Der Koffer, in dem Walter Meckauer während des Exils seine Kurzgeschichten aufbewahrte

Leben im Exil

eine digitale Ausstellung von ZDFkultur und dem Deutschen Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main

Jeder Nachlass, jeder persönliche Gegenstand erzählt eine Geschichte – von kleinen Begebenheiten, Abschieden und Neuanfängen, gescheiterten Träumen und wichtigen Begegnungen. Die Ausstellung "Leben im Exil" in der Digitalen Kunsthalle von ZDFkultur zeichnet anhand ausgesuchter Exponate aus dem Deutschen Exilarchiv 1933–1945 die Lebenswege von Menschen nach, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft oder politischen Haltung während der NS-Zeit aus Deutschland fliehen mussten. Die von engen, labyrinthischen Gängen geprägte Ausstellungsarchitektur spiegelt die Suche nach Zuflucht und die beklemmenden Situationen eines rastlosen Daseins wider.

  • ZDF Mediathek, ab Mittwoch, 4. August 2021, unter https://digitalekunsthalle.zdf.de

Texte

Über die Ausstellung

Die virtuelle Ausstellung "Leben im Exil" erzählt die bewegenden Geschichten von neun Menschen: von Irma und Hanns W. Lange, Mutter und Sohn; von den Antifaschisten Hubertus Prinz und Helga Prinzessin zu Löwenstein; dem Schriftsteller Walter Meckauer sowie dessen Frau Lotte und Tochter Brigitte; dem Fotografen Eric Schaal und der späteren Bestsellerautorin Stefanie Zweig.

Vom Startpunkt aus gelangen Besucherinnen und Besucher der Digitalen Kunsthalle über verwinkelte Flure in fünf Ausstellungsräume. Dort können sie die Exponate, insbesondere schriftliche Zeugnisse, so unmittelbar betrachten wie in kaum einem realen Museum. Das Navigieren ist entweder durch Anklicken der Pfeile auf dem Boden oder über die Pfeile auf der Tastatur möglich. Wer den Gang durch das Labyrinth vermeiden möchte, kann sich auch direkt von Raum zu Raum klicken. Die Ausstellung ist ein Kooperationsprojekt und wurde gemeinschaftlich kuratiert: Texte und Dokumente wurden vom Deutschen Exilarchiv 1933–1945 beigesteuert, ZDFkultur hat die Ausstellungsarchitektur entwickelt und umgesetzt sowie ergänzendes Filmmaterial integriert, darunter aus den Archiven des ZDF zwei Interviews mit Stefanie Zweig. Die Ausstellung wird für achtzehn Monate bei ZDFkultur zu sehen sein.

Die einzelnen Räume

Raum 1: Start

Im ersten Raum befindet sich unter anderem ein schwebender Globus, der anzeigt, wo die neun Personen, deren Exil die Ausstellung nachzeichnet, Zuflucht fanden. An der Wand hängen fotografische Porträts, auf einer Weltkarte ist markiert, welches Land wie viele Flüchtlinge aufnahm. Durch die aggressive Ausdehnung des nationalsozialistischen Machtbereichs ab 1938 wurden viele europäische Zufluchtsländer zu Transitländern, von denen aus die Menschen ein neues, sicheres Ziel suchen musste. Hinter den Zahlen stehen nicht nur unterschiedliche, mit der Zeit oft wechselnde Aufnahmebedingungen, sondern auch die Schicksale derer, die mehrfach fliehen mussten oder schließlich doch deportiert und ermordet wurden.

Raum 2: Irma und Hanns Lange

Trotz ihres nicht-jüdischen Ehemanns war Irma Lange (1891–1986) als Jüdin nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten zunehmend gefährdet. 1939 emigrierte sie mit ihrem Sohn Hanns nach England. Nach Ausbruch des Krieges – im Land lebende Deutsche galten nun als "feindliche Ausländer" – kamen beide in Internierungslager. Von 1940 bis 1942 war Irma Lange zunächst im Frauengefängnis Holloway, dann im Frauenlager Rushen in Port Erin auf der Isle of Man interniert. Was sie in den Jahren der Haft erlebte, hielt sie in bunten Stickereien und Applikationen auf einer handgefertigten Sackleinentasche für ihren Sohn fest.

Für viele Internierte bedeutete es ein Stück Selbstbehauptung, einer handwerklichen Arbeit nachzugehen oder eine Dienstleistung anzubieten. Irma Langes Sohn Hanns (1915–2007), ausgebildeter Kürschner, nutzte sein handwerkliches Geschick, um während seiner Internierung auf der Isle of Man Spielzeug herzustellen. Irma Langes Tasche, Tagebücher von Hanns Lange und weitere Dokumente verschaffen einen tiefen Einblick in den Alltag im Lager.

Raum 3: Hubertus Prinz und Helga Prinzessin zu Löwenstein

Hubertus Prinz (1906–1984) und Helga Prinzessin zu Löwenstein (1910–2004) waren aufgrund ihrer antifaschistischen Haltung schon vor der Machtübergabe nationalsozialistischen Angriffen ausgesetzt. Nach dem Reichstagsbrand und einer ersten Hausdurchsuchung floh das couragierte Ehepaar im April 1933 nach Österreich ins Exil. Von dort aus engagierten sie sich in Büchern, Vorträgen und Zeitungsartikeln weiter gegen die "Gangsters, die unter der Maske von Politikern plündern und morden", so Hubertus Prinz zu Löwenstein. Einige Zeit später fanden sie Zuflucht in den USA. Dort entstand auf Initiative von Hubertus Prinz zu Löwenstein 1935 in New York die American Guild for German Culture Freedom, eine der bedeutendsten Hilfsorganisationen für deutschsprachige Exilierte. Zu ihren Unterstützern zählten Thomas Mann, Sigmund Freud und Hannah Arendt. Bis zur endgültigen Auflösung der Organisation im Januar 1941 konnten mit Geldern der American Guild zahlreiche Emigrantinnen und Emigranten, darunter Joseph Roth und Bertolt Brecht, unterstützt werden. Die Ausstellung bei ZDFkultur zeigt unter anderem eine Auswahl aus der Korrespondenz der zu Löwensteins und erzählt von der Arbeit der American Guild for German Culture Freedom.

Raum 4: Walter, Lotte und Brigitte Meckauer

Walter Meckauer (1889–1966) und Lotte Meckauer (1894–1971) sowie deren Tochter Brigitte (1925–2014) verließen Deutschland im Frühjahr 1933 aus Angst vor drohender Verfolgung und lebten zunächst in der Nähe von Ascona in der Schweiz. Von dort ging es ruhelos weiter, erst nach Italien, später nach Frankreich. Im November 1942, etwa zeitgleich mit dem Einmarsch der Wehrmacht in die bis dahin unbesetzte Südzone, verließ die Familie Frankreich in letzter Sekunde wieder in Richtung Schweiz. Kurz darauf begannen die Deportationen von Jüdinnen und Juden auch aus dem Süden Frankreichs. 1947 endlich – nach Jahren der Ungewissheit – erreichten sie das Ziel ihrer Träume, die USA. Immer dabei: ein Koffer, in dem der Schriftsteller Meckauer seine Kurzgeschichten aufbewahrte. Meckauer ist heute, wie viele andere Exilautoren und -autorinnen, weitgehend vergessen. Brigitte Meckauer heiratete 1952 in den USA den Schauspieler Rolf Kralovitz. Er hatte das Konzentrationslager Buchenwald überlebt, seine Familie war im Holocaust ermordet worden. Ab 1953 lebte das Paar wieder in Deutschland, wo es sich unermüdlich dafür einsetzte, die Erinnerung an die nationalsozialistische Verfolgung wachzuhalten.

Um die Walter-Meckauer-Plakette, die ab 1983 – "in Anerkennung des besonderen Engagements für die Werke verfolgter, vergessener Autoren" – Personen und Institutionen (u. a. dem Exilarchiv) verliehen wurde, entbrannte Ende der 1980er-Jahre eine Kontroverse. Hintergrund war unter anderem, dass Meckauer 1933 eine "Ode an Mussolini" verfasst hatte. Auch davon und von den möglichen Motiven Meckauers erzählt die Ausstellung.

Raum 5: Eric Schaal

Eric Schaal (1905–1994) emigrierte 1936 in die USA. Im Unterschied zu vielen anderen Emigrantinnen und Emigranten gelang es Schaal, in seinem Zufluchtsland beruflich Fuß zu fassen. Aus dem Hobbyfotografen wurde ein gefragter Porträtfotograf, seine Bilder waren in renommierten Magazinen wie "Time" und "Life" zu sehen. Viele berühmte Exilierte, aber auch Schlüsselfiguren des amerikanischen Kulturlebens ließen sich von ihm ablichten – von Thomas und Katia Mann über Sergej Rachmaninow bis hin zu Albert Einstein und Charlie Chaplin. Während der Aufnahmen verwickelte Eric Schaal seine Modelle in Gespräche über ihre Arbeit und schöpfte dabei aus seinem breiten Wissen über Kunst, Literatur und Musik. So schuf er eine gelöste Atmosphäre, in der Bilder entstanden, die oft ungezwungen und privat wirken. Wie begeistert die Porträtierten von Schaals Arbeit waren, lässt sich an ihren persönlichen Widmungen auf den Fotos ablesen.

Raum 6: Stefanie Zweig

Die außergewöhnliche Kindheitsgeschichte von Stefanie Zweig (1932–2014) wurde durch die oscarprämierte Verfilmung ihres 1995 erschienenen Buches "Nirgendwo in Afrika" weltbekannt. Darin erzählt die aus Oberschlesien stammende Schriftstellerin, wie sie 1938 als kleines Mädchen mit ihren Eltern nach Kenia emigrierte. Neun Jahre später kehrte sie mit unvergesslichen Erinnerungen nach Deutschland zurück. In Frankfurt am Main fiel der Jugendlichen die Eingewöhnung zunächst schwer. In ihren Erinnerungen beschreibt sie die Distanz, die aufgrund der unterschiedlichen Erfahrungen zwischen ihr und ihren Mitschülerinnen herrschte: "meine Mitschülerinnen [sind] sehr höflich zu mir und auch hilfsbereit, für mich jedoch schwer zu durchschauen. Sie fragen mich immerzu über Afrika aus, wie viele Löwen ich gesehen habe […]. Nie fragt mich jemand, wie ich nach Afrika gekommen bin […]." Nach dem Abitur fand Stefanie Zweig Arbeit als Journalistin, schrieb unter anderem für die "Jüdische Allgemeine" und verfasste etliche Bestseller. Ein Säckchen Erde vom Grab ihrer Großmutter in Polen und zwei kleine Holzantilopen aus Kenia gehören zu den berührenden Erinnerungsstücken, die sie ein Leben lang behielt.

 

Das Deutsche Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek

Das Deutsche Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek ist ein Ort der Auseinandersetzung mit den Themen Exil und Emigration während der Zeit des Nationalsozialismus. Gesammelt werden Zeugnisse dieses Exils: Publikationen, institutionelle und persönliche Nachlässe – berufsübergreifend und unabhängig von der Prominenz einer Person. Ziel des Archivs ist es, das Phänomen des Exils in seiner ganzen Breite zu erfassen und die Bestände zugänglich zu machen. Die Gründung des Exilarchivs in der frühen Nachkriegszeit wurde von Exilierten selbst mitinitiiert, die darin ein Instrument der politischen Aufklärung sahen. Auch deshalb hat die kulturelle Vermittlungsarbeit bis heute einen besonderen Stellenwert: Durch Ausstellungen, ein vielfältiges Veranstaltungsprogramm und Publikationen leistet das Exilarchiv einen wichtigen Beitrag zu einer lebendigen Erinnerungskultur und zieht dabei immer wieder Verbindungslinien zwischen dem historischen Exil und aktuellen Phänomenen.

Viele der in der Digitalen Kunsthalle präsentierten Objekte sind im Original in der Dauerausstellung des Exilarchivs "Exil. Erfahrung und Zeugnis" in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main zu sehen.

Die Digitale Kunsthalle von ZDFkultur

In der Digitalen Kunsthalle präsentiert ZDFkultur in Zusammenarbeit mit Kulturinstitutionen in ganz Deutschland außergewöhnliche, von Experten und Expertinnen kuratierte Wechselausstellungen. Die Besucherinnen und Besucher des virtuellen Museums bewegen sich innerhalb eines interaktiven Web-Moduls, betrachten dort präsentierte Objekte, Archivalien, Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen oder Fotografien, erhalten Hintergrundinformationen und erfahren spannende Geschichten rund um die Exponate. Auch filmisches Material ist vermehrt in die Ausstellungen eingebettet. Kunst und Kultur ist so für alle ortsunabhängig und jederzeit zugänglich. Teils weit verstreute Werke sind bei ZDFkultur nur noch wenige Klicks voneinander entfernt. Durch innovative Technik und multimediale Inhalte wird der virtuelle Museumsbesuch zu einem einzigartigen Erlebnis.

Die Digitale Kunsthalle ist Teil des digitalen Kulturangebots des ZDF. Eingebettet in die ZDFmediathek bündelt und produziert ZDFkultur Inhalte aus allen kulturellen Genres, um Nutzerinnen und Nutzern Raum für aktuelle Diskurse und neue Perspektiven zu schaffen.

Statements

Anne Reidt, Leiterin der Hauptredaktion Kultur im ZDF

"Dass Geschichten aus dem Exil häufig Überlebens-Geschichten sind, täuscht bisweilen darüber hinweg, wie viele Verfolgte des Nationalsozialismus mit dem Verlassen ihrer Heimat ihre wirtschaftliche und künstlerische Existenz riskierten. Besitz, soziale Vernetzung und berufliche Chancen waren vielfach für immer verloren. Die Ausstellung in der Digitalen Kunsthalle war uns deshalb ein so großes Anliegen, weil sie die Täter klar benennt und an Menschen erinnert, die in der Fremde ihre Würde behielten."

Ralf Schmitz, verantwortlicher Redakteur

"'Vertriebene sind wir, Verbannte. Und kein Heim, ein Exil soll das Land sein, das uns da aufnahm.' Als Sylvia Asmus, Leiterin des Deutschen Exilarchivs 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek, mich vor einem Jahr anrief, waren es diese Worte Bert Brechts, die mir in den Sinn kamen. Gibt es ein aktuelleres Thema, mit dem sich die Digitale Kunsthalle in den gesellschaftlichen Dialog einmischen kann?

Ein Jahr später und nach zahlreichen Meetings vor Ort und digital ist eine Ausstellung für die Digitale Kunsthalle entstanden, die von Verfolgung und Flucht, vom Verlust der Heimat und vom Ankommen in einer fremden Kultur handelt. 

Fünf Protagonisten und Protagonistinnen, an der Spitze die Schriftstellerin Stefanie Zweig, waren nach intensivem Austausch mit dem Exilarchiv gefunden. Ihre Geschichten in der Digitalen Kunsthalle sichtbar zu machen, die künstlerischen, wissenschaftlichen oder politischen Aktivitäten im Exil, ist das Ziel für die nächsten achtzehn Monate." 

Dr. Sylvia Asmus, Leiterin des Deutschen Exilarchiv 19331945

"Ich freue mich, dass Objekte aus der Sammlung des Deutschen Exilarchivs und vor allem die damit verbundenen oft sehr persönlichen Geschichten nun in der Digitalen Kunsthalle präsentiert werden. Besonders eindrucksvoll ist die Fotogrammetrie der Tasche von Irma Lange, die in all ihren Details betrachtet werden kann."

Vorschaulink

Auf Anfrage senden wir Ihnen gern einen Vorschaulink zur Ausstellung. Wenden Sie sich hierzu bitte an: Katharina Rudolph rudolph.k@zdf.de und Britta Schröder schroeder.b@zdf.de

Fotos

Fotos sind erhältlich über ZDF Presse und Information, Telefon: 06131 – 70-16100, und über https://presseportal.zdf.de/presse/zdfkultur

Weitere Informationen

Die Digitale Kunsthalle bei ZDFkultur: https://digitalekunsthalle.zdf.de

ZDFkultur in der ZDFmediathek: https://zdfkultur.de

ZDFkultur bei Facebook: https://facebook.com/ZDFkultur

Website Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek: https://www.dnb.de/dea

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Name: Dr. Britta Schröder, Dr. Katharina Rudolph
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