Tatort Syrien

Dreiteilige Dokuserie

Syrien Anfang Dezember 2024: Jubel in Damaskus. Assad ist gestürzt – die jahrzehntelange Diktatur seines Clans ist vorbei. Doch hinter dem politischen Beben liegt ein Land in Trümmern, traumatisiert, zerrissen – und auf der Suche nach sich selbst.
Wie waren die ersten Monate ohne Assad? Wie haben Menschen vor Ort das neue Syrien erlebt? Persönliche Schicksale erzählen in der Serie von der Befreiung, dem Trauma der Vergangenheit sowie über Hoffnungen und Befürchtungen für die Zukunft. Ergänzend kommen Experten zu Wort, die die Geschehnisse analysieren und einordnen.

  • ZDF-Streaming, Ab Freitag, 16. Mai 2025, 10.00 Uhr im ZDF streamen, fünf Jahre lang
  • ZDF, Mittwoch, 21. Mai 2025, ab 0.45 Uhr
  • ZDF info, Freitag, 13. Juni 2025, ab 9.15 Uhr

Texte

Über das Projekt "Tatort Syrien"

Die Assad-Diktatur in Syrien ist seit Anfang Dezember 2024 Geschichte – nach mehr als einem halben Jahrhundert brutaler Unterdrückung und einem verheerenden Bürgerkrieg. All das hat tiefe Narben in der Bevölkerung hinterlassen und ein millionenfaches Trauma erzeugt – durch Tod, Folter oder Flucht.

Die Autoren Mathias Marx und Karl Alexander Weck waren seit dem Sturz Assads drei Mal in Syrien. Sie treffen Menschen im Freudentaumel ihrer neu gewonnen Freiheit und begleiten sie gleichzeitig beim täglichen Überlebenskampf.

In der dreiteiligen Dokuserie "Tatort Syrien" spiegeln persönliche Schicksale mehr als ein halbes Jahrhundert Diktatur des Assad-Clans, das Chaos der Gegenwart und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Syrien. Aber auch Ängste und Befürchtungen: In dem immer noch weitgehend zerstörten Bürgerkriegsland ist die Verunsicherung allgegenwärtig: Welchen Weg werden die neuen islamistischen Machthaber einschlagen?

Ergänzt werden die persönlichen Schicksale durch Expertinnen und Experten, die die Geschehnisse und aktuelle Situation analysieren und einordnen.

Stab, Drehorte und Drehzeitraum Syrien

Stab (Auswahl)
Buch und Regie: Mathias Marx und Karl Alexander Weck
Co-Regie: Duki Dror, Dana Wolfe, Anna-Maria Velhorn
Schnitt: Jens Greuner, Leon Schwarz
Recherche: Anna-Maria Velhorn
Kamera: André Götzmann, Raman Al-Issa, Mohammad Ghannam
Ton: Mohamed Alzamel, Naim Sultah
Producerinnen: Eva Fouquet, Lena Marie Reimers
Stringer: Ahmad Whebi (Libanon / Syrien), Mohamed Alzamel (Syrien), Bênav Mustafa (Rojava)
Factchecking Daniel Gerlach
Produzent: Reinhardt Beetz
Redaktion ZDF: Martin Jabs, Martina Schindelka
Leitung der Sendung: Caroline Reiher

Drehorte
Syrien: Damaskus, Idlib, Kobanê, Qardaha, Artuus, Qatana, Homs, Aleppo
Israel: Tel Aviv
USA: Boston, Washington DC, Charlotte (North Carolina)
Großbritannien: Durham, London
Türkei: Ankara
Deutschland: Berlin, Hamburg

Drehzeitraum Syrien
Drehreise 19.-28. Dezember 2024
Drehreise 06.-21. Februar 2024
Drehreise 21.-28. März 2025

Titel und Kurzinhalte der Folgen

"Tatort Syrien: Befreiung" (1/3)
Jubel überall in Damaskus. Die syrische Hauptstadt im Freudentaumel. Baschar al-Assad ist gestürzt – die jahrzehntelange Diktatur seines Clans ist vorbei. Doch hinter dem politischen Beben liegt ein Land in Trümmern, traumatisiert, zerrissen – und auf der Suche nach sich selbst.
Die erste Folge erzählt diesen historischen Wendepunkt, erzählt von den Menschen, die ihn erleben: Kämpfer, Rückkehrer, Überlebende und Mütter. Ihre Geschichten machen spürbar, was Befreiung wirklich bedeutet.

"Tatort Syrien: Trauma" (2/3)
Der Assad-Clan – wie konnte eine einzige Familie ein ganzes Land über Jahrzehnte mit Angst, Folter und absoluter Kontrolle beherrschen? Die zweite Folge blickt in den innersten Kern der Diktatur – dorthin, wo Überwachung, Gewalt und Schweigen den Alltag prägten.
Das Assad-Regime baute ein System aus über einem Dutzend Geheimdiensten, das jeden Gedanken an Freiheit im Keim erstickte. Millionen Syrer und Syrerinnen wurden zu Objekten einer allgegenwärtigen Kontrolle. Wer sich auflehnte, verschwand.
Diese Folge zeigt: Der Sturz eines Diktators bedeutet Ende und Anfang zugleich. Inmitten von Ruinen des Bürgerkrieges und schmerzhaften Erinnerungen an eine totalitäre Herrschaft keimt die Frage: Was braucht ein Land, um sich selbst zu heilen?

"Tatort Syrien: Zukunft" (3/3)
Die Assad-Diktatur ist zwar Geschichte, aber wird jetzt alles besser? Was braucht das Land zuerst und am nötigsten? Die Folge begleitet die ersten Schritte in eine neue Zeit für Syrien. Wohin steuert das Land unter den islamistischen Machthabern mit der Übergangsregierung unter Ahmad al-Scharaa? Die Herausforderungen sind gewaltig. Das marode, geschundene Land will wirtschaftlich wieder stabil werden und die Bevölkerung das Gefühl bekommen, dass es auf allen gesellschaftlichen Ebenen besser wird. Auch Minderheiten und Milizen wollen ihre Interessen gewahrt wissen. Gleichzeitig suchen ehemals bevorteilte Regimetreue einen neuen Platz in der Gesellschaft und fürchten möglich Racheakte.
Das Misstrauen gegenüber den neuen islamistischen Machthabern ist insgesamt groß. Wie werden sie mit den herausfordernden Aufgaben umgehen?

Protagonisten der Folgen

"Tatort Syrien: Befreiung" (1/3):

Mustafa al-Allusch gehört zu denen, die das Assad-Regime niederringen. Schon als Jugendlicher schließt sich der Mann aus Idlib den Rebellen an, wird mehrfach schwer verwundet und kämpft  bis zum Schluss: "Von meiner Generation ist niemand mehr übrig. Am Tag der Befreiung dachte ich zuerst an all jene, die nicht mehr da sind."

Eylaf Bader Eddin, Exilprofessor, kann nach zwölf Jahren zum ersten Mal wieder Syrien besuchen: "Dies ist Heimat. Ich hätte nie gedacht, dass ich je zurückkehren kann. Und jetzt bin ich hier. Es sind zwar nur die ersten Kilometer, aber ich spüre es schon. Alles fühlt sich so anders an."

Mahmud Hussein Mustafa, Ex-Häftling im Saidnaya-Gefängnis, ist körperlich schwer gezeichnet von seiner Zeit im berüchtigtsten Foltergefängnis im Syrien der Assad-Diktatur. Als sich nach dem Sturz des Regimes seine Zellentür öffnet, denkt er nicht an Freiheit, sondern sieht sein Ende gekommen. Stattdessen sagt jemand: "Wir sind die Kämpfer aus Qalamun. Kommt raus, ihr seid in Sicherheit."

Auch Ayman al-Taqsh sitzt viereinhalb Jahre in Saidnaya. Was ihn am Leben hält, sind Koranverse an den Zellenwänden – trotz aller Hoffnungslosigkeit: "Im Gefängnis machte man uns klar: Alles ist verboten, nur der Tod ist erlaubt."

Rauda Hassan, Mutter eines Verschwundenen, sucht seit über einem Jahrzehnt nach ihrem Sohn. Mit Filzstift schreibt sie meterweise ihre Gedanken auf Kacheln in ihrer Küche: "Lebst du oder bist du tot? (…) Wie haben sie dich getötet, wann und wo?"

 

"Tatort Syrien: Trauma" (2/3)

Safwan Bahlul, ehemals Vier-Sterne-General und Chef des syrischen Zivilschutzes, war Teil dieses Systems, bis zu seinem Sturz. Heute spricht er über Schuld, Systemtreue und Verblendung: "Ich sage das ganz offen: Bis zur letzten Minute war ich meiner Regierung, meinem Staat und Staatsoberhaupt treu ergeben (…) Aber ich habe gemerkt, dass ich jemandem ergeben war, der niemals Präsident hätte werden sollen."

Ali Samman, Antiquitätenhändler aus Damaskus, mehrfach von der Geheimdienstmaschinerie unter Assad inhaftiert: "Wir normalen Syrer waren Terroristen in den Augen der Familie Assad (…) Wir betraten diesen Ort mit Säcken über dem Kopf und mit gefesselten Händen."

Rauda Hassan sucht weiter nach ihrem Sohn. Zum ersten Mal spricht sie in Damaskus mit einem Menschenrechtsanwalt: "Trotz der schrecklichen Vergangenheit hatte ich bei der Begegnung mit dieser Organisation das Gefühl, es gibt Hoffnung, und das Leben geht weiter."

Aryan Afrin, Ärztin und kurdische YPJ-Kämpferin, verteidigt an der türkischen Grenze die Autonomie Rojavas: "Unser persönliches Leben ist das Leben unseres Volkes, unserer Gesellschaft. Wir opfern uns und alles, was wir haben, damit die Gesellschaft in Frieden leben kann. Ihr Frieden ist mein Frieden, ihre Freiheit ist meine Freiheit. Das kann ich sagen."
Und dann ist da noch das Problem der tausenden IS-Kämpfer, die noch immer von kurdischen Kämpfern in Schach gehalten werden: "Was uns wirklich schmerzt, ist das Schweigen der internationalen Gemeinschaft gegenüber dem, was hier geschieht. Von Staaten erwarten wir nichts, aber von den Völkern schon."

Nicht nur Kurden, sondern auch andere Minderheiten wie die Christen bewegen sich auf unsicherem Terrain. "Dieses Jahr haben viele unserer Verwandten Syrien vorläufig verlassen aus Angst vor Unsicherheit." Samir Kazma und seine Familie bleiben – trotz allem.

 

"Tatort Syrien: Zukunft" (3/3)

Aryan Afrin, bildet in Rojava, dem autonomen Gebiet der Kurden, nicht nur junge Rekrutinnen aus, sondern versorgt als Ärztin auch noch die Frontopfer im Kampf gegen die Türkei und ihre Milizen in Syrien. Und auch von den neuen Machthabern in Damaskus erwartet sie nichts Gutes. "Wir stellen fest, dass vor allem die Rechte der Frauen nicht anerkannt werden. (…) Das bereitet uns große Sorgen. Unser Kampf wird weitergehen."

Ex-Vier-Sterne-General Safwan Bahlul, hofft auf Nachsicht: "Meine Wünsche für das neue Syrien sind sehr einfach und sehr fair: (…) Wer Gräueltaten und gewaltsame Übergriffe begangen hat, sollte vor Gericht gestellt werden. Aber unterhalb dieser Schwelle sollten wir es einfach vergessen, weil wir alle involviert waren".
Er blickt vorsichtig optimistisch in die Zukunft: "Man hat mich nie bedroht oder schlecht behandelt. Die Rebellen-Vertreter der Hayat haben sich mir gegenüber respektvoll verhalten." Doch die jüngsten Massaker in seiner Heimat am Mittelmeer haben auch für ihn Konsequenzen: Er muss jetzt noch vorsichtiger sein, um nicht zwischen die Fronten von Assad-Fanatikern und den neuen Machthabern zu geraten.

Ali Samman widmet sich wieder dem An- und Verkauf von Antiquitäten. Wie Millionen Landsleute hofft auch er, dass die Sanktionen gegen sein Land schon bald komplett aufgehoben werden und er sein Geschäft auch im Ausland führen kann: "Die Wirtschaftslage ist zwar schlecht, die Menschen haben kein Geld. Doch es wird aufwärts gehen, da bin ich mir sicher."

Abu Fayruz floh ins Nachbarland Libanon, als Assads Regierungstruppen im Krieg seinen Heimatort bei Homs dem Erdboden gleichmachen. Nach elf Jahren kehrt er zurück und hilft jetzt maßgeblich beim Wiederaufbau mit Unterstützung der Grünhelme, einer NGO: "Die Menschen wohnen in Zelten neben den Trümmern ihrer Häuser. Aber das ist besser, als noch länger vertrieben zu sein. Dies ist schließlich ihre Heimat."

Zitate von Experten

Über die Grausamkeit des Assad-Regimes

Ibrahim Hamidi, syrischer Journalist im Londoner Exil:
"Die Realität war viel schlimmer. Man konnte sich gar nicht vorstellen wie teuflisch das Regime war – wie weit sie gehen würden und wie sie ihre eigene Bevölkerung behandeln würden."

Andreas Krieg, Sicherheitsanalyst, School of Security Studies des King's College London:
"Indem man in die Gesellschaften eindrang und einen Geheimdienst hatte, der die gesamte Gesellschaft unterwanderte, erzeugte man eine Art ständige Angst, bei der man sich ständig über die Schulter schauen musste – um sicherzugehen, dass niemand kommt, um einen zu holen."

Kristin Helberg, Journalistin und Nahostexpertin:
"Die Leute wollten lieber sterben, durch Bombenangriffe oder Giftgas, als verhaftet zu werden.”

 

Über den plötzlichen Zusammenbruch des Assad-Regimes

Robert Ford, ehemaliger US-Botschafter in Syrien (2011-2014):
"Ich glaube nicht, dass irgendjemand diesen rasanten Zusammenbruch vorhergesehen hat."

John Bolton, Ex-Sicherheitsberater von US-Präsident Donald Trump (2018-2019):
"Ich denke, fast alle waren überrascht davon, wie plötzlich das Regime gefallen ist."

Daniel Gerlach, Nahostexperte:
"Dieses Regime hätte problemlos weiter überleben können und hätte es auch geschafft, diese oppositionellen Milizen zu bekämpfen, wenn es nicht innerlich so marode gewesen wäre (...), dass diejenigen, die für das Regime den Kopf hingehalten haben, einfach gesagt haben, wir tun das nicht mehr."

Ein Faktor war die neue Ausrichtung der Rebellenorganisation HTS:
Kristin Helberg, Nahost-Expertin,
"HTS war kein zusammengewürfelter Haufen mehr. Sie waren straff organisiert – und bereit, Verantwortung zu übernehmen."

 

Herausforderungen für das neue Syrien:

Kristin Helberg, Nahostexpertin:
"Der Graben, der zwischen arabischen und kurdischen Syrern verläuft, ist der tiefste zum jetzigen Zeitpunkt. Der Hass und das Misstrauen sind extrem ausgeprägt und das liegt vor allem an jahrzehntelanger Propaganda auf beiden Seiten."

Kristin Helberg, Nahostexpertin:
"An der Rolle der Frauen ist tatsächlich abzulesen, wie inklusiv diese neue Regierung sein wird."

Andreas Krieg, Sicherheitsexperte:
"Solche Übergänge verlaufen nicht einfach vom völligen Bürgerkrieg hin zu Stabilität. Sie verlaufen von einem intensiven, heftigen Bürgerkrieg zu einem Bürgerkrieg mit niedriger Intensität. (…) Wir können nur hoffen, dass dieses allmähliche Herunterschrauben der Feindseligkeiten zu einer Art Stabilität führt."

 

Einschätzung der Lage in Syrien (Mitte April 2025):

Daniel Gerlach, Nahostexperte:
"Diejenigen, die gerade Syrien aufrechterhalten, das ist nicht der Staat, sondern das ist die Gesellschaft. Das sind Menschen, die aus Angst, aus Vernunft, aus Vorsicht sich entschieden haben, ganz behutsam miteinander umzugehen (...), weil man weiß, dass jeder Funke zu einem großen Brand führen kann (…)."

Annalena Baerbock, deutsche Außenministerin (2021-2025):
"Mein Eindruck der ersten drei, vier Monate ist, dass man zwar auf Messers Schneide ist, aber dass viele der Versprechungen, die zu Beginn gegeben worden sind, zumindest in Ansätzen oder in manchen Bereichen auch in größeren Ansätzen, umgesetzt wurden. Zum Beispiel, dass die Übergangsregierung jetzt unterschiedliche ethnische Gruppen beinhaltet."

Fragen an die Filmautoren Mathias Marx und Karl Alexander Weck

Mathias Marx war bereits in den 1990er Jahren in Syrien als noch Hafiz al-Assad herrschte. Der Polizeistaat war damals an jeder Ecke sichtbar.

Karl Alexander Weck plante 2011 ein Reportageprojekt über die Geschichtenerzähler in der Altstadt von Damaskus. Daraus wurde allerdings nichts –dazwischen kam der Arabische Frühling und dann der Krieg.

 

Wann haben Sie die Idee für das Filmprojekt "Tatort Syrien" entwickelt?

Karl Alexander Weck: Der völlig überraschende Sturz des Assad-Regimes Anfang Dezember und die schockierenden Bilder des Saydnaya Gefängnisses waren für uns der Schlüsselmoment. Uns war klar, dass dies ein historischer Moment ist, der mit der Kamera festgehalten werden muss. Über private Beziehungen zu Syrerinnen und Syrern im Exil konnten wir die ersten Kontakte zu den Protagonist*innen vor Ort bekommen.

Wie kompliziert war die Recherche?

Karl Alexander Weck: Unsere Recherche war höchstkompliziert. Syrien befindet sich seit mehr als 10 Jahren im Krieg, der tiefe Spuren bei den Menschen hinterlassen hat. Und wir dürfen nicht vergessen, dass das Land seit 54 Jahren diktatorisch geführt wurde, seine Bürger*innen brutal unterdrückt wurden. Die Menschen haben Unvorstellbares erlebt und sind in großen Teilen traumatisiert. Zudem konnten wir den Weg der neuen Regierung gerade zu Drehbeginn im Dezember schwer einschätzen: Wie gemäßigt wird HTS auftreten? Wie werden sie mit Minderheiten umgehen? Wie mit der alawitischen Bevölkerung? Würde es Racheakte geben? Diese Ungewissheit plagte auch unsere Protagonist*innen. Wie offen würden sie vor der Kamera sprechen können?

Was waren die Herausforderungen bei den Dreharbeiten in Syrien?

Mathias Marx: Im Dezember, direkt nach dem Umsturz, herrschte Chaos und dadurch konnten wir relativ unkompliziert einreisen. Es herrschte große Freude über Besuch aus dem Ausland und über die Rückkehrer*innen. Absolute Aufbruchstimmung! Trotzdem mussten wir die Sicherheitsrisiken abwägen. In dieser Übergangsphase gab es keine Verwaltung, keine Bürokratie – alles geschah sehr ungeplant und spontan. Dies änderte sich allerdings innerhalb kurzer Zeit. Als wir im Februar und März noch einmal zurückreisten, sahen wir uns mit ganz anderen Herausforderungen konfrontiert. Die Interimsregierung hatte begonnen, die Verwaltung aufzubauen. Die Einreise war deutlich schwieriger, wir harrten mehrerer Tage an der Grenze aus, um einreisen zu können, alles dauerte viel länger und wir brauchten Drehgenehmigungen vom Ministerium. Als ausländische Beobachter wirkte vieles auf uns willkürlich. Die Behörden arbeiten sehr langsam. Und von einer umfassenden Digitalisierung ist das Land meilenweit entfernt – teilweise hatten wir in Damaskus kaum
Internetverbindung.

Karl Alexander Weck: Auch der Kontakt mit unseren Protagonist*innen war herausfordernd. Im Vergleich zum Dezember herrschte viel weniger Optimismus und Zuversicht. Die Menschen sind sehr mit dem eigenen Überleben beschäftigt, haben Angst vor Repressionen. Sie blicken in eine sehr ungewisse Zukunft.

Wie konnten Sie die genannten Probleme bewältigen und wie waren die Menschen, die Ihnen in Syrien begegnet sind?

Mathias Marx: Mit viel Geduld und warten, warten, warten … Und dabei immer freundlich und einfühlsam bleiben. Denn die Syrerinnen und Syrer sind trotz des durchlebten Albtraums und der ungewissen Zukunft ihrerseits sehr zuvorkommend.
Erstaunlicherweise sind uns die Menschen überwiegend offen und sehr freundlich begegnet. Trotz teilweiser großer Verzweiflung. Wir haben eine große Gastfreundschaft erlebt. Egal wo wir unterwegs waren, die Menschen haben sich gefreut, uns ihr Land zu zeigen und viele haben uns ihre Türen geöffnet.

Welchen Eindruck hat Syrien nach Ihren Dreharbeiten und Gesprächen bei Ihnen hinterlassen?

Karl Alexander Weck: Syrien ist ein geschundenes Land, das seine Spuren bei den Menschen hinterlassen hat. Nach allem haben sie eine bessere Zukunft verdient. Syrien hat Potenzial, aber steht vor enormen Herausforderungen. Das Wichtigste ist aber erst mal eine stabile, kompetente und gerechte Regierung zu bilden. Eines ist uns bei unseren Beobachtungen klar geworden: Ohne Inklusion der Minderheiten und der Aufarbeitung von 54 Jahren Diktatur wird Syrien nicht zur Ruhe kommen.

Gibt es etwas, was Sie positiv oder negativ überrascht hat?

Mathias Marx: Die Freundlichkeit der Menschen und die Bereitschaft vieler, wieder bei null anzufangen, ist beeindruckend. Befreit vom Joch der Diktatur, wollen sich die Menschen mit eigenen Händen eine Zukunft schaffen.

Karl Alexander Weck: Die jüngsten Massaker in Latakia haben natürlich auch uns schockiert – wir waren ja erst kurz zuvor noch dort vor Ort. Aber sie zeigen eben, wie schwer ein friedlicher Übergang in Syrien ist. Zum Glück hat sich die Lage nach ein paar Tagen beruhigt. Viele der Menschen, die wir getroffen haben, sind natürlich trotzdem alarmiert. Aber sie sind bei ihrer Haltung geblieben: Für solche Exzesse ist im neuen Syrien kein Platz mehr!

Die Fragen stellte Birgit-Nicole Krebs

Weiterer Programmhinweis zum Thema

Ab Mittwoch, 23. April 2025, 10.00 Uhr, 10 Jahre lang
Sonntag, 27. April 2025, 19.30 Uhr
Die letzten Geheimnisse des Orients: Rückkehr nach Syrien
Terra X-Dokumentation

Nach dem Sturz des Assad-Regimes reist der Orient-Experte Daniel Gerlach nach Syrien, um herauszufinden, wie es um die Menschen des Vielvölkerstaates und die Kulturdenkmäler des Landes steht. 13 Jahre Bürgerkrieg und mehr als 50 Jahre Diktatur haben in Syrien Spuren hinterlassen. Nicht nur die Bevölkerung, auch die zum Teil jahrtausendealten archäologischen Stätten haben gelitten. Die Syrer hoffen auf eine bessere Zukunft, aber sie sind skeptisch.
Syrien ist ein Land so alt wie die Zeit. Akkader, Assyrer, Hethiter und später auch Griechen, Römer, Kreuzfahrer und Osmanen kamen und gingen. Sie alle hinterließen Spuren und machten Syrien damit zu einer einzigartigen Schatzkammer der Menschheit.
Direkt nach dem Sturz des Assad-Regimes eröffnet sich für den Orient-Experten Daniel Gerlach erstmals seit 2011 die Möglichkeit, dieses faszinierende Land mit seiner reichen Geschichte und unzähligen archäologischen Stätten neu zu entdecken und dabei eine Bestandsaufnahme der durch den Bürgerkrieg verursachten Zerstörungen zu machen.
Seine Reise führt ihn zu verschiedenen UNESCO-Weltkulturerbe-Stätten: von Bosra im Süden des Landes bis nach Aleppo und Palmyra. In der Wüstenstadt haben Fundamentalisten des Islamischen Staates im Jahr 2015 einen Teil der Kulturgüter zerstört und bewusst Menschen umgebracht, die sich für deren Schutz einsetzten. Die Fanatiker wollten damals nicht nur die Vergangenheit auslöschen, sondern auch die Zukunft der dortigen Menschen, denn das kulturelle Erbe des Landes ist untrennbar mit seinen Bewohnern verbunden.
 

Weitere Informationen

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