Mare Nostrum – Wem gehört das Mittelmeer?

Zweiteilige Reportage von Nicola Albrecht und Andreas Postel

47.000 Kilometer Küstenlinie verteilt auf 23 Länder: Das Mittelmeer ist die Badewanne Europas, Seeroute für Containerschiffe aus aller Welt und Fluchtweg für Menschen aus den armen Ländern Afrikas. ZDF-Reporterin Nicola Albrecht und ZDF-Reporter Andreas Postel sind mit ihren Teams durch zahlreiche Mittelmeerländer gereist. Auf ihrem Weg von der Meerenge von Gibraltar bis nach Istanbul fragten sie: Was trennt und was verbindet uns? Und: Wem gehört das Mittelmeer? Die Antworten auf diese Frage sind vielfältig.

  • ZDF, Mittwoch, 4. Januar und Donnerstag, 5. Januar 2023, jeweils 22.15 Uhr
  • ZDF Mediathek, ab Donnerstag, 29. Dezember 2022, voraussichtlich 16.00 Uhr

Texte

Sendetitel, Termine und Stab

ZDF: Mittwoch, 4. Januar 2023, 22.15 Uhr
ZDFmediathek: ab Donnerstag, 29. Dezember 2022, voraussichtlich 16.00 Uhr
Mare Nostrum – Wem gehört das Mittelmeer?
Der Traum von Freiheit und Wohlstand

ZDF: Donnerstag, 5. Januar 2023, jeweils 22.15 Uhr
ZDFmediathek: ab Donnerstag, 29. Dezember 2022, voraussichtlich 16.00 Uhr
Mare Nostrum – Wem gehört das Mittelmeer?
Für eine bessere Zukunft

Buch/Regie                 Nicola Albrecht und Andreas Postel
Kamera                       Michele Parente, Zeljko Pehar, Tim Lewerth
Schnitt                        Walter Freund, Matthias Heep
Redaktion                   Hilde Buder-Monath, Lucas Eiler
Leitung                        Markus Wenniges
Sendelänge                2 x circa 45 Minuten

Über "Mare Nostrum"

Verschiedene Sprachen, Kulturen und Weltanschauungen machen den Mittelmeerraum zum Schmelztiegel. Dabei sind die Ressourcen ungleich verteilt: Während an den Küsten Spaniens, Frankreichs, Italiens und Griechenlands meist noch sonnenhungriges und weitgehend sorgloses Urlaubsgetümmel herrscht, kämpfen in Nordafrika und an der Levante viele Menschen ums nackte Überleben. Seit den Kriegen in Libyen und Syrien haben politische Spannungen zugenommen. Vom großen Traum des Arabischen Frühlings ist wenig übrig geblieben, doch noch immer kämpfen junge Menschen in Marokko, Ägypten und Tunesien für Demokratie und persönliche Freiheiten.

An den Küsten Europas wird der überbordende Tourismus immer mehr zur Gefahr für fragile Ökosysteme. Für die Zukunft Europas – darüber sind sich Experten einig – ist es unabdingbar, dass die Anrainerstaaten des Mittelmeers sich zusammenraufen. Gemeinsam gegen die Folgen des Klimawandels vorzugehen, wäre mehr als ein Anfang. Aber es gilt auch, das extreme Wohlstandsgefälle und politische Spannungen abzubauen. Dann wäre "Mare Nostrum", wie das Meer in der Antike genannt wurde, eine wahrgewordene Utopie.

Inhalt

Teil 1: "Der Traum von Freiheit und Wohlstand"

Die Reise beginnt im spanischen Tarifa, wo Europa und Afrika scheinbar nur einen Steinwurf auseinanderliegen. Gerade 35 Minuten braucht die Fähre von hier bis zur marokkanischen Hafenstadt Tanger. Für Touristen ist es ein Tagesausflug, das Visum wird ganz unkompliziert auf dem Schiff ausgestellt. Umgekehrt ist die Meerenge von Gibraltar für Menschen aus dem Süden ein kaum zu überwindendes Hindernis. Immer wieder versuchen einige, begleitet von geldgierigen Schleppern, auf meist seeuntüchtigen Booten, ins "gelobte" Europa zu gelangen. Jedes Jahr bezahlen Hunderte, manchmal Tausende diese Flucht mit dem Leben. Die spanische Guardia civil bewacht und kontrolliert den Schiffsverkehr in der Meerenge und muss immer wieder Bootsflüchtlingen, die in Seenot geraten, zu Hilfe kommen.

Marokko soll als Bollwerk gegen die Fluchtwilligen wirken und kassiert dafür Milliardensummen aus Europa. So kommt es, dass die Reise vieler Migranten in Tanger endet. Sie sind zum festen Bestandteil der lebhaften und mythengeschwängerten Küstenstadt geworden. Doch ist ihre Anwesenheit nicht erwünscht. Salvador aus Kamerun ist ständig auf der Flucht vor den Behörden. Er ist Künstler, hat es zu einiger Bekanntheit gebracht. "Nach Europa will ich nicht mehr. Ich fühle mich hier in Tanger nämlich nicht mehr fremd, irgendwie geben mir die Menschen das Gefühl, Teil ihrer Gesellschaft sein zu dürfen." Ab und zu leistet sich Salvador ein Mittagessen bei Diana. Auch sie kam als Flüchtende nach Tanger und führt im Windschatten der Behörden ein Restaurant für Migranten, serviert ihnen traditionelle Gerichte aus ihrer Heimat. Während der Kameruner Salvador die Exil-Wirtin Diana um Nachschlag bittet, resümiert er: "Ich fühle mich hier wie zu Hause in meinem Dorf. Das ist schön und traurig zugleich."

"Yallah Tanger" rufen die jungen Streetdancer dem ZDF-Team zu, während sie sich in der historischen Altstadt zu Hip-Hop-Rhythmen bewegen. Ihr Tanzen gefällt hier nicht jedem. Die Regierung fördert nur die eigene, marokkanische Kultur. Vom multikulturellen Erbe, dem Mythos und den goldenen Zeiten der Stadt will sie nichts wissen. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, lange vor Hippies und Backpackern, trafen sich hier Künstler und Freigeister aus Europa und Amerika auf der Suche nach orientalischem Flair, billigem Laster und Inspiration. Vom modernen Massentourismus war Marokko damals noch verschont, ebenso wie die anderen Mittelmeerländer. Dieser hat zwar einige reich gemacht und vielen sonnenhungrigen Europäern unbeschwerte und erschwingliche Urlaubstage beschert, für das Meer jedoch ist der sommerliche Massenansturm voller Unheil.

In der französischen Hafenstadt Marseille trifft Andreas Postel Aktivisten, die sich dem Kampf gegen Plastikmüll im Meer verschrieben haben. Frankreich ist einer der größten Plastikmüllproduzenten. Der Verein "Clean my Calanques" ruft entlang der Küste zu Müllsammelaktionen auf, denen Tausende Freiwillige folgen. Mütter mit ihren Kindern, Sportvereine und Senioren, sie alle wollen mit anpacken. Nicht nur der Massentourismus ist verantwortlich. Die Umweltschützer haben am Strand eine erschreckende Entdeckung gemacht: Winzige Plastikpartikel, die aus Industrieabwässern Frankreichs und Italiens über Flüsse ins Mittelmeer gelangen – und später in die Mägen von Fischen, Vögeln und Meeressäugern.

Naturzerstörung ist in Tunesien – so bitter das klingt – ein Luxusproblem. Was ist aus dem Vorzeigeland der arabischen Revolution geworden? Als Nicola Albrecht und ihr Team in Tunis den Rapper Isam Absy treffen, räumt dieser gleich mit möglicherweise falschen Vorstellungen auf: "Du willst wissen, was uns die Revolution gebracht hat? Mir hat sie ein paar Monate Gefängnis gebracht. Ansonsten ist es heute schlimmer als unter Ben Ali." Tunesien kämpft mit blanker Armut, die durch die akute Wirtschaftskrise noch verschärft wurde. Die zarte Pflanze Demokratie ist verwelkt, Polizeigewalt zum Problem geworden. Die Rapper schreien die Wut der jungen Generation in ihre Mikrofone. Dafür landen sie immer wieder im Gefängnis. "Das neue Regime hat Angst vor uns", meint Rapper Laya, "denn wir sprechen aus, was die Bevölkerung denkt." Auch Saida Garach ist nicht optimistisch. Die Menschenrechtsanwältin hat ihren Posten als Regierungssprecherin aufgegeben, denn Tunesien sei auf einen schiefen Weg geraten. Damit kann sie sich nicht mehr identifizieren.

Auch in Ägypten ist der Arabische Frühling nur noch eine ferne Erinnerung, die Militärregierung steuert das Land mit eiserner Faust. Dennoch gibt es Aktivisten, die zumindest im Kleinen etwas verändern wollen. Eine Gruppe versucht seit Jahren, in der Hafenstadt Alexandria die historische, europäisch geprägte Architektur der einstigen Handelsmetropole gegen die Abrissbirne der Regierung und Investoren zu schützen. Wenigstens gegen den Verfall der Stadt wollen sie den Aufstand proben. In Alexandria blühten in der Antike Wissenschaft und Kultur, es gab einen regen Austausch mit den Nachbarn der gegenüberliegenden Küsten. Mit dem Austausch ist es längst vorbei. Alexandria kämpft gegen den Verfall. Wegen der Klimaerwärmung steigt der Meeresspiegel. Riesige Wellenbrecher sollen die Stadt vor dem Untergang bewahren. Sameh Reyad, Chef der ägyptischen Umweltbehörde, möchte Europa in die Pflicht nehmen: Ägypten sei zu arm und habe selbst zu viele Probleme, Europa müsse mehr in Klimaprojekte investieren, um die Welt und auch Alexandria vor den Folgen des Klimawandels zu retten, fordert er.

 

Teil 2: Für eine bessere Zukunft

Im zweiten Teil setzen Nicola Albrecht und Andreas Postel ihre Reise im östlichen Mittelmeer fort. Das Kamerateam des ZDF begleitet die Meeresbiologin Anastasia Miliou von der griechischen Schutzorganisation Archipelagos bei einer Expedition zu Pottwalen und Delfinen. Miliou beobachtet seit Jahren eine Verschlechterung der Lebensbedingungen für die bedrohten Meeressäuger. Die Folgen des Klimawandels seien verheerend, sagt sie. Jedoch sei er nicht schuld an allem, es gebe weitere Ursachen für die Verschlechterung der Wasserqualität. Das Mittelmeer sei Aufnahmebecken für Müll und Abwässer aus ganz Südeuropa, es werde überfischt und ausgebeutet, ohne Rücksicht auf den drohenden Verlust der Artenvielfalt. Fest steht: Es bedarf gemeinsamer Anstrengungen aller Mittelmeeranrainerstaaten, um das "Mare Nostrum" als Lebens- und Erholungsraum für Mensch und Tier zu erhalten.

Der Kampf für bessere Lebensbedingungen und Menschenrechte bestimmt das Leben vieler junger Menschen im Norden Afrikas. Das Wissen, dass auf der anderen Seite des Meeres Meinungs- und Pressefreiheit herrschen, dass Frauen sich dort nicht hinter Kopftuch und Schleier verbergen und patriarchalen Strukturen unterwerfen müssen, ist dank sozialer Plattformen bis in die hintersten Winkel gedrungen. Die ägyptische Rallyefahrerin Yara Shalaby ist eine Art Influencerin: Als erfolgreiche Spitzensportlerin in einem traditionell von Männern beherrschten Sport ist sie für junge Ägypterinnen ein Vorbild. Reporterin Nicola Albrecht begleitet sie beim Training und lernt dabei die Tücken der Wüste ebenso kennen wie Yara Shalabys Sicht auf Frauenrechte und staatliche Repression in Ägypten.

Im Hafen von Piräus zeigt Andreas Postel, wie der Einfluss Chinas seit der Staatsschuldenkrise Griechenlands Schritt für Schritt gewachsen ist. In Piräus nennen sie den Hafen ehrfurchtsvoll den chinesischen Drachenkopf. Ein griechischer Reeder outet sich als überzeugter Befürworter der chinesischen Seidenstraße, ein Hafenarbeiter prangert die schlechten Arbeitsbedingungen an. Geschäftsleute beklagen, dass Chinesen nur bei ihren Landsleuten kaufen, vor Ort bliebe nichts hängen.

Auch im Libanon sitzt der Frust tief, gespeist durch politische Missstände und die Finanzkrise. Die Hauptstadt Beirut trug einst den Titel "Paris des Nahen Ostens", seine Uferpromenade glänzte mit luxuriösen Hotels und feinen Restaurants. Heute gibt es nur noch eine Stunde Strom am Tag, der Glanz alter Tage scheint endgültig vergangen. Grundnahrungsmittel sind knapp, die Landeswährung verfällt, die Korruption blüht. Doch es gibt Lichtblicke: Auf der Fahrt in die teilweise von der Hisbollah-Miliz kontrollierte Bekaa-Ebene stößt das ZDF-Team auf ein kleines Wunder: Die Tempelanlagen von Baalbek gehören zu den größten und am besten erhaltenen Beispielen für die römische Architektur der Kaiserzeit. Touristen verirren sich jedoch selten hierher, zu gefährlich ist der Aufenthalt, insbesondere bei Nacht. Es gibt in der Bekaa-Ebene noch mehr zu entdecken: Bis heute wird im ganzen Tal Wein angebaut. Elie Rashed macht hier eine Ausbildung zum Winzer. "Wein ist das Licht für den Libanon, und zwar in jeder Krise", strahlt er und kontrolliert den Reifungsprozess der jüngsten Weinlese, während Evahn und seine Freunde bei einer Probe im Gutskeller sitzen. "Wein soll unser Botschafter in Europa und der Welt sein. Das wünschen wir uns für unsere Heimat." Hoffnungsvolle Stimmen und Bilder aus einem vom Bürgerkrieg gebeutelten Land.

Am Ende des zweiten Teils treffen sich die Reporter am Bosporus. Dort findet jedes Jahr ein internationaler Marathon statt, zu dem sich Sportlerinnen und Sportler aus dem ganzen Mittelmeerraum versammeln. Die große Brücke über die weltberühmte Meerenge ist dann für den Autoverkehr gesperrt und wird zum Sinnbild für das, was der Mittelmeerraum für seine Bewohner sein kann: Ein Ort, um Gegensätze zu überwinden und sich gemeinsam für eine bessere Zukunft zu engagieren.

Fragen an die ZDF-Korrespondentin Nicola Albrecht

Die beiden Reportagen beschäftigen sich mit dem Mittelmeerraum. Warum sollte man auf diese Region schauen?

Die Mittelmeerregion dürfte bei jedem ganz verschiedene Assoziationen hervorrufen: traumhafte Küsten, die einen an Sonne, Meer und Urlaub denken lassen auf der einen Seite. Auf der anderen Seite aber vielleicht auch: ein überfischtes Meer, von Verschmutzung und Klimawandel malträtiert und seit einigen Jahren Fluchtroute für Tausende Menschen, die hoffen, in Europa ein Leben in Sicherheit führen zu können. Die Römer nannten das Mittelmeer "mare nostrum", unser Meer. Ich verstehe das heute weniger als einen Ausdruck für einen Besitzanspruch, sondern eher für einen gemeinsamen Verantwortungsraum. Und in diesem Kontext haben wir uns gefragt, was verbindet und was trennt die Länder und ihre Menschen, die rund um das Mittelmeer leben – kulturell, politisch und auch wirtschaftlich. Das Mittelmeer ist fluid, das liegt in der Natur seines Elements und dennoch grenzt es ab. Einige der größten Herausforderungen Europas liegen im Mittelmeerraum, dort entscheidet sich zum großen Teil seine Zukunft und deswegen schauen wir darauf.

Welche Länder haben Sie bereist und was hat Sie dabei beeindruckt?

Ich bin in Marokko, Tunesien, Ägypten, dem Libanon und der Türkei gewesen. In den meisten dieser Länder war ich nicht zum ersten Mal, sowohl privat als auch als Journalistin bin ich in der Region immer wieder gewesen. Beeindruckt bin ich jedes Mal von der Gastfreundschaft der Menschen – nicht der Behörden. Auch historische Orte, wie der Bacchustempel in Baalbek im Libanon sind überwältigend schön und zeigen, wie wir alle kulturhistorisch miteinander verbunden sind. Aber – dafür ist beeindruckend nicht das richtige Wort – es ist mir eben auch wieder klar geworden, dass einige Herausforderungen, die diese Länder haben, um ein Vielfaches höher sind als in Europa.

Wer waren Ihre Gesprächspartner und was war ausschlaggebend für deren Auswahl?

Wir haben uns entschieden, Menschen aus der Zivilgesellschaft zu treffen, Menschen, deren Schicksal oder Weg eine bestimmte Entwicklung in diesem Land repräsentiert. Da wäre zum Beispiel Salvador, den wir in Tanger, Marokko getroffen haben. Er kommt aus Kamerun und wollte nach Europa. Doch er hat es nicht über das Mittelmeer geschafft, die marokkanischen Behörden haben ihn brutal daran gehindert. Jetzt lebt er in Tanger, und obwohl er dort als "illegaler Einwanderer" gilt, fühlt er sich zu Hause und kämpft darum, bleiben zu dürfen. In Neukairo, Ägypten, haben wir einen Tag mit Yara Shalaby verbracht. In Ägypten ist der Arabische Frühling genauso gescheitert wie in den anderen Ländern. Die Militärdiktatur hat Land und Menschen im eisernen Griff, Pressefreiheit gibt es nicht, Menschenrechte werden mit Füßen getreten, auch Frauenrechte. Nicht gerade ideale Bedingungen für Frauen, ihren Weg selbst gewählt zu gehen. Yara Shalaby hat das dennoch gemacht und lebt ihren Traum: Sie hat ihr Apartment aufgegeben, lebt in einem Bus und fährt Rallyes in der Wüste.

Was waren für Sie die markantesten Erlebnisse und Begegnungen auf dieser Reportagereise?

Es gab nicht die markanteste Begegnung. Alle Begegnungen mit Menschen, die sich einem vertrauensvoll öffnen und ihre Geschichte erzählen, sind ein Geschenk, ein Privileg. Das wird einem besonders dann bewusst, wenn sie dabei ein Risiko eingehen, weil sie es wagen, direkt oder indirekt Kritik in einem repressiven Regime zu üben. In Tunesien beispielsweise hat uns ein junges Pärchen zu sich nach Hause eingeladen. Das klingt erst einmal nicht besonders. Aber die beiden sind unverheiratet, und wer in Tunesien unverheiratet zusammenlebt, macht sich strafbar. Oder in Ägypten hat ein bekannter Aktivist mit uns darüber gesprochen, wie die Regierung das kulturelle Erbe Alexandrias mit der Abrissbirne vernichtet, und zwar im Beisein eines siebenköpfigen, staatlichen Sicherheitsteams.

Was sind die Erkenntnisse, die Sie durch Ihre Reise gewonnen haben? Gibt es Dinge, die Sie vorher so nicht erwartet haben? Wenn ja, welche?

 Ein großer Teil der Herausforderungen im Mittelmeerraum unterscheidet sich nicht von Land zu Land. Alle sind beispielsweise vom Klimawandel und der Umweltverschmutzung gleichermaßen betroffen. Aber beim Umgang mit den Problemen zeigt sich, wie ungleich die Ressourcen verteilt sind: Wie Werte sich verschieben, wenn blanke Armut die Stabilität bedroht oder Extremisten und Diktatoren errungene Freiheiten zurücknehmen und statt auf Multilateralismus zu setzen, die Schuld für Misere immer woanders sehen.

Was ist nach Ihrer Reise für Sie persönlich die Antwort auf die Frage: Wem gehört das Mittelmeer?

 Auch die fluiden Grenzen des Mittelmeers sind wie alle Grenzen natürlich menschengemacht und so wird es im Kampf um Ressourcen, Interessen und geostrategisch neuralgische Punkte auch immer wieder zur Konfrontation im Mittelmeerraum kommen. Aber wie schon eingangs gesagt, "mare nostrum" bedeutet auch: gemeinsam Verantwortung übernehmen.

Die Fragen stellte Birgit-Nicole Krebs

ZDF-Korrespondent Andreas Postel über seine Drehreise

Mare Nostrum – unser Meer. Bei den ersten gemeinsamen Gesprächen in Vorbereitung unserer Dokumentation haben Nicola Albrecht und ich ziemlich schnell festgestellt, dass wir als Korrespondenten mit dem Mittelmeer eine Vielzahl ähnlicher Erfahrungen und Empfindungen teilen. Nicola als langjährige Nahostkorrespondentin und ich als aktueller Korrespondent in Rom. Zu meinem Berichtsgebiet gehört Italien, Griechenland, Malta. Das Mittelmeer ist allgegenwärtig. Ein großartiger Natur-, Kultur- und Wirtschaftsraum. Schmelztiegel zwischen Orient und Okzident. Was rund um das Mittelmeer geschieht, geht uns alle an. Hier entscheidet sich auch unsere Zukunft.

Darauf wollen Nicola Albrecht und ich mit unserem Doku-Zweiteiler aufmerksam machen und haben für unsere Drehreise eine Vielzahl an Orten und Themen verknüpft, die unserer Meinung nach dafür stehen. Als wir am südlichsten Punkt Europas, in Tarifa, starten, erlaubt uns der Wettergott einen wolkenlosen klaren Blick ans sehr nahe afrikanische Ufer, und während Nicola mit der Fähre übersetzt, um ihre Reise in Tanger zu beginnen, habe ich eine Verabredung mit der Guardia Civil für einen Patrouillenflug über die legendäre Straße von Gibraltar, die für das Funktionieren internationaler Warenströme von enormer Bedeutung ist. Es geht um Piraterie, Schmuggel und illegale Migration. Es geht um gemeinsame Werte und die Frage, wie wir sie bewahren wollen und können.

Die Kameraleute Michele Parente und Zeljko Pehar haben entlang der Küste beeindruckende Bilder eingefangen. Große Themen wie Demokratie, Klimawandel, Religion und Wirtschaft, sehr viele Bereiche haben wir beleuchtet und sind dabei immer wieder auch auf Widerstände gestoßen. Im Hafen von Piräus wollte kaum jemand mit uns über das Engagement Chinas reden, bis sich ein griechischer Reeder kurz vor Drehbeginn doch bereit erklärt und mich am Ende sogar auf seine Privatjacht einlädt, während uns der chinesische Staatskonzern inakzeptable Bedingungen für eine Drehgenehmigung auf dem Hafengelände auferlegen will. Vom chinesischen Drachenkopf sprechen die Menschen im Hafenviertel von Piräus seit geraumer Zeit.

Besonders beeindruckt haben mich die vielen engagierten jungen Menschen, denen wir während unserer Reise begegnet sind. Da war die Begegnung mit einer jungen Matrosin auf der Amerigo Vespucci, diesem stolzen Segelschulschiff der italienischen Marine, ein junger Anwalt für Menschenrechte im neuen EU-Camp auf Samos, eine junge Aktivistin in Marseille, die sich gegen die Verschmutzung des Mittelmeeres einsetzt, und die Studentin auf der kleinen italienischen Insel Ventotene, die sich um Europas Zukunft sorgt. Auf Lampedusa begegnen wir dem großen Thema der Flucht und dem Tod auf dem Mittelmeer, das Papst Franziskus als Massengrab Europas bezeichnet.

Vielleicht am eindringlichsten war für mich im Nachhinein die Begegnung mit dem Sohn der ermordeten Journalistin Daphne Caruana Galizia. Zum Gedenken an ihren fünften Todestag war ich mit meinem Team nach Malta geflogen, um über die Bedeutung der bedrohten Pressefreiheit im Mittelmeerraum zu berichten. Matthew Galizia hatte mich im Haus seiner Mutter herzlich empfangen, und wir haben gemeinsam einen traurigen und nachdenklichen Tag erlebt. "You can kill a journalist, but you will never kill the story" – diese Headline stand über diesem Tag. Ein Fazit, das auch mir als Mitglied von Reporter ohne Grenzen aus der Seele spricht.

Matthew sagte mir zum Abschied mit Blick auf die desolate Lage des Journalismus auf Malta, dass er sehr froh wäre, wenn es auf Malta einen unabhängigen, öffentlich-rechtlichen Rundfunk gäbe, so wie bei uns in Deutschland. Insgesamt hoffen wir, dass wir mit unserer Doku rund ums Mittelmeer in vielfacher Hinsicht Perspektiven und Blickwinkel bieten können, die diesen Zweiteiler nicht nur zu einem bildstark komponierten Erlebnis machen werden.

Biografie von Andreas Postel

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