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Immer der Nase nach

Aussortiert - und das mit knapp 50! Beruflich wie privat fühlt sich Schaufensterdekorateurin Tanja (Claudia Michelsen) ins Off geschickt. Ein Auftrag nach dem anderen bricht weg, und der Auszug ihrer Tochter macht ihr endgültig klar, dass ein neuer Lebensabschnitt beginnt.
Zunächst reagiert die frisch Geschiedene eher erschreckt. Im Gespräch mit ihrer besten Freundin Imke (Corinna Harfouch) entwickelt Tanja Kampfesmut und stürzt sich in ein gewagtes Pitchverfahren um die Schaufenstergestaltung einer hippen jugendlichen Kleiderkette.

  • ZDF, Donnerstag, 26. August 2021
  • ZDF Mediathek, ab 19. August 2021

Texte

"Immer der Nase nach"

 Stab

Buch Kerstin Polte
Regie Kerstin Polte
Schnitt Julia Wiedwald
Kamera Katharina Bühler
Kostümbild Tanja Liebermann
Musik Marco Meister, Robert Meister, Hannes Gwisdek
Szenenbild Holger Sebastian Müller, Anne Storandt, Winnie Christiansen
Ton Claudia Mattai del Moro
Produktionsleitung Andreas Born
Produktion U5 Filmproduktion GmbH & Co. KG
Produzenten Karl-Eberhard Schäfer, Katrin Haase
Redaktion Beate Bramstedt

 

Die Rollen und ihre Darsteller*innen

Tanja     Claudia Michelsen  
Imke     Corinna Harfouch  
Nick    Helgi Schmid   
Lisa    Lena Klenke   
Robert    Stephan Szász  
Stefanie    Thelma Buabeng
Alev    Banafshe Hourmazdi
Xenia    Larissa Sirah Herden
Pete  Lena Eickenbusch  
Jordy    Meik van Severen 
Türsteher      Jakob Schreier
Gurke   Daniel Zillmann
Kiwi    Rafael Gareisen 
Möhre    Deniz Orta  
Ellen    Angela Winkler 
Apotheker    Lásló I. Kish  
Apothekerin   Jana Hampel
Besitzerin Tierladen    Ulrike Bliefert
und andere

 

Inhalt
"Hast du schon mal drüber nachgedacht, dir eine Katze zu kaufen?" Mit diesem wohlmeinenden Ratschlag bleibt Tanja perplex zurück, als Tochter Lena mit ihrem neuen Mitbewohner ihre letzten Umzugskisten in den Transporter lädt. Die Tochter zieht aus der gemeinsamen Wohnung aus und bei Tanja die Leere ein. Gut, dass sie sich bei ihrer besten Freundin Imke ausheulen kann.

Mit Anfang 50 hat Tanja das Gefühl, dass das Leben sie irgendwo unterwegs aussortiert hat. Nicht nur Tochter Lena ist weg, der selbstständigen Schaufensterdekorateurin brechen auch die Aufträge ein – Pappmaché ist out, digitale Einkaufserlebnisse sind in. Und Ex-Mann Robert hat sich nach 20 Jahren Ehe direkt in eine neue Beziehung mit Stefanie, dem kompletten Gegenentwurf zu Tanja, gestürzt. Als wäre das alles nicht schon genug, scheint sich Tanjas Mutter Ellen auf ihr baldiges Ableben vorzubereiten – dass sie ihr Leben konsequent entrümpelt und regen Mailverkehr mit dem führenden Onkologen der Stadt hat, spricht eine eindeutige Sprache. Tanja versucht verzweifelt, alles irgendwie zusammenzuhalten, doch am liebsten würde sie die Reset-Taste drücken und nochmal auf Anfang gehen. "Wenn du ein Mann wärst, würdest du dir jetzt ein neues Auto kaufen und deine Sekretärin vögeln", bringt es Imke ganz trocken auf den Punkt.

Doch als Tanja den jüngeren Nick trifft, bekommt ihr Leben unvermittelt einen neuen Impuls. Mit dem gelassenen Lebenskünstler fühlt sich Tanja erstmals wieder selbst und schöpft neue Energie, um sich den Herausforderungen des Lebens zu stellen.
Mutig beschließt sie, beim Pitch für einen hippen Concept-Store mitzumachen. Um gegen die junge Konkurrenz zu bestehen, nimmt sie Online-Nachhilfe bei der alleinerziehenden Digital-Expertin Alev. Schnell merken die beiden Einzelkämpferinnen, dass sie im Team mehr schaffen als alleine. Beflügelt von den neuen Impulsen um sie herum, stürzt sich Tanja mit gesteigertem Tempo in die Arbeit und bekommt dabei überhaupt nicht mit, dass sie die Menschen, die ihr am nächsten sind, völlig aus den Augen verliert.

"Kein typisch weibliches Problem"
Beate Bramstedt, Redakteurin

Es ist ein ungewöhnliches Projekt, das im besten Sinne des Wortes Teamarbeit war, von Anfang an. Produzentin Katrin Haase, Regisseurin und Drehbuchautorin Kerstin Polte, unsere Hauptdarstellerin Claudia Michelsen und meine Person waren in unterschiedlicher Intensität während der kompletten Genese im Austausch. Das war nicht unanstrengend, da das Projekt permanent in Bewegung war. Ich glaube, ich habe noch nie so viele Fassungen nach der eigentlichen Drehbuchabnahme bekommen, wie bei diesem Film. Aber gleichzeitig war es auch eine intensive, reiche und schöne Erfahrung, alle Impulse aufzufangen, abzuwägen und zu einem Ganzen zu formen. Entstanden ist dabei kein Film „von Frauen für Frauen“, was man denken könnte, wenn man Stab- und Besetzungliste liest. Denn das würde das Thema des Films unnötig einengen.
Wir erzählen eine 50-jährige, die „unsichtbar“ geworden ist, weil sie versucht, alle Rollenerwartungen zu erfüllen und die sich dabei verliert. Tanja rennt als Einzelkämpferin durch ihr Leben. Das tut ihr nicht gut, wie sie schmerzhaft lernt. Und dann den Reset-Knopf zu drücken, von vorne anfangen zu dürfen - wie toll ist das eigentlich?!?
Kerstin Polte hat dabei die Grenzen zwischen „Frau" und "Mann“ aufgeweicht. Denn Tanjas Problem ist kein typisch weibliches. Es geht allen Menschen so wie ihr, wenn sie nicht aufpassen und verlernen, sich selbst zu spüren. Egal welchen Alters, welchen Geschlechts oder welcher Herkunft sie sind. Und so waren die (Geschlechter-) Grenzen irgendwann offen. Frauenrollen wurden plötzliche zu Männerrollen und umgekehrt. Eigentlich war das am Ende egal. Fast automatisch haben wir den Film dann auch blind queer besetzt. So waren wir beispielsweise auf der Suche nach einer Besetzung für Alev. Im Casting sahen wir dann so viele gute Schauspielerinnen aller möglichen Nationalitäten, dass wir diese auf andere Rollen im Film genommen haben. Die Wahl der Besetzung ergab sich aus der Art der Geschichte und ihrem Thema. Auch wenn der Cast des Films am Ende mehr weiblich als männlich ist, so ist der Film insgesamt eine gute Unterhaltung für alle Menschen.

"Das Leben rast. Und manchmal überholt es uns."
Kerstin Polte, Regisseurin

Die Lebenszyklen von Jobs, Produkten und Beziehungen werden immer kürzer. Dementsprechend groß ist der Druck, sich in immer kürzeren Abständen neu zu erfinden. Schließlich leben wir im Zeitalter der unbegrenzten Ich-Möglichkeiten.
Aus Angst, abgehängt zu werden, überladen wir unser Leben mit Projekten und Optimierungsmaßnahmen, gehen auf die Suche nach unserem perfekten Zukunfts-Ich, Atem- und Zeitnot inklusive. Und rennen doch permanent an uns vorbei.
Wir ertragen es kaum noch, mal nichts zu tun - irgendwie vermittelt ständige Bewegung ja das Gefühl vorwärts zu kommen - doch meist hält uns unser Lebenstempo eher davon ab, in Verbindung zu kommen mit uns, unseren Gefühlen, den Menschen um uns herum.
„Immer der Nase nach“ erzählt nicht nur von einer Welt der Einzelkämpfer*innen, die nach und nach zusammenbricht, sondern ist auch ein Plädoyer dafür, mal innezuhalten, im Moment anzukommen und wahrhaftig zuzuhören. Sich selbst und allen anderen.
Ich selbst bin aufgewachsen ohne Bilder, Vorbilder, Begriffe, Geschichten, die mir von mir erzählt haben. Umso mehr geht es mir darum, in meinen Filmen die Welt erzählerisch zu erweitern, Aufmerksamkeit zu verlagern, neue Perspektiven einzunehmen, Vorbilder zu erschaffen und eben zuzuhören. Es geht mir darum, im gesamten filmischen Prozess Sichtbarkeit, Repräsentation und Teilhabe aller zu ermöglichen und Vielfalt vor und hinter der Kamera zu schaffen und zu feiern.
Deswegen erzähle ich in diesem Film bewusst feministisch und divers: Frauen werden nicht auf ihr Äußeres reduziert, es geht nicht um Falten oder Attraktivitätsverlust. Altersunterschiede spielen keine Rolle, Frauen verbünden sich selbstverständlich, Männer sind nur selten Gesprächsthema und auch nicht die Erlösung. Das Hauptthema zieht sich in Variationen quer durch das Ensemble, unabhängig von Gender, Alter, Herkunft, sexueller Orientierung et cetera. Sowohl bei den Figuren als auch bei der Besetzung spielt Diversität eine Rolle, wird aber nie als Problem erzählt, sondern immer beiläufig und selbstverständlich.
Für mich ist damit „Immer der Nase nach“ auch ein Sehnsuchtsfilm und ein schönes Beispiel dafür, dass vielfältiges, utopisch-gesellschaftliches Erzählen in der Primetime angekommen ist.

Interview mit Claudia Michelsen, Lena Klenke und Helgi Schmid

Frau Michelsen, Sie haben einmal in einem Interview gesagt, dass Sie nur Figuren mögen, die „stolpern“. Was mögen Sie besonders an der Figur „Tanja“?

Claudia Michelsen: Ich mag natürlich nicht nur Figuren, die stolpern. Eher würde ich sagen, dass die Neugier bei jeder Figur meine ständige Begleiterin ist, vor allem die Neugier auf das nicht per se Offensichtliche. Das Komplexe zu entdecken, ist mein größter Spaß. Niemand ist nur stark oder nur schwach. Außerdem würde mich das langweilen.

Frau Klenke, Sie spielen Tanjas Tochter Lisa. Wie sieht sich Lisa als Frau?

Lena Klenke: Lisa hat ein modernes Bild von sich. Es gibt keine Tabus oder Klischees. Dennoch glaube ich, dass es ihr so geht, wie aktuell vielen Jugendlichen, die endlich fertig mit der Schule sind und denen "die ganze Welt zu Füßen“ liegt und die gleichzeitig mit allem überfordert sind vom  Abnabelungsprozess von den Eltern, und gleichzeitig sind sie innerlich immer noch Mamas Kind.

Was prägt Lisas Beziehung zu ihrer Mutter?

Lena Klenke: Lisa und Tanja sind sich, glaube ich, sehr ähnlich. Aber genau das will man ja als Tochter erstmal nicht wahrhaben. Bloß nicht so sein wie die Mutter. Später lernt man das erst zu schätze – ich gerade zum Beispiel. Außerdem sind beide sehr starke Frauen und können schlecht Hilfe akzeptieren. Aber eigentlich brauchen beide mal eine Schuler, an die sie sich lehnen können.

In dem ganzen Chaos trifft Tanja auf den jüngeren Nick. Was macht ihn attraktiv für Tanja?

Claudia Michelsen: Ich würde sagen, das „jünger“ spielt hier gar keine Rolle. Vielleicht hat er in seinen „jungen Jahren" nur schon viel mehr von dem ergründet, was Tanja lange Jahre versäumt hat. Oder sagen wir mal, es war für sie nicht möglich, zu sehen, zu hören, zu sein.

Und was findet Nick bei Tanja anziehend?

Helgi Schmid: Nick merkt sofort, dass Tanja dabei ist, zu straucheln, und das übt einen Reiz auf ihn aus. Er möchte ihr helfen, zur Ruhe zu kommen. Dieses etwas kaputte Leben wieder reparieren, so wie er es mit dem Schrott tut, den er aus der Spree holt.

Apropros „Schrott“ – hatten Sie vor den Dreharbeiten schon mal was von "Schrottangeln" gehört?

Helgi Schmid: Ich kannte Schrottangeln bis dato nicht, habe mir in der Vorbereitung Videos darüber angeschaut und überlegt, warum Nick so fasziniert davon ist. Tatsächlich kombiniert es die Ruhe des Angelns mit einer Entdeckerneugier. Aber statt Fische zu töten, hilft man der Umwelt. Die Angel vom Set habe ich mit nach Hause genommen.

In einer Szene fragt sich Tanja „Wer will ich sein, wer bin ich überhaupt?“ Stellen Sie sich diese Fragen auch?

Claudia Michelsen: Ich denke, das sind Fragen, die uns ein Leben lang begleiten. In Bewegung und neugierig zu bleiben auf den verschiedensten Ebenen ist für mich essentiell.

Lena Klenke: Oh, täglich eigentlich. Mal mehr mal weniger. Zu einem Ergebnis bin ich noch nicht gekommen, das ist aber auch ok. Ich hab‘ ja noch ein bisschen Zeit.

Ist es überhaupt wichtig, genau zu wissen, wer man ist?

Claudia Michelsen: Es gibt Momente, in denen ist das Gefühl wichtig und dann gibt es andere Momente im Leben, da ist es wichtiger, es nicht zu wissen, um sich wieder auf den Weg machen zu können.

Helgi Schmid: Im Theater sagt man: "Den König spielen die anderen", das heißt, durch das Verhalten der anderen wird der Status des Königs definiert. Doch manchmal wird man auch falsch eingeschätzt und dann ist es gut, selbst zu wissen, wer man ist und was man kann.

Welchen Stellenwert hat Tanjas Freundin Imke in ihrem Leben?

Claudia Michelsen: Imke hat einen enormen Wert für Tanja, nur begreift sie das selbst nicht. Diese Geschenke, die wir als Selbstverständlichkeiten hinnehmen, die uns umgeben, sehen wir leider oft nicht, da sie ja selbstverständlich immer da sind. Eine wichtige Figur, wie ich finde, großartig erzählt von Corinna Harfouch. Eine Frau, die "sehend" ist und vor allem am Ende konsequent.

Enttäuscht von Tanja, gibt Imke ihr kommentarlos eine schallende Ohrfeige. Hat diese Szene Spaß gemacht?

Claudia Michelsen: Ich habe bei allem Spaß, was ich im Zusammenhang mit Corinna erzählen kann. Wenn es zu einer Prügelei käme, dann wäre die sicher auch sehr intensiv. Herrlich ist das mit ihr. Irgendwie kommen wir da aus dem gleichen Stall, aus der gleichen Schule. Mit Mut nach vorn. Nett wäre zu langweilig und Zeitverschwendung.

Nach einer gemeinsamen Nacht steht morgens plötzlich Tanjas Mutter in der Tür. Statt cool zu bleiben, gerät Tanja in Panik und stellt Nick ihrer Mutter als Handwerker vor. Gab es Gelächter beim Dreh?

Helgi Schmid: Eine super Szene, die ich sehr mochte. Lachen mussten wir aber direkt davor: Tanja ist in heller Aufregung und in typischer Nick-Manier missverstehe ich die Situation. Claudia kam auf die Idee, mir vor lauter Hektik die Klamotten ins Gesicht zu werfen, was unweigerlich sehr komisch war. Wir mussten uns beim Drehen ganz schön zusammenreißen.

Immer der Nase nach“ war Ihre erste Zusammenarbeit mit Drehbuchautorin und Regisseurin Kerstin Polte. Sie will in ihrer Arbeit Rollenklischees aufbrechen und hat einen ganzheitlich queeren und diversen Ansatz. Was schätzen Sie an der Zusammenarbeit mit ihr, an ihrem Regiestil?

Claudia Michelsen: Kerstin ist ein Geschenk. Die Arbeit war ganz wunderbar und ich liebe ihre Neugier und Offenheit und trotzdem hat sie ganz klare Vorstellungen davon, was sie erzählt haben möchte. Diversität wurde für mich in dieser Form und mit dieser Vehemenz oder besser, mit dieser Notwendigkeit, bislang in keinem Projekt, an dem ich beteiligt war, so umgesetzt. Großartig.

Lena Klenke: Ich hatte selten ein so offenes Casting. Wir haben eine Stunde lang nur improvisiert, das hat großen Spaß gemacht. Außerdem durfte ich viel an der Rolle mitarbeiten, das ist auch nicht oft der Fall bei einem Fernsehfilm, wo immer alles sehr schnell gehen muss. Auch am Set fand ich die Arbeit mit Kerstin toll, ich schätze sie sehr.

Helgi Schmid: Sie hat ein wunderbares Buch geschrieben, das mich sofort fasziniert hat. Dank Kerstin ist ein berührender, ein hoffnungsvoller, detailverliebter, ein ganz wunderbarer Film entstanden.

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