Laufen
Der Fernsehfilm der Woche
Juliane Hansen (Anna Schudt) beginnt ein Jahr nach dem Tod ihres Lebensgefährten Johann König mit dem Laufen. Während sie sich mit Knieschmerzen zur nächsten Ampel schleppt, tauchen Erinnerungen an das gemeinsame Leben ungefragt auf. Zärtliche Momente, aber auch der Schmerz und die Wut packen sie immer wieder, weil er sich das Leben genommen hat. Es braucht ihre gute Freundin Rike Brandt, um Juliane auf andere Gedanken zu bringen, sie zu trösten und ihr die Meinung zu sagen. Japsend, sich und die Welt verfluchend, erläuft Juliane sich ein neues Leben.
- ZDF Mediathek, ab Samstag, 15. April 2023, 10.00 Uhr, ein Jahr lang
- ZDF, Montag, 24. April 2023, 20.15 Uhr
Texte
Redaktionelles Statement
Der Roman "Laufen" hat mich auf den ersten Seiten gepackt – so echt sind die mühsamen ersten Laufschritte in zerfledderten Joggingschuhen geschildert: die Schmerzen, der rasselnde Atem, die springenden Gedanken, die Quälerei. Sofort war ich ganz nah bei dieser Frau, die nach Jahren wieder mit dem Laufen anfängt. Sie trägt eine gehörige Portion Trauer und Wut in sich, über ihren toten Lebensgefährten und über sich selbst. Er hat sich das Leben genommen und ihr nur ein paar dürre Zeilen hinterlassen. Ihr Herumirren im Labyrinth der Erinnerungen und ihre Ohnmacht gegenüber den ungefragt aufwallenden Emotionen machen sie verletzlich, trotzig, ironisch und ungerecht. Und ja, sogar ihr Selbstmitleid ist mitreißend.
Der Fernsehfilm "Laufen" möchte die Reise dieser Frau filmisch fassen. Silke Zertz hat dafür eine erzählerische Form gefunden, die den langen inneren Monolog der Ich-Erzählerin in eine konsequente szenische Struktur übersetzt. "Laufen" ist ein Film geworden, der die seelische und körperliche Bewegung der Trauerarbeit in Szenenübersetzt, der von Mut, Hoffnung und auch absurd-komischen Momenten angesichts eines lähmenden Verlusts erzählt.
Solveig Cornelisen, Redaktion Fernsehspiel 1
Stab und Besetzung
Stab
Regie Rainer Kaufmann
Buch Silke Zertz, nach dem gleichnamigen Roman von Isabel Bogdan
Kamera Martin Farkas
Musik Richard Ruzicka
Schnitt Eva Schnare, Angela Tippel
Ton Andreas Kluge
Szenenbild Iris Trescher-Lorenz
Kostümbild Lucie Bates
Herstellungs- und
Produktionsleitung Peter Nawrotzki
Produzentin Heike Wiehle-Timm
Produktion Relevant Film Produktion GmbH
Redaktion Solveig Cornelisen
Länge ca. 88 Minuten
Die Rollen und ihre Darsteller*innen
Juliane Hansen Anna Schudt
Rike Brandt Katharina Wackernagel
Johann König Maximilian Brückner
Oliver Brandt Kai Schumann
Karina Mohl Victoria Trauttmansdorff
Ute König Gaby Dohm
Werner König Michael Abendroth
Doro Heike Schuch
Bernd Dominik Maringer
Frank Simon Kluth
Björn Robin Sondermann
Marie Brandt Nandi Editha Bogatsu
Paul Brandt Tibet Kahriman
Michael Max Engelke
und andere
Inhalt
Ein Jahr nach dem Suizid ihres Lebensgefährten beginnt Juliane Hansen mit dem Laufen. Japsend, sich und die Welt verfluchend erläuft sie sich Schritt für Schritt ein neues Leben. "Laufen" ist ein Film, der die Trauerarbeit als physische, seelische und erzählerische Bewegung ins Zentrum stellt und weich zwischen den Zeitebenen wechselt. Berührend und manchmal auch komisch erzählt der Film davon, wie sehr die Trauer ein ganzes System von Menschen erfasst und dabei doch radikal subjektiv erfahren wird.
Ein ganzes Jahr dauert es, bis Juliane zum ersten Mal wieder die Laufschuhe anzieht. Ein Jahr seit dem Tag null, an dem Johann sich das Leben nahm. Sie muss raus aus dem Loch, unbedingt, und wenn es bedeutet, sich mit Knieschmerzen zur nächsten Ampel zu schleppen. Juliane will die Trauer und Schuldgefühle nicht mehr. Ihr Lebensgefährte ist zwar tot, aber sie ist immer noch da.
Obwohl ihre Freundin Rike sie nach Kräften stützt, ist Juliane in diesem ersten Jahr einsam, antriebslos und zweifelt mitunter an ihrem Verstand. Selbst die Musik, die ihr Beruf und Berufung ist, entgleitet ihr. Tatsächlich ändert das Laufen dann alles. Keuchend beginnt Juliane, sich ihren Erinnerungen an Johann zu stellen und wieder neue Lebendigkeit zuzulassen.
Statement von Drehbuchautorin Silke Zertz
"Ein toller Roman", sagte meine Produzentin Heike Wiehle-Timm, als ich sie auf Isabel Bogdans "Laufen" aufmerksam machte, "aber nicht verfilmbar." Reiner Bewusstseinsstrom. Die erratischen Gedankenschleifen einer traumatisierten Protagonistin, Versatzstücke ihrer Erinnerungen und Momentaufnahmen ihrer Gegenwart, und das Ganze erzählt im nach Luft japsenden Rhythmus des Laufens: Wie soll daraus ein Film werden? Andererseits: Was für eine Chance! Eine positive, lebensbejahende Geschichte über Depression. Trauer in einer Aufwärtsbewegung, mit Humor erzählt. Die Geschichte einer Frau, die sich selbst heilt, indem sie ihren Körper in Bewegung setzt. "Es ist alles da, es braucht nur eine neue Ordnung", sagte ich damals, ohne genau zu wissen, wie sie aussehen würde. Ich warb um Vertrauen und bekam es.
Diese neue Ordnung für das Drehbuch zu finden war schließlich die große Herausforderung. Das Füllhorn von Details, das Isabel Bogdan in ihrem Roman bereitgestellt hatte, musste ausgeschüttet und neu zusammengesetzt werden. Und zwar ohne eine festgelegte Chronologie, eben wie ein Puzzle: Erst fügt man ein paar blaue Teilchen in der linken Ecke zusammen, dann ein bisschen rot unten links, dann ein Stück vom Rahmen mit der Ecke, und irgendwann entsteht ein Bild, das Interesse weckt und Lust macht auf mehr. Stück für Stück wird sichtbar, was Juliane Hansen durchgemacht hat. Und wie sie sich befreit. Entwickelt.
Die Struktur sollte den Trauerprozess der Hauptfigur spiegeln. Also wie im wirklichen Leben, zwei Schritte vor, einen Schritt zurück. Ein behutsames Herantasten an das Unaussprechliche. Ein langsames Herauslaufen aus den Gedankenschleifen. Ein Schritt-für-Schritt-Bewältigen von Schuldgefühlen, Scham und Ohnmacht. Deshalb entschied ich mich für eine Erzählweise, die die Handlung in Kapitel unterteilt und innerhalb der Kapitel mit Flashforwards und Flashbacks arbeitet. Die Erzählung umkreist die monströse Tat, den Suizid. Sie mäandert zwischen einer Zeit davor, einer Zeit danach und einem Heute. Sie fügt sich schließlich zu einem Ganzen zusammen, auch mit Hilfe einer Erzählerin, die ihren mühsamen Weg selbstironisch reflektiert. In dem Maße, wie Juliane Hansen ihre Vergangenheit zu begreifen beginnt, entwickelt sie sich auch in der Gegenwart: Schritt für Schritt kann sie sich befreien und läuft sich buchstäblich ins Leben zurück.
Statement von Romanautorin Isabel Bogdan
Es ist tatsächlich eine große Glücksgeschichte. Schon beim ersten Treffen mit Heike Wiehle-Timm und Silke Zertz hatte ich das Gefühl: Hier bin ich richtig. Hier sind kluge, kompetente Frauen am Werk, hier ist mein Roman in guten Händen. Ich selbst hätte ihn gar nicht als Film gesehen. Wie will man einen inneren Monolog, die zeitlich hin- und herspringenden Gedanken einer Frau beim Laufen, in eine Filmhandlung übersetzen? Auftritt Silke Zertz: "Klar geht das." Sie erzählt die Erinnerungsfetzen aus, springt zeitlich genauso vor und zurück wie der Roman, schneidet immer wieder das Laufen rein, klatscht kein zuckersüßes Happy End hinten dran – und versteht bei all der Schwere des Themas auch noch meinen Humor. Als ich das fertige Drehbuch las, habe ich tatsächlich geweint vor Glück.
Das zweite Mal geweint habe ich, als ich bei den Dreharbeiten zur Volkslaufszene zuschaute. Mein erster Drehtag, es war herrliches Wetter, zig Statisten liefen mit, ebenso viele standen am Rand und applaudierten. Juliane (Anna Schudt) läuft durchs Ziel und wird von ihrer Freundin Rike (Katharina Wackernagel) in Empfang genommen – ein emotionaler Wendepunkt im Film und im Roman, und für mich ebenfalls ein hochemotionaler Moment. Dieser Aufwand, all diese Leute, die teilweise seit Wochen und Monaten daran arbeiteten, dass dieser Film gut wird. Mein Film! Wahnsinn.
Rainer Kaufmann hat dieses wunderbare Drehbuch mit einer großen Liebe zu den Figuren und ebenso großem Respekt vor dem Thema umgesetzt – mit einem unglaublich guten Ensemble. Anna Schudt als Juliane, die zunächst am Boden zerstört und abgrundtief verzweifelt ist und sich dann ganz langsam ein wenig berappelt – mit allen Zwischenstadien von Trauer, Wut, Fassungslosigkeit und Lichtblicken – ist eine Sensation. Noch dazu hat sie monatelang Cello geübt und sich selbst beim Laufen beobachtet. Eine Freundin wie die hinreißende Katharina Wackernagel (Rike) wünscht man sich sowieso. Auch die anderen Rollen überzeugen absolut. Gaby Dohm und Michael Abendroth als verbitterte Schwiegereltern, Kai Schumann als Rikes Mann, das Streichquartett. Überhaupt: die Musik. Die Musik von Richard Ruzicka!
In den letzten fünf Minuten des Films wird kein Wort mehr gesprochen, da ist nur noch diese Musik, und sie geht auf direktem Weg ins Herz. "Laufen" mag ein Film über Trauer sein, aber er ist vor allem ein Trostfilm. Und einer über Freundschaft.
Statement von Regisseur Rainer Kaufmann
Isabel Bogdan hat einen Roman über eine Frau geschrieben, die mit einer inneren Atemlosigkeit auf die Welt blickt, die seit einem Jahr für sie nicht mehr existiert. Sie ist wie eingesperrt mit einem minutiösen Blick auf Details. Die Geschichte beginnt, als sie langsam wieder fähig wird, zurück in ihr Leben zu finden. Während man liest, wird man als Leser in diese Perspektive gezwungen. Man durchlebt mit dieser Figur langsam einen Erneuerungsprozess.
Schnell kommt man auf den Gedanken, aufgrund der soghaften Erzählform einen experimentellen Film aus dem Roman zu machen. Das wäre aber sicherlich zu ungewohnt und deshalb falsch. Ich wollte auch Zuschauer ansprechen und einladen, die erst mal nicht von dem Thema "Wiederherstellung des inneren Gleichgewichts nach Selbsttötung des Ehemanns" angezogen sind. Trotzdem sollte es ein Film werden, der die klassische Erzählstruktur durchbricht. Wie gestaltet man aus diesem Roman einen Film, der unterhält? Der einen Sog entwickelt, dem sich der Zuschauer nicht entziehen kann?
Die Autorin Silke Zertz hatte als erste die Idee, aus dem Roman ein Drehbuch und einen Film zu machen. Sie hat es tatsächlich geschafft, die Energie aus Isabel Bogdans Buch in ein besonderes und eigenwilliges Drehbuch zu verwandeln. Das hat mir sehr geholfen, einen Schlüssel für eine entsprechende filmische Form zu finden.
Die gesamte Art, wie der Film seine Geschichte preisgibt, entsteht aus dem Gedanken, aus dem Gefühlsleben der Hauptfigur zu erzählen. Die innere und äußere Reise zu einer Person, die wieder ein fast intaktes Seelenleben hat, ist nicht stringent. Deswegen verlässt die filmische Erzählung die kontinuierliche Zeitlinie und springt in der Lebenszeit der Hautfigur so hin und her, wie diese sie selbst erlebt. Da das sehr klug von Silke Zertz adaptiert und umgesetzt ist, bietet das Drehbuch ein relativ sicheres Gerüst für meine inszenatorische Arbeit. Bemerkenswert ist an dieser Stelle auch die besonders einfühlsame Kameraarbeit von Martin Farkas.
Die Musik spielt in dem Film eine ganz besondere Rolle. Ich habe mich mit dem Komponisten Richard Ruzicka schon lange vor den Dreharbeiten getroffen und mit ihm über das Vorhaben geredet. Er hat dann allein nach Lesen des Drehbuchs und dieses Gespräches eine Musik komponiert, die die Grundlage für das Cello-Konzert am Ende des Films wurde. Ohne dass es im Film thematisiert wird, steuert die ganze Geschichte auf dieses Cello-Konzert zu. Und welch' große Bedeutung es hat, sieht man jetzt im fertigen Film.
Obwohl wir uns alle sehr bemüht haben, dorthin zu kommen, wo der Film jetzt endet, kann so etwas nur mit ein wenig Magie gelingen. In den letzten zehn Minuten wird kein Wort gesprochen und trotzdem vermisst man nichts. Anna Schudt nimmt einen derart gefangen auf dem letzten Teil dieser Reise, dass man bis zum letzten Moment gebannt Ihrem Spiel zuschaut.
"Mitten durch die Feuer der Hölle" - Interview mit Anna Schudt
Was ist Juliane für ein Charakter? Was hat Sie an der Rolle gereizt?
Juliane ist vor allen Dingen erstmal ganz normal. Sie mag ihr Leben, sie mag ihren Mann, sie mag ihren Beruf als Cellistin. Wir sehen sie in dem Film auf ihrem Weg zurück ins Leben, nachdem ihr Mann Selbstmord begangen hat – also in einer Situation, die extremer fast nicht sein kann. Wir erleben die Zeit, wie sie aus einer Art Lähmung, die der Schock dieses Verlustes in ihr ausgelöst hat, versucht, ins Leben zurückzukommen – mit Hilfe ihrer unermüdlichen Freundin und des Laufens.
Die Art der Transformation, wie ein Mensch durch diesen Schmerz wieder auf die Beine kommen muss, um weiterzuleben und wieder einen Sinn zu finden, und die Übersetzung – im wahrsten Sinne des Wortes wieder in Bewegung kommen zu müssen, obwohl man nicht entfliehen kann – das hat mich ungeheuer gefordert. Die Auseinandersetzung mit der Schuld und dem Zustand, keine Antworten zu finden und trotzdem jeden Morgen aufzuwachen und dem Tag begegnen zu müssen. Und irgendwann doch wieder Licht am Ende des Tunnels zu sehen.
Um sich ihrer Trauer zu entziehen, zieht Juliane ihre Laufschuhe an und rennt los. Was geht ihr dabei durch den Kopf?
Sie versucht nicht zu fliehen. Sie versucht, irgendetwas zu spüren außer dem Schmerz. Sich vorwärtszubewegen, und sei es nur Schrittchen für Schrittchen, sich dem Atem und dem Körper zu stellen – das ist so etwas wie ein Bild für den menschlichen Überlebensinstinkt. Sie versucht, nicht zu denken. Sie versucht, dem ewigen Karussell der Gedanken zu entkommen und sich wieder zu spüren.
Laufen als Methode der Krisenbewältigung. Glauben Sie, dass das funktioniert?
Ich glaube, es ist ein absolut notwendiges Puzzlestück. Bewegung hilft immer. Es werden Glückshormone freigesetzt, und die Welt sieht danach anders aus. Nur Laufen wird nicht reichen, aber es hilft. Ich kann es jedem nur empfehlen.
Wie anstrengend war das Laufen während der Dreharbeiten für Sie?
Ich habe ein Jahr vor Beginn der Dreharbeiten angefangen, jeden Tag zu laufen, und es war so erstaunlich, was sich alles dadurch verändert hat, so dass ich bis heute regelmäßig laufe. Ich war gut vorbereitet, dadurch habe ich es einfach nur genossen. Das Anstrengendste waren eher die Phasen des Nicht-Laufen-Könnens – wenn ich laufen sollte, als ginge es nicht. Alles ist dann verspannt, krumm und schief. Da tat mir abends alles weh.
Juliane ist wütend, dass Johanns Eltern ihr die Schuld an Johanns Tod geben. Wie geht sie mit der Frage der Schuld um?
Die Frage von Krankheit und Schuld ist eine der gemeinsten. Die Eltern, so wie Juliane selbst, versuchen sich das Unerklärliche zu erklären und scheitern. Es wäre so viel einfacher, wenn es einen Grund gäbe oder wenigstens einen Schuldigen. Dann gäbe es irgendwie einen Sinn. Aber das Schlimme ist, es gibt keinen Grund. Für alle Zurückgelassenen ein sinnloser Tod, eine nicht zu verstehende Katastrophe, mit der sie leben müssen.
Verlust, Loslassen und dabei die Hoffnung nicht verlieren. Wie sehen Sie die Entwicklung, die Juliane durchmacht?
Für mich stellt es sich dar wie eine Aufwärtsspirale. Sie hängt am Leben, und sie geht durch alle Phasen des Trauerns, um am Ende wieder Hoffnung zu spüren. Die Wahrheit ist: Es gibt keinen Umweg. Man muss mitten durch die Feuer der Hölle hindurch. Und das macht sie. Widerwillig, aggressiv, ungerecht, erschöpft. Aber sie macht es. Ich kann ihr nur den höchsten Respekt zollen.
Juliane muss lernen, das Leben wieder zuzulassen. Wie geht sie damit um?
Sie wehrt sich erstmal. Wie sollte es anders sein? Alles ist weggebrochen, von so einem Einschnitt erholt man sich niemals ganz. Sie hat ihr Tempo und sie läuft. Irgendwann wird sie ankommen.
Juliane fällt es lange schwer, andere Menschen an sich heranzulassen. Können Sie das nachvollziehen?
Juliane kann nichts spüren außer diesem Verlust. Sie hat einen Mantel des Schmerzes um sich herum. Niemand kann sie verstehen. Sie ist so allein, wie man nur sein kann. Was mit ihr passiert, ist kein aktiver Vorgang, sie hat sich das nicht ausgesucht. Da ich sie gespielt habe, ist mir das mehr als verständlich.
Juliane ist professionelle Cellistin. Haben Sie für die Rolle Cello spielen gelernt?
Ich habe als Kind sehr gerne Cello gespielt und mich mit Eifer in dieses Instrument gestürzt. Ich liebe Herausforderungen, und das war definitiv eine. Ich wollte nicht gedoubelt werden, und das habe ich geschafft. Also kann ich dankbar sagen: Ich habe zwei Dinge aus diesem Film als neue Lieben mitgenommen: Das Laufen und das Cellospielen.
Drei Fragen an Katharina Wackernagel
Rike möchte ihrer Freundin zur Seite stehen. Wie geht sie mit Julianes Schmerz um?
Rike ist rund um die Uhr für Juliane da und versucht sie zu motivieren, wieder ins Leben einzusteigen. Sie fordert sie heraus, ihre Ehe nicht nur zu verklären, sondern sich auch an die Momente zu erinnern, in denen nicht alles eitel Sonnenschein war, um das Geschehene verarbeiten zu können. Sie holt sie aus der Depression, wenn Juliane abtauchen will, lädt sie Weihnachten zu sich ein und auch ins Ferienhäuschen nach Schweden, damit sie Teil einer Familie sein kann, die sie liebt und ihr Kraft gibt.
Wie vereinbart Rike den Spagat, für ihre Freundin da zu sein, ohne die eigene Familie zu vernachlässigen?
Es gibt Momente im gemeinsamen Urlaub, in denen sich Rikes Mann hinter den Bedürfnissen Julianes zurückgesetzt fühlt, aber die Qualität der Freundschaft von Rike und Juliane ist eben auch die, dass Rike sie wie selbstverständlich in die Familie integriert und von ihrem Partner erwartet, dass er diese Phase gemeinsam mit ihr trägt.
Wie schwer ist es für Rike, neben der eigenen Hilflosigkeit auch noch mit der Zurückweisung der Freundin umzugehen?
Es braucht viel Kraft, um in der Zeit der Trauer und des Verlusts für einen Menschen da zu sein. Da ist manchmal kein Platz für Höflichkeiten. Aus Liebe und Mitgefühl zu ihrer Freundin erträgt Rike es über zwei Jahre stoisch, aber irgendwann platzt auch ihr der Kragen – in dem Moment nämlich, in dem sie glaubt, Juliane würde an dem Schmerz festhalten, um sich dahinter zu verstecken, obwohl sie eigentlich schon viel weiter ist.
Producers Note von Heike Wiehle-Timm
Als ich von Silke Zertz den Roman "Laufen" von Isabel Bogdan empfohlen bekam, war ich begeistert und ratlos zugleich. Wie wollte man diese atemlose, radikal subjektive Erzählung über eine Frau, die nach einem erschütternden Verlust aus der Bahn geworfen wird und mit dem Laufen beginnt, in eine filmische Dramaturgie übersetzen?
Und, war das nicht die ideale Rolle für Anna Schudt, mit der ich nach "Aufbruch in die Freiheit" so gern die vertrauensvolle Zusammenarbeit fortsetzen wollte?
Mit großer Sensibilität hat Silke Zertz den Roman transformiert und nimmt uns mit auf die Reise von Julianes Trauer- und Gesundungsprozess. Die Radikalität der subjektiven Erzählung ist auch dem Film eigen: Durch ihren Blick, ihre mäandernden Gedanken verbinden wir uns mit ihr und ihren Fragen zu Trauer und Depression, Akzeptanz und Lebendigkeit. Wie wird man mit dem Verlust des geliebten Partners fertig? Wie kann man Abstand von dem Unfassbaren gewinnen? Schritt für Schritt kämpft sich Juliane aus dem Krisenmodus heraus, mit all ihrer Kraft und manchmal verzweifelten Wut. Sie fasst wieder Mut und Selbstvertrauen und erobert sich so die verloren gegangene Souveränität über ihr Leben zurück. Bestärkt von ihrer besten Freundin Rike und ihrer Therapeutin Frau Mohl bekommt ihr Leben für sie wieder Sinn, bis sie Luft unter ihren Flügeln spürt.
Wir, die Zuschauer*innen erleben die Geschichte als Ermutigung, die Lust aufs Leben und das Laufen macht.
Anna Schudt setzt in der präzisen, genau beobachteten Inszenierung von Rainer Kaufmann diese Figur Juliane kongenial in Szene. Mit einer unglaublichen Offenheit gewährt sie uns Einblick in Julianes Seelenzustände. Wir erleben ihren Kampf gegen Schuldgefühle, Selbsthass und Verzweiflung. Wie sie sich in das Leben zurückkämpft und ihr die Dynamik des Laufens dabei hilft, wieder selbstbestimmt und frei ihre Entscheidungen zu treffen. Mit ihr erleben wir auch die Kraft der Musik, wenn sie als Orchestermusikerin mit ihrem Cello die Dämonen in Schach hält.
Bei diesem Projekt kam viel Schönes zusammen: Es ist ein großes Glück, mit Partner*innen zusammenarbeiten zu können, mit denen ich schon andere großartige Projekte gemeinsam auf den Weg gebracht habe. Neben der immer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit Solveig Cornelisen (Redaktion) konnte ich neben Silke Zertz auch einmal mehr die Zusammenarbeit mit dem wunderbaren, sensiblen Regisseur Rainer Kaufmann fortsetzen – ein sich gegenseitig befruchtendes Quartett.
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