die dokumentarischen Szenen, die mit mir gedreht worden sind, ja, wie kann ich das zusammenfassen – es war eine bewegende Reise in meine Vergangenheit. Teilweise sehr emotional, wie die Rückkehr in das Kinderheim in Bremen. Manches habe ich dadurch neu und anders gesehen.

Welchen Vorteil hat es als Sexarbeiterin in Hamburg in der Herbertstraße zu arbeiten, im Vergleich zu anderen Orten auf der Reeperbahn?

Auch wenn sich im Laufe der vergangenen Jahre und Jahrzehnte, denn ich bin ja schon ein paar Jährchen dabei, vieles verändert, und das nicht unbedingt zum Positiven, so ist und bleibt die Herbertstraße etwas Besonderes. Sie ist einmalig, und weltbekannt. Das ist eine Liga für sich.

Sie arbeiten seit über 30 Jahren in der Herbertstraße und sind dort mittlerweile die dienstälteste Domina. Warum haben Sie sich entschieden Domina zu werden?

Eine Entscheidung nach dem Motto, das mach ich jetzt, war es ja nicht. Es war Zufall, Fügung, Schicksal, wie man es nennen mag, dass damals in einem Haus in der Herbertstraße gerade ein Platz frei wurde, und es war damals noch so, dass es pro Haus nur eine Domina gab. Und ich sprang in diese Lücke. Es passte für mich und ich kam gut an, war von Anfang an sehr erfolgreich.

Wie hat sich das Milieu in den letzten Jahrzehnten verändert?

Es ist härter, schneller, schwieriger geworden. Vieles hat sich aus dem klassischen Rotlichtmilieu verlagert. Das Internet hat viel verändert. Das alles bringt mit sich, dass die Konkurrenz größer geworden ist.

Wie lange kann man aus Ihrer Sicht als Domina arbeiten? Und wissen Sie schon, wie lange Sie noch als Domina arbeiten möchten?

Es gibt zwei Seiten: Ich mache meinen Job gern. Die Herbertstraße mit den Frauen – das alles ist Teil meines Lebens, es ein Stück Heimat. Ich bin gerne hier. Die andere Seite: Die Arbeit wird nicht einfacher, wenn man älter wird. Aber ich werde immer noch, nach all den Jahren, von manchen Wünschen der Kunden überrascht. Langweilig wird's nicht. Irgendwann aber werde ich Korsage und Stiefel ablegen, aber noch ist es nicht soweit, ein bisschen bleibe ich noch.

Die Fragen stellte Birgit-Nicole Krebs

Fragen an Filmautor und Regisseur Peter Dörfler

Wie ist es zu dem Filmprojekt "Herbertstraße – Geschichte einer Domina" gekommen?

Nanni Erben und Henning Wagner, Produzent:innen bei MadeFor Film, haben mich angesprochen. Sie hatten die Verfilmungsrechte am Buch "Herbertstraße" von Manuela Freitag erworben und suchten eine:n Autor:in und Regisseur:in für ein dokumentarisches Portrait über Manuela Freitag.

Was hat Sie daran gereizt?

Es war die Coming-of-Age-Geschichte, die in dem Stoff steckt. Der eindrucksvolle Lebensweg einer Frau, die sich von derben Schicksalsschlägen nicht entmutigen lässt und ihren ganz eigenen Weg durchs Leben findet – abseits der gesellschaftlich vorgegebenen Pfade. Das hat mich schon immer gereizt. Dass es sich um eine Frau handelte, fand ich umso spannender.

Wie sind Sie an das Projekt herangegangen und was waren die Herausforderungen?

Ich wusste ziemlich schnell, dass man eine derart emotionale Geschichte nur mit einem relativ hohen szenischen Anteil gerecht werden würde. Unsere sehr starke Protagonistin, Manuela Freitag, sollte uns als Erzählerin ihr Leben und ihre Erlebnisse hautnah erfahren lassen. Die dokumentarische Ebene bringt uns die jeweilige Zeit – die Handlung spielt von den späten 60ern bis in die frühen 90er – und das Milieu näher und verankert das Geschehen in der Wirklichkeit, was die reine Fiktion in Sachen Authentizität so niemals leisten könnte.

Wie war die Zusammenarbeit mit Manuela Freitag?

Zu Manus Leben gehört es, dass sie in jeder Lebenslage Professionalität ausstrahlt und sich an klare Regeln und Abmachungen hält. Wer die Serie gesehen hat, versteht, dass sie sehr bewusst mit Nähe umgeht. Umso bemerkenswerter war es, wie offen sie sich dem Team und mir gezeigt hat. Dass Manuela uns in dem mehrtägigen Interview so viel Vertrauen geschenkt hat und daraus ein so bewegendes und eindringliches Gespräch entstanden ist, freut mich sehr. In der Zusammenarbeit hat sie mich immer wieder positiv überrascht.

Was war Ihnen wichtig bei der filmischen Umsetzung?

Manu ist im Film anfangs fünf Jahre alt. Wir erleben, wie sie ihren Eltern entrissen wird und ins Heim kommt, wie sie in der Prostitution und später in der Herbertstraße landet und wie sich ihre große Sehnsucht nach familiärer Geborgenheit am Ende auf überraschende Weise doch noch erfüllt. Für die Inszenierung dieser großen Lebensspanne brauchten wir drei Darstellerinnen für Manu – fünf, 12 und 16-25 Jahre. Dies in einer Miniserie stets plausibel rüberzubringen und zugleich fruchtbar mit der Dok-Ebene zu verquicken, war die große Herausforderung. Der Zuschauer soll emotional an Manus Leben teilnehmen und dabei ein gesellschaftlich sehr forderndes und unterbelichtetes Thema – Prostitution – unmittelbar erleben und neu denken. Dies unterstützen wir, indem wir die Diskussion in der Serie auch mittels Expert:innen aufgreifen.

Haben Sie etwas an der Persönlichkeit von Manuela Freitag entdeckt, dass Sie vorher nicht erwartet hatten?

Neugier und Offenheit.

Die Fragen stellte Birgit-Nicole Krebs

Zitate aus dem Film "Herbertstraße – Geschichte einer Domina"

Aus "Rebellion" (1/3)

Manuela Freitag kommt als kleines Kind ins Heim – ohne zu wissen warum

Manuela Freitag
"Wenn man keine Antwort bekommt auf irgendwas, dann ist man immer auf der Suche, die Antwort zu bekommen. Und es gibt Menschen, die gehen daran zugrunde, wenn sie es nicht erfahren."

 

Margarete Udolf, Psychologin
Über Kinder, die nicht wissen, warum Sie im Heim sind:

Wir begegnen immer wieder Kindern, die so wie Manuela Freitag nicht wussten, warum sie untergebracht wurden. Sie war damals klein, da hätte man ihr das erklären sollen, müssen, so dass sie das hätte verstehen können. (…) Das Nicht-Wissen kann dazu führen, dass die Kinder sich selbst Schuld geben. Und sagen: Ich musste meine Familie verlassen, weil ich nicht artig war, weil ich nicht gehört habe, weil ich mich schlecht benommen habe."

Was es bedeutet, als Heimkind ausgeschlossen zu sein
"Das ist eine sehr, sehr schmerzliche Erfahrung nicht dazuzugehören. Und natürlich bekommen die Kinder auch oft aus dem Umfeld eine Rückmeldung: 'Ja, Du bist ein Heimkind'. Das ist immer noch ein Schimpfwort. Das ist etwas, was für die Kinder mit Scham verbunden ist und das verstärkt die Sehnsucht nach den Eltern, und gleichzeitig werden die Eltern idealisiert."

Abhärtung durch schlimme Erlebnisse:
"Bei manchen Kindern da entsteht so ein Gedanke: Wenn ich etwas ganz, ganz Schlimmes überstehe, so wie Trennung von meinen Eltern oder das Zerreißen von einem einzigen Foto, was ich habe, dann würde ich alles im Leben überstehen, dann kann mir nichts mehr passieren, wenn ich so etwas Schlimmes hinter mich gebracht habe."

 

 

Aus: "Rotlichtmilieu" (2/3)

Manuela Freitag
"Jede Prostituierte in der Herbertstraße trägt ihr Säckchen an Geschichte, was sie da hingebracht hat."

 

Esther Lindemann, ehemalige Revierpolizistin auf St. Pauli
Über Prostitution von Minderjährigen:

"Prostitution von Minderjährigen kommt dadurch, dass sie aus ganz, ganz schwierigen Familienverhältnissen kommen. Sie haben keinen Ort, wo sie hingehen können. Wo sie sich zu Hause fühlen. Zumindest in den Großstädten ist die Gefahr sehr groß, dass sie dann auf der Straße und letztendlich auch auf dem Strich landen."

Über den Einstieg in die Prostitution durch vorgespielte Liebe der Zuhälter:
"Damals in den 80er Jahren fing es für viele ganz toll an. Die Mädchen haben einen super Typen kennengelernt. Er hatte eine tolle Wohnung, ein tolles Auto, er sieht gut aus, mit Schmuck behängt. Der hat die Getränke in der Bar bezahlt. Dann kam die Liebe dazu. Die wollen natürlich, dass die sich in die verlieben und spielen denen irgendwas vor mit Urlaub und was willst du trinken und was wollen wir essen gehen. (…) Die Frauen gehen vielleicht zuerst freiwillig aus Liebe auf den Strich, und sobald sie merken: Halt Moment, die Liebe wird gar nicht erwidert und nö, das mach ich jetzt nicht weiter auf den Strich gehen, dann kommt die Gewalt."

 

 

Aus: "Reifeprüfung" (3/3)

Manuela Freitag
"Prostitution ist für mich ein Beruf wie jeder andere. Ich arbeite freiwillig. Ich hätte ja aufhören können damit – das ist ja nun nicht so, dass einer gesagt hat: 'Du darfst damit nicht aufhören.'"

 

Isabell Tiede, Sozialarbeiterin
Über die Bedeutung des Geldes:

"Ich denke, dass das Geld für alle, die im Milieu leben, eine große Rolle spielt. Und bei Manuela hab ich das so erlebt, dass sie mit Geld verbunden hat: Unabhängigkeit, also Autonomie auf allen Ebenen. Und irgendwie glaub ich – und das ist jetzt meine Deutung – auch eine Wertschätzung."

 

Huschke Mau, Aktivistin für die Abschaffung der Prostitution
Contra Prostitution, wie sie in Deutschland erlaubt ist:

"In Deutschland haben wir ein legalisiertes Prostitutionssystem. Das bedeutet, sich zu prostituieren ist erstmal erlaubt. Freier sein ist erlaubt und Zuhälterei ist, wenn sie nicht ausbeuterisch ist, also nicht mehr als 50 Prozent weggenommen werden de facto auch erlaubt. Genauso wie Bordellbetrieb. Das führt eben dazu, dass wir sehr viele Männer haben, die eine große Nachfrage nach käuflichem Sex stellen und dass es sich damit in Deutschland lohnt, Frauen und Mädchen zur Prostitution zu zwingen – und auch sie hierher zu bringen. Also Deutschland ist Menschenhandel-Zielland Nummer 1."

"Kein Freier kann wissen, ob die Frau das freiwillig macht und dann gibt es für jeden, der anständig ist eigentlich nur eins, nämlich überhaupt nie erst ins Bordell zu gehen."

Pro Nordisches Modell, das in Schweden gilt:
"Es ist erlaubt sich zu prostituieren, aber es ist verboten Freier zu sein. Es ist verboten sich Sex zu kaufen, weil der schwedische Staat eben sagt, das verstößt gegen die Menschenwürde. Das ist sexueller Missbrauch und wir möchten das nicht haben."

 

Julia Staron, Quartiersmanagerin auf St. Pauli
Contra Nordisches Modell, pro Prostitution als Beruf:

"Ich halte von dem Nordischen Modell überhaupt nichts. Ich finde das nicht nur bigott, sondern es ist ein Rückschritt, in dem Ansatz Frauen wirklich helfen zu wollen. (…) Das Einzige, was wir damit erreichen, ist, dass wir das in den Untergrund bringen. Es wieder im Geheimen stattfindet und wir können dann den Frauen, wenn sie wirklich aussteigen wollen, nicht helfen. Das Schlimmste ist doch, wenn ich als Sexarbeiterin gearbeitet habe und dann für mich entscheide, ich will das nicht mehr, ich trenn mich von dem Kerl, dass ich dann keinen gesellschaftlichen Zusammenhalt mehr antreffe. Meine Familie redet nicht mehr mit mir, ich hab keinen Freundeskreis mehr und ich hab eigentlich nur noch das Milieu, das mit mir umgeht. Dann hab ich keine Chancen, da rauszukommen. Wir können doch nur als Gesellschaft was an solchen Phänomenen ändern, wenn wir uns dahingehend öffnen und klar sind, dass wir das eben nicht moralisch verurteilen, wie die Frauen ihr Geld verdienen."

 

Manuela Freitag

Über ihre Tätigkeit als Domina in der Herbertstraße:
"Als Domina fällt dieser normale Sex, sprich Geschlechtsverkehr, flach. Gänzlich. Es geht hier im Zimmer um das Unnahbare und um die Fantasie, dass er könnte, es aber doch nicht bekommt. Der Reiz spielt eine große Rolle. Das heißt also, es ist wenig Körperberührung dabei. (…) Das Leben an sich ist doch ein Schauspiel, finde ich, und wir müssen in jeder Branche irgendwie schauspielern. Und entweder man beherrscht sein Fach oder nicht."

Veranstaltungen am 30.9.2025 und 4.11.2025

Premiere beim Filmfest Hamburg 2025

Wann: 30. September 2025, 15.45 Uhr

Wo: CinemaxX 3, Dammtordamm 1, 20354 Hamburg

"Herbertstraße – Geschichte einer Domina" feiert seine Premiere beim Filmfest Hamburg 2025 in der Sektion TELEVISIONEN im Wettbewerb um die beste Serie.

 

Kinovorführung mit Gespräch in Hamburg
Wann: 4. November 2025, voraussichtlich 19.00 Uhr

Wo: Metropolis Kino, Kleine Theaterstraße 10, 20354 Hamburg

Moderation: Sarah Tacke, ZDF

Gesprächsgäste: Manuela Freitag, Regisseur Peter Dörfler, Produzentin Nanni Erben und andere

Fotos über ZDF-Kommunikation: Telefon: 06131 – 70-16100 oder über https://presseportal.zdf.de/presse/herbertstrasse

Impressum

ZDF-Hauptabteilung Kommunikation
Verantwortlich: Alexander Stock
E-Mail: pressedesk@zdf.de
© 2025 ZDF

Kontakt

Name: Dr. Birgit-Nicole Krebs
E-Mail: krebs.b@zdf.de
Telefon: +49 30 2099-1096