Weil du mir gehörst! Wenn Männer ihre Frauen töten
Mit Jochen Breyer
In Deutschland werden jährlich mehr als hundert Frauen von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Exemplarische Geschichten verdeutlichen die Muster und zeigen, was viele der Taten gemeinsam haben. Es sind nicht plötzliche Affekthandlungen. Jochen Breyer führt durch die Dokumentation, die anhand von Gerichtsakten, Polizeimeldungen und Gesprächen mit Angehörigen zeigt, wie sich die Taten oft über Jahre ankündigen.
Fotos
Texte
Autoren: Jochen Breyer, Julia Friedrichs, Linda Huber, Steffi Unsleber
Regie: Christoph Eder
Kamera: Mateusz Smolka, Nicolai Mehring, Sebastian Klatt
Schnitt: Dirk Hergenhahn, Annie Wieser
Produktion: Till Gerstenberger, tell me why Filmproduktion
Redaktion: Christian Wilk, Lisa Wolff
Leitung: Caroline Reiher
Sendelänge: 45 Minuten
In Deutschland werden jährlich mehr als hundert Frauen von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Für die Dokumentation "Weil du mir gehörst! Wenn Männer ihre Frauen töten" wurden in einer aufwendigen Recherche alle bekannten Fälle aus dem Jahr 2024 zusammengetragen und untersucht: 104 Frauen haben ihr Leben verloren, weil Männer Kontrolle, Besitzanspruch und Gewalt über sie stellten.
Jochen Breyer führt durch den Film, der anhand von Gerichtsakten, Polizeimeldungen und Gesprächen mit Angehörigen zeigt, wie sich die Taten oft über Jahre ankündigen. Wiederkehrende Muster sind zu erkennen: Frauen, die Schutz suchen und ihn nicht finden, Behörden, die Fehler machen – mit tödlichen Folgen.
Im Zentrum stehen die Geschichten der Opfer, erzählt von den Menschen, die zurückgeblieben sind. Ein leerer Stuhl im Studio macht sichtbar, was die Statistik nicht erfassen kann: Jede getötete Frau hinterlässt eine Lücke, die sich nicht schließen lässt.
Drei exemplarische Geschichten verdeutlichen die Muster und zeigen, was viele der Taten gemeinsam haben: In einem Fall lebte eine Frau über Jahre in einer Beziehung, die von Kontrolle und Isolation geprägt war. Als sie die Trennung wagte, eskalierte die Gewalt – trotz beantragter Schutzmaßnahmen konnte die Tat nicht verhindert werden.
In einem anderen Fall stand körperliche Gewalt zunächst nicht im Vordergrund, doch Kontrolle und Zwang bestimmten den Alltag. Erst als die Frau begann, sich zu distanzieren, reagierte ihr Partner mit tödlicher Gewalt.
Allein diese Fälle zeigen: Nicht plötzliche Affekthandlungen, sondern andauernde Muster von Kontrolle, Überwachung und Besitzanspruch gehen den Taten voraus.
Wie sind Sie für Ihre Recherchen vorgegangen?
Julia Friedrichs: Wir haben eine Liste der Fälle angelegt, in denen eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner im Jahr 2024 getötet worden ist. Dann sind wir diesen Fällen nachgegangen. Einige haben wir gestrichen, weil sich im Laufe der Ermittlungen ergeben hat, dass der Partner als Tatverdächtiger nicht haltbar ist. Wir haben Polizeimeldungen geprüft, Urteile angefordert, mit Staatsanwaltschaften telefoniert. Schließlich haben wir die Angehörigen angesprochen, oft über den Umweg der Nebenklagevertreter. Und dann sind wir tief in die jeweiligen Geschichten eingestiegen.
Sie haben für 2024 für Deutschland 104 Fälle ermittelt, bei denen Frauen durch ihre Partner oder Expartner getötet wurden. Wie ist diese Zahl im Vergleich zu den Vorjahren zu bewerten? Wird auch erfasst, wie viele Tötungsversuche es 2024 gab?
Linda Huber: Das ist schwer zu sagen, weil es keine vergleichbare Zahl für die Vorjahre gibt. Die 104 Frauen beruhen auf unserer eigenen Zählung. Die versuchten Tötungsdelikte haben wir nicht erfasst. Allerdings gibt es die Polizeiliche Kriminalstatistik, die die Ermittlungen der Polizei widerspiegelt. Das heißt, ein Fall aus dem Jahr 2023, dessen Ermittlungen im Jahr 2024 abgeschlossen und der an die Staatsanwaltschaft abgegeben wurde, wird in der PKS 2024 erfasst. Für das Jahr 2024 meldet die Polizeiliche Kriminalstatistik 126 vollendete und 174 versuchte Tötungen von Frauen durch den Partner oder Ex-Partner. Es ist allerdings eine Tatverdächtigenstatistik, ein Urteil wurde zum Zeitpunkt der Erhebung noch nicht gesprochen.
Welche konkreten Fälle erzählen Sie im Film, und nach welchen Kriterien haben Sie die Fälle ausgewählt?
Jochen Breyer: Wir erzählen im Film drei Fälle groß. Für uns war wichtig, dass diese für mehr als sich selbst stehen, also eine gewisse Repräsentativität innehaben und auch typische Probleme aufzeigen. Daher haben wir den Fall einer Mutter gewählt, die mehrere Jahre nach der Trennung von ihrem Ex-Mann trotz gerichtlich verfügtem Annäherungsverbot mit einer legalen Waffe erschossen wurde. Man hätte diese Tat verhindern können, wenn alle Behörden etwas besser miteinander kommuniziert und etwas genauer hingeschaut hätten.
Wir haben mehrere Fälle recherchiert, in denen es eine ähnliche Konstellation gegeben hat: Der Mann war wegen Gewalt und Drohungen polizeibekannt und durfte dennoch eine legale Waffe führen, mit der er die Frau dann schließlich getötet hat. Die vier Kinder schildern im Film, wie sie die Jahre vor der Tat erlebt haben und wie hilflos sie waren. Sie haben sich von den Behörden alleine gelassen gefühlt.
Dann schildern wir einen ebenso typischen Fall: Eine junge Mutter wird von ihrem Partner getötet, als sie sich trennen will. Es gab vor der Tat keine körperliche Gewalt. Jedoch Kontrolle, Besitzansprüche und sexuelle Übergriffe.
Schließlich spricht eine Frau, deren Mann versucht hat, sie zu töten und die weiterhin in Angst lebt. Der Mann wurde zwar wegen versuchten Mordes verurteilt und ist im Gefängnis, aber bei guter Führung ist er in wenigen Jahren wieder auf freiem Fuß. Diese milden Strafen sind leider ebenfalls üblich, daher fanden wir den Fall gut geeignet.
Im Film kommen Angehörige der Opfer und ihnen nahestehende Personen zu Wort: Wie haben Sie versucht zu vermeiden, dass es zu einer Retraumatisierung dieser Menschen kommt?
Steffi Unsleber: Wir haben Schulungen zu traumasensiblem Journalismus besucht und wurden während der Recherche durch die Traumatherapeutin Friederike Engst begleitet. Man sollte als Journalist keine Angst vor traumatisierten Menschen haben. Man kann diese Gespräche führen, wenn man einige Grundsätze beachtet. Wichtig ist, professionell und klar aufzutreten. Wir sind Journalisten, wir benennen Missstände. Wir sind keine Therapeuten und auch keine Freundinnen, selbst wenn wir uns gut verstehen. Wenn es uns möglich ist, geben wir den Angehörigen Kontrolle über das, was während der Dreharbeiten geschieht. Wir sind transparent. Wir führen Interviews mit Angehörigen nicht konfrontativ, sondern offen. Wir nehmen uns Zeit. Wir erkennen an, dass es schwierig ist, über das Erlebte zu sprechen.
Wir wissen aber auch, dass es heilsam sein kann, Missstände öffentlich zu benennen und gehört zu werden.
Wissen Sie, was diese Interviewpartner bewogen hat, bei diesem Film mitzuwirken?
Linda Huber: Sie wollen das, was ihnen in ihrem privaten Leben widerfahren ist, der Öffentlichkeit mitteilen, weil sie glauben, dass es wichtig ist. Und sie hoffen, dass der Film etwas bewirkt. Dass er diejenigen erreicht, die Entscheidungen treffen. Dass er die Gesellschaft aufrüttelt und Frauen schützt.
Sie mussten sich im Laufe der Recherche und der Arbeit am Film mit unzähligen grausamen Femiziden beschäftigen. Wie haben Sie es geschafft, dass das Thema für Sie persönlich nicht zu belastend wird?
Julia Friedrichs: Es war sehr belastend, das lässt sich nicht schönreden. Für jede und jeden von uns auf andere Weise.
Wir haben im Team und mit der Supervisorin immer wieder darüber gesprochen, wie man einen professionellen Abstand hält zu all den Grausamkeiten, die wir lesen und hören mussten. Aber trotz aller Vorkehrungen hilft das nur bedingt. Wir haben alle während dieser Zeit schlecht geschlafen.
Geholfen hat dabei, dass unsere Arbeit wichtig und sinnvoll ist ‒ und dass jemand sie tun muss, wenn wir auf die Missstände aufmerksam machen wollen.
Was waren die größten Herausforderungen bei diesem Filmprojekt?
Steffi Unsleber: Die Masse an Fällen. Diese sinnvoll zu ordnen. Dabei nicht den Überblick zu verlieren. Bei all den Grausamkeiten nicht zynisch zu werden. Emotional ansprechbar zu bleiben. Jedem Angehörigen gerecht zu werden.
Welche Muster oder Verhaltensweisen in Paarbeziehungen gehen einem Femizid voraus? Gibt es Warnzeichen?
Linda Huber: Das wichtigste Warnzeichen ist Kontrollverhalten. Wenn ein Mann seine Frau überwacht. Ihr folgt. Sie immer wieder anruft, um herauszufinden, wo sie ist. Wenn er sie von ihrer Familie und von Freunden isoliert. Ihre Finanzen kontrolliert, ihre Briefe, ihr Aussehen. Wohin sie geht, mit wem sie sich trifft.
In allen Fällen, die wir genauer untersucht haben, haben wir dieses Kontrollverhalten gesehen.
Und die Zeit der Trennung ist eine besonders gefährliche Zeit für Frauen. Vor allem, wenn es schon früher zu Gewalt gekommen ist. Frauen sollten nicht zögern, die Polizei zu rufen, wenn sie sich bedroht fühlen.
Welche Schutzmöglichkeiten gibt es für die Frauen, und wie kann das Umfeld helfen?
Jochen Breyer: Der beste Schutz für eine Frau ist die finanzielle Unabhängigkeit. Die Möglichkeit, einen Mann zu verlassen, wenn er ihr schadet. Das Umfeld kann helfen, indem es sich einmischt. Die Frau nicht alleine lässt. Ihr praktische Hilfe anbietet. Und dem Mann signalisiert, dass er unter Beobachtung steht. Dass sein Verhalten nicht einfach so hingenommen wird.
Wo liegen nach Ihren Recherchen die Fehler im System, so dass Frauen zum Teil vergeblich nach Schutz gesucht haben? Was könnte systemisch verbessert werden?
Steffi Unsleber: Wir haben viele Fälle gesehen, in denen Frauen ein Kontakt- und Annäherungsverbot erwirkt hatten und trotzdem getötet wurden. Das heißt, die Männer waren bereits gewalttätig geworden und durften sich den Frauen nicht mehr nähern. Haben sie es trotzdem gemacht, hatte das jedoch kaum Konsequenzen. Ein Polizist, mit dem wir gesprochen haben, hat uns gesagt, dass er es kein einziges Mal erlebt hat, dass der Mann dafür eine Strafe bekommen hat. Theoretisch wäre jedoch sogar eine Freiheitsstrafe denkbar. Familiengerichte könnten hier alle Möglichkeiten des Gesetzes nutzen, um die Frauen zu schützen.
Spanien kann man in Bezug auf Femizide als Vorbild betrachten. Dort werden diese Taten konsequent benannt und geahndet. Es gibt eine besondere Staatsanwaltschaft, die sich um diese Delikte kümmert. Und dort wird die Fußfessel sehr viel großzügiger eingesetzt, als es in Deutschland geplant ist. Seit Einführung der Fußfessel wurde keine Frau von einem Mann getötet, der eine Fußfessel getragen hat.
Wir haben auch gesehen, dass Datenschutz in der Praxis oft als wichtiger angesehen wird als der Schutz der Frauen. Und dass Waffenbehörden keinen Zugriff auf Informationen haben, die wichtig wären, damit sie beurteilen können, ob ein Mann zuverlässig genug ist, um eine Waffe legal zu führen. So erfahren Waffenbehörden oft nicht, wenn ein Mann eine Frau mit dem Tode bedroht. Das ließe sich ändern, wenn man Kontakt- und Annäherungsverbote länger verhängen würde als die typischen sechs Monate und diese Beschlüsse im Bundeszentralregister speichern würde.
Über die Gemeinsamkeiten der meisten Täter:
Florian Rebmann, Kriminologe Universität Tübingen, arbeitet zurzeit an der umfangreichsten Studie zu Femiziden, die es in Deutschland bislang gab:
"Was diese Täter alle mehr oder weniger gemeinsam haben, also ungefähr 80 Prozent der Täter, ist, dass sie sexistische Einstellungen hatten, patriarchale Einstellungen hatten. Es geht hier um Kontrolle. Wir hatten einige Täter, bei denen wir den Eindruck gewonnen haben, dass diese Menschen wirklich versucht haben, absolute Herrschaft über das spätere Opfer auszuüben, das Opfer extensiv zu kontrollieren. Und wenn diese Kontrolle nicht mehr gelingt, dann kann es zu diesen Tötungen kommen."
"In 70 Prozent [der untersuchten Fälle, Anm. d. R.] hat der Täter die Tat angekündigt, zum Teil auch sehr explizit. Die Täter sagen dann: 'Wenn du dich trennst, dann wird was passieren.'"
Trennung als besonders gefährlicher Moment für Frauen:
Michaela Kreyenfeld, Professorin für Soziologie, hat Hunderte Trennungen wissenschaftlich untersucht:
"17 Prozent der Frauen, die sich in der Untersuchungszeit getrennt haben, haben eine Gewalterfahrung im Trennungsprozess gemacht."
Claudia wurde am 28. September 2024 von ihrem Ex-Mann erschossen.
Bahar, Tochter von Claudia:
"Sie hatte es eigentlich geschafft, sich von ihm zu lösen. Sie war geschieden. Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, war sie richtig glücklich. Sie hat von ihrem anstehenden Urlaub erzählt. Sie war eher in Aufbruchstimmung, als dass Angst Raum gehabt hatte in ihren Gedanken."
Asya, Tochter von Claudia:
"Sie war sehr liebevoll und warm. Das haben meine Freunde auch immer gesagt, wenn sie meine Mama kennengelernt haben. Eine Person, bei der man sich sofort wohlfühlt."
Bahar, Tochter von Claudia:
"Lektion unseres Lebens ist, dass auch Zeit keine Sicherheit schenkt. Ein Mann, der seine Frau umbringen möchte, der möchte sie auch noch nach Jahren umbringen."
Sedef, Tochter von Claudia:
"Es passiert nicht nur anderen Menschen, es kann einem selbst passieren, es kann im nächsten Umfeld passieren. Es ist nicht weit weg."
Jessica wurde am 21. Mai 2024 von ihrem Ex-Freund erstochen.
Lilia, Jessicas beste Freundin:
"Jessica und ich kennen uns schon seit unserer Kindheit, wir sind zusammen aufgewachsen. Jessica hatte sehr, sehr viele Ziele. Ein großer Traum von ihr war es, Schlagersängerin zu werden."
Michael, Jessicas Gartennachbar:
"Jessica war ein fröhliches Mädchen. Fröhlich, aufgeweckt, ein Sonnenschein."
Lilia, Jessicas beste Freundin, über Jessicas Ex-Freund:
"Er wollte Jessica besitzen, für sich haben. Komplett überwachen."
Lilia, Jessicas beste Freundin:
"Das letzte Mal, dass ich mit Jessica gesprochen habe, war sechs Tage vor ihrem Tod. Da hat sie erzählt, dass sie sich endgültig getrennt hat. Dann habe ich eine Nachricht von ihrer jüngeren Schwester bekommen. 'Er hat sie umgebracht.'"
Fotos über ZDF-Kommunikation
Telefon: (06131) 70-16100 oder E-Mail: pressefoto@zdf.de und über https://presseportal.zdf.de/presse/orangeday